Wirecard Jahresabschlüsse sind nichtig: Rechtsfolgen für Aktionäre
Das Landesgericht München I stellte kürzlich fest, dass die Jahresabschlüsse 2017 und 2018 der Wirecard AG nichtig sind. Damit verbunden sind dann aber auch die bereits erfolgten Gewinnausschüttungen und Boni-Zahlungen an Spitzenmanager der Wirecard AG ohne gesetzliche Grundlage. Denn wenn kein ordentlicher Jahresabschluss vorliegt, fehlt die wesentliche Grundlage für einen ordentlichen Beschluss zur Gewinnverwendung. Somit ist die Wirecard AG nun berechtigt, die von den Empfängern unberechtigt erhaltenen Zahlungen zurückzufordern. Allerdings hat dies auch steuerliche Konsequenzen. Schließlich haben die Zahlungsempfänger ihre Steuererklärungen, in denen sie ihre Dividendeneinnahmen erklärten, längst abgegeben. Selbstverständlich hat der Fiskus auch die Steuern hierauf bereits erhalten. Prinzipiell kann man diese unrichtigen Steuern aufgrund der durch das Gerichtsurteil herbeigeführten neuen Tatsachen korrigieren. Doch muss man hierbei auch auf die Festsetzungsfrist achten, die als Verjährungsfrist von Bedeutung ist.
Unser Video:
Wirecard: Gericht befindet Jahresabschlüsse für nichtig!
In diesem Video erklären wir, welche Rechtsfolgen Wirecard-Aktionäre nun erwarten müssen.
Inhaltsverzeichnis
1. Der Skandal um die Wirecard AG – Einleitung
Die Wirecard AG war einmal ein DAX-Konzern, dem insbesondere viele Privatanleger lange Zeit vertrauten. Schließlich lag der Börsenwert des Konzerns noch vor wenigen Jahren sogar bei vielen Milliarden Euro. Dies lag auch daran, dass der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens enorm war. Oder besser gesagt, er wurde so dargestellt. Denn die Bilanzen waren manipuliert und wiesen offenbar Gewinne aus, die keine reale Grundlage hatten. Den mit der Prüfung der Bücher beauftragten Wirtschaftsprüfern war dies jedoch anscheinend entgangen. Sie testierten alle Jahresabschlüsse, auf die sich die Hauptversammlungen zur Bestimmung der Gewinnverwendung später in Unkenntnis der wahren Lage beriefen.
Als dann 2020 die Wahrheit über Scheinbuchungen in Höhe von etwa 1,9 Milliarden Euro bekannt wurde, brach zunächst der Aktienkurs und dann der gesamte Wirecard Konzern in sich zusammen. Vorstandsmitglieder stehen nun im Verdacht, unter anderem Betrug und Bilanzfälschungen begangen zu haben. Die Aktionäre aber erlitten durch den enormen Kursverlust eine finanzielle Katastrophe. Deshalb ist es auch nachvollziehbar, dass nun viele ehemalige Aktionäre über den Rechtsweg einen Teil ihrer Verluste einzuklagen versuchen. Insbesondere die damals in die Bilanzprüfungen involvierte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY steht hierbei im Fokus.
Aber auch die Wirecard AG und ihre Tochterunternehmen haben noch mit dem Skandal zu kämpfen. Denn mittlerweile steht der einstmalige Star der Frankfurter Börse unter Insolvenzverwaltung. In diesem Zusammenhang ist es selbstredend, dass sich der Insolvenzverwalter, Michael Jaffé, darum bemüht, so viele liquide Mittel der Wirecard AG wie möglich zu sichern. Dazu gehört auch die Frage nach der Rechtmäßigkeit der zuvor ausgeschütteten Dividenden und der an das Management geflossenen Boni. Aber auch die Höhe der in der Vergangenheit gezahlten Steuern ist hierbei von Interesse.
2. Wirecard Jahresabschlüsse 2017 & 2018: aktuelle Rechtsprechung
In diesem Zusammenhang wählte Insolvenzverwalter Jaffé einen eher ungewöhnlichen Ansatz. Üblicherweise versuchen Insolvenzverwalter nämlich die liquiden Mittel im Wege einer Insolvenzanfechtung zu erwirken. Da dies im Fall Wirecard wohl zu aufwändig und zu wenig erfolgversprechend erschienen ist, entschied man sich stattdessen die Nichtigkeit bestimmter Jahresabschlüsse zu erwirken. Somit legte man einen entsprechenden Antrag dem zuständigen Landegericht München I zur Beurteilung vor. Am 05.05.2022 entschied das Gericht in seinem Urteil, dass tatsächlich die Voraussetzungen gegeben seien, um die Jahresabschlüsse 2017 und 2018 für nichtig zu erklären.
Genauer gesagt lag der Fokus in diesem Gerichtsverfahren weder auf den Bilanzen aller im Wirecard Konzern verbundenen Unternehmen noch im Konzernabschluss. Vielmehr betrachtete das Gericht lediglich die Jahresabschlüsse der Wirecard AG selbst. Denn genau hier lag die Basis für die offenkundig unzulässigen Gewinnausschüttungen.
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3. Rechtsfolgen für Wirecard-Aktionäre
Doch was bedeutet nun genau, dass die Jahresabschlüsse der Wirecard AG für die Jahre 2017 und 2018 nichtig sind? Nun, das bedeutet, dass die Wirecard AG für 2017 und 2018 leine gültigen Jahresabschlüsse vorweisen kann. Folglich waren die rechtlichen Grundlagen für einen ordentlichen Beschluss in der Hauptversammlung über die Verwendung der Gewinne niemals wirklich wirksam vorhanden gewesen. Ergo sind auch die Gewinnausschüttungen ohne die erforderliche rechtliche Grundlage erfolgt. Weder die Aktionäre, die 2017 EUR 0,18 und 2018 EUR 0,20 je Wirecard Aktie erhalten hatten, noch die Vorstandsmitglieder, deren Boni sich ebenfalls nach dem Gewinn richteten, haben ihre Zahlungen rechtmäßig erhalten.
Im Umkehrschluss bedeutet das aber, dass der Insolvenzverwalter diese Zahlungen nun auf Basis des Gerichtsurteils zurückfordern kann. Immerhin wurden allein an Dividenden etwa EUR 47.000.000 ausgeschüttet. Damit könnte man wenigstens einen Teil der offenen Forderungen der Gläubiger gegenüber der Wirecard AG befriedigen. Deshalb ist zu erwarten, dass nun als nächstes die ehemaligen Aktionäre und alle anderen Empfänger unberechtigter Zahlungen Post von Herrn Jaffé erhalten werden, in denen die Aufforderung zur Rückzahlung enthalten sein wird. Allerdings ist das Urteil zum Zeitpunkt dieser Darstellungen noch nicht rechtskräftig.
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4. Nichtigkeit der Wirecard Jahresabschlüsse: steuerliche Konsequenzen
Neben den juristischen Konsequenzen hat das Urteil des Landgerichts München I auch steuerliche Implikationen, wenn auch auf indirekte Weise. Denn die als Dividenden oder Boni erhaltenen Zahlungen haben die steuerpflichtigen Empfänger ja seinerzeit ordnungsgemäß versteuert. Aber auch die Wirecard AG hat auf ihre, wie wir nun wissen, offenbar erfundenen Gewinne Körperschaft- und Gewerbesteuer entrichtet. Folglich ist eine Rückforderung dieser Steuern, zumindest nach dem Rechtsempfinden der Allgemeinheit, nachvollziehbar. Jedoch muss man hierbei auch einige gesetzliche Regelungen des Abgabenrechts beachten.
Für Steuern existiert in § 169 Absatz 2 Satz 1 AO eine allgemeine vierjährige Festsetzungsfrist, die gleichzeitig auch eine Verjährungsfrist darstellt. Sie beginnt nach § 170 Absatz 1 AO nach Ablauf desjenigen Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Abweichend hiervon beginnt sie gemäß § 170 Absatz 2 Nummer 1 AO mit Ablauf desjenigen Jahres, in dem ein Steuerpflichtiger die Steuererklärung eingereicht hat.
Eine weitere Möglichkeit, die man unter Umständen nutzen kann, um eine Steuererklärung bei Bedarf ändern zu können, geht mit Einschränkungen im Steuerbescheid einher. Denn wenn die Finanzverwaltung einen Steuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlässt, hemmt dies die Festsetzungsfrist bis zu dem Zeitpunkt, an dem eine Prüfung eines zu überprüfenden Sachverhalts stattfindet oder an dem die Finanzverwaltung den Vorbehalt der Nachprüfung aufhebt.
Wer also von einer Rückzahlung der vermeintlich erhaltenen Wirecard Dividende betroffen ist, der sollte schauen, ob die darauf entrichtete Kapitalertragsteuer sowie andere damit verbundene Abgaben (Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer) auf die eine oder andere oben dargestellte Weise zurückgefordert werden können.
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5. Wirecard AG – quo vadis?
Für kleine Aktionäre dürfte die Rückzahlung finanziell eher weniger ins Gewicht fallen. Schließlich muss man je Wirecard Aktie EUR 0,38 zurückzahlen, was beispielsweise für 100 Aktien gerade einmal EUR 38,00 ausmacht. Vielmehr dürfte man die für nichtig erklärten Wirecard Jahresabschlüsse als weitere Demütigung empfinden. Doch sind es in diesem Fall eher die ehemaligen Großaktionäre und Vorstandsmitglieder, die seinerzeit von den üppigen Dividenden und Boni am meisten profitierten, die nun von den Rückzahlungen kaum begeistert sein dürften.
Dafür dürften sich aber die Gläubiger der Wirecard AG über die Rückforderung der ungültigen Zahlungen sowie der auf den Gewinn gezahlten Unternehmensteuern freuen. Doch auch wenn der Insolvenzverwalter die gesamte Summe einzutreiben vermag, so dürften die ausstehenden Schulden diesen Betrag deutlich übersteigen.
Aber auch alle ehemaligen Anleger, die sich durch den mutmaßlichen Betrug um ihre in die Wirecard AG investierten Ersparnisse geprellt sehen und nun als Kläger Wiedergutmachung von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY fordern, sehen einem ungewissen Ausgang der juristischen Aufarbeitung gegenüber. Schließlich steht EY ein Heer an kompetenten Rechtsanwälten zur Verfügung, das mit Sicherheit alles aufbieten wird, um den finanziellen Schaden für das Unternehmen so weit wie möglich zu reduzieren.
Auch die in diesem Fall beschuldigten Personen haben eine ungewisse Zukunft vor sich. So auch der Vorstandsvorsitzende Markus Braun und zwei weitere Top-Manager der Wirecard AG. Konzernchef Braun sitzt seit bald zwei Jahren in Untersuchungshaft. Er muss wohl schon dieses Jahr vor Gericht Rechenschaft ablegen. Und dann wäre noch Vertriebsvorstand Jan Marsalek. Er setzte sich kurz nach dem Aufdecken der Buchungsunstimmigkeiten offenbar ins Ausland ab und ist nun flüchtig. Zwar fahndet man mit internationalem Haftbefehl nach ihm, doch könnte es sein, dass man noch eine ganze Weile auf einen Fahndungserfolg wird warten müssen.
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