Europarecht: Diskriminierungsverbot und Beschränkungsverbot im Steuerrecht
Grundsätzlich sind Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten (oder Gesellschaften) nicht schlechter zu behandeln als die eigenen Staatsangehörigen. Sollten jedoch trotzdem Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten schlechter gestellt sein als die eigenen Staatsangehörigen, so liegt eine benachteiligende Ungleichbehandlung vor. Eine benachteiligende Ungleichbehandlung stellt eine Diskriminierung dar und verstößt damit gegen das Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot. Zu unterscheiden ist hierbei dann zwischen offenen Diskriminierungen, versteckten Diskriminierungen und Beschränkungen. Wie die Verbote im Zusammenspiel mit den Freiheiten sich im Steuerrecht auswirken, untersucht dieser Beitrag.
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus der Dissertation von Herrn Prof. Dr. Christoph Juhn an der Universität zu Köln. Er behandelt die grenzüberschreitende Einbringung von Betriebsvermögen in Kapitalgesellschaften. Dabei ist Prof. Juhn zu dem Ergebnis gekommen, dass internationale Umwandlungsvorgänge – sowohl in EU-/EWR-Staaten als auch in Drittstaaten – durch die Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit geschützt sind und damit steuerneutral möglich sein müssen. Aufgrund der Praxisrelevanz der Ausarbeitung stellen wir Ihnen diese wissenschaftliche Ausarbeitung hier auszugsweise kostenlos zur Verfügung.
Unser Video:
Umwandlungen mit DBA-Ländern
In diesem Video stellt Herr Prof. Dr. Juhn einen Teil seiner Dissertation vor zu grenzüberschreitenden Umwandlungen mit DBA-Ländern.
1. Grundsatz des Diskriminierungs- und Beschränkungsverbotes
Nach Art. 49 und 63 AEUV sind offene Diskriminierungen, versteckte Diskriminierungen und Beschränkungen der freien Niederlassung und des freien Kapitalverkehrs grundsätzlich verboten.[439]
Eine offene Diskriminierung liegt vor, wenn sich durch die tatbestandliche Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit eine benachteiligende Ungleichbehandlung von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten ergibt.[440] Nationale Normen dürfen demnach Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten gegenüber Inländern grundsätzlich nicht benachteiligen. Bei Gesellschaften tritt an die Stelle der Staatsangehörigkeit die Zugehörigkeit zur Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaats und damit in aller Regel der statuarische Sitz der Gesellschaft.[441] Knüpft eine Norm hingegen nicht an die Staatsangehörigkeit an, behindert sie jedoch ausschließlich oder vorwiegend Ausländer, liegt eine versteckte Diskriminierung vor.[442]
Neben offenen und versteckten Diskriminierungen sind grundsätzlich auch Beschränkungen der Grundfreiheiten unzulässig. Für die Beschränkung einer Grundfreiheit bedarf es nicht eines ausdrücklichen gesetzlichen Verbots. Beschränkungen sind nach der Rechtsprechung bereits jene Maßnahmen, die die Ausübung der freien Niederlassung oder des freien Kapitalverkehrs „unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen“[443]. Da die Vorschrift in solchen Fällen nicht unmittelbar an die Staatsangehörigkeit anknüpft, werden ein grenzüberschreitender und ein inländischer Sachverhalt miteinander verglichen (Vergleichspaar).[444]
2. Beschränkung der Grundfreiheiten durch Entstrickungsbesteuerung
Zunächst ist festzuhalten, dass für die Differenzierung zwischen versteckter Diskriminierung und Beschränkung keine klare Trennlinie besteht.[445] Für die Praxis ist eine solche strikte Unterscheidung auch nicht erforderlich, da die Grundfreiheiten versteckte Diskriminierungen und Beschränkungen gleichermaßen verbieten und an einem einheitlichen Rechtfertigungsmaßstab messen.[446] Daher prüft der EuGH in seinen jüngeren Entscheidungen zu nationalen Entstrickungsnormen vorrangig nur die Beschränkung der Grundfreiheiten, denn eine solche Beschränkung führt zwangsläufig auch zu einer verdeckten Diskriminierung, während eine (verdeckte) Diskriminierung umgekehrt noch keine Beschränkung begründet.
Löst der Wirtschaftsguttransfer, der Wegzug oder die Umwandlung mit grenzüberschreitendem Bezug eine Entstrickungssteuer aus, während eine solche Besteuerung bei reinen Inlandssachverhalten unterbleibt, liegt eine Benachteiligung grenzüberschreitender Sachverhalte vor. Der damit verbundene Liquiditätsnachteil ist geeignet, den Unionsbürger bzw. die Unionsgesellschaft von der beabsichtigten Handlung abzuhalten, und stellt nach ständiger Rechtsprechung eine Beschränkung der Grundfreiheiten dar.[447]
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[439] Grabitz/Hilf/Nettesheim/Forsthoff, Art. 49 AEUV, 74 ff.; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Ress/Ukrow, Art. 63 AEUV, Rn. 158; Streinz/Sedlaczek/Züger, Art. 65 AEUV, Rn. 6.
[440] Kraft/Bron, IStR 2006, 26, 26.
[441] Calliess/Ruffert/Korte, Art. 49 AEUV, Rn. 47.
[442] Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Allgemeines Programm zur Aufhebung der
Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit vom 15.1.1962, S. 36; Calliess/Ruffert/Korte, Art. 49 AEUV, Rn. 47.
[443] EuGH v. 11.7.1974 – 8/74, Dassonville, Slg. 1974, 837, Rn. 5; EuGH v. 5.10.2004 – C-442/02, CaixaBank France, Slg. 2004, I-8961, Rn. 11; EuGH v. 6.12.2007 – C-298/05, Columbus Container Services, Slg. 2007, I-10451, Rn. 33; EuGH v. 13.12.2007 – C-465/05, Kommission/Italien, Slg. 2007, I-11091, Rn. 17; EuGH v. 17.7.2008 – C-389/05, Kommission/Frankreich, Slg. 2008, I‑5337, Rn. 52; EuGH v. 23.10.2008 – C-157/07, Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt, Slg. 2008, I-8061, Rn. 19; EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10, National Grid Indus, EuZW 2011, 951, Rn. 36; zur Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit siehe auch EuGH
v. 23.10.2007 – C-112/05, Kommission/Deutschland, Slg. 2007, I-8995, Rn. 19; EuGH v. 24.2.2015 – C-559/13, Grünewald, ECLI:EU:C:2015:109, Rn. 19.
[444] Calliess/Ruffert/Korte, Art. 49 AEUV, Rn. 47.
[445] Dürrschmidt/Schiller, EuR 2006, 275, 278; Ehlers/Becker/Ehlers, § 7, Rn. 90; Haratsch/Koenig/
Pechstein, Europarecht, Rn. 854; Herzig/Wagner, DStR 2006, 1, 3; Stewen, EuR 2008, 445, 451; Wernsmann/Nippert, FR 2005, 1123, 1128.
[446] Grabitz/Hilf/Nettesheim/Forsthoff, Art. 49 AEUV, Rn. 81.
[447] EuGH v. 11.3.2004 – C-9/02, Hughes de Lasteyrie du Saillant, Slg. 2004, I-2409, Rn. 35; EuGH
v. 7.9.2006 – C-470/04, N, Slg. 2006, I-7409, Rn. 35; EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10, National Grid Indus, EuZW 2011, 951, Rn. 37; EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12, DMC, ECLI:EU:C:2014:20, Rn. 41; EuGH v. 21.5.2015 – C-657/13, Verder LabTec, ECLI:EU:C:2015:331, Rn. 39.