Hinterziehungszinsen und weitere Folgen der Steuerhinterziehung
Neben der Nachzahlung der verkürzten Steuern und gegebenenfalls einer Geld- oder Haftstrafe kann eine Steuerhinterziehung weitere Folgen nach sich ziehen. Zu nennen sind hier insbesondere die dem Fiskus zustehenden Hinterziehungszinsen nach § 235 AO, eventuelle Haftungsansprüche gegen Dritte und „Sonderzahlungen“ nach § 398a AO, wenn eine Selbstanzeige nach § 371 AO ausscheidet. Wir geben einen Überblick.
Unser Video:
Hinterziehungszinsen und weitere Folgen der Steuerhinterziehung
In diesem Video gehen wir auf die sonstigen Folgen einer Steuerhinterziehung ein.
Inhaltsverzeichnis
1. Grundsatz: Tatbestand und strafrechtliche Folgen der Steuerhinterziehung
Mit § 370 AO enthält das „Steuergrundgesetz“ eine eigenständige, die Normen des Strafgesetzbuches erweiternde, Strafvorschrift. Dabei gehört die Steuerhinterziehung zu den häufigsten Steuerstraftaten in Deutschland, dicht gefolgt von der leichtfertigen Steuerverkürzung im Sinne des § 378 AO. Eine solche ist gegeben, wenn der Täter die Verkürzung von Abgaben oder den Erhalt ungerechtfertigter Steuervorteile leichtfertig, also fahrlässig, herbeiführt.
Schauen wir uns, bevor wir zu Nebenfolgen wie den Hinterziehungszinsen kommen, daher zunächst den Tatbestand und die Rechtsfolge des § 370 AO an. Nach § 370 Absatz 1 Satz 1 AO ist Steuerhinterzieher, wer pflichtwidrig durch unrichtige, unvollständige oder das vollständige Weglassen von Angaben über steuerlich relevante Tatsachen Steuern verkürzt oder sonstige Steuervorteile ungerechtfertigt erlangt. Dabei ist die Steuerhinterziehung ein sogenanntes Erfolgsdelikt, denn sie ist nach § 370 Absatz 4 AO erst bewirkt, wenn eine Festsetzung zu niedrig erfolgt oder unterblieben ist.
„Steuervorteile und Steuervergütungen“ sind beispielsweise Sonderabschreibungen und der Vorsteueranspruch. Wer hier gegenüber dem Finanzamt lügt oder relevante Umstände verschweigt, kann ebenfalls eine Steuerhinterziehung begehen.
Für die Strafandrohung gilt, dass
- der „einfache“ Fall der Steuerhinterziehung mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe,
- der „schwere“ Fall der Steuerhinterziehung aber mit mindestens sechs und bis zu zehn Jahren Freiheits- oder ebenfalls Geldstrafe
zu bestrafen ist. Schwere Fälle liegen etwa bei Steuerverkürzungen in erheblichem Ausmaß oder bei der Hinterziehung von Steuern durch Amtsträger (zum Beispiel Finanzbeamte) vor.
Alle regulären Vorschriften des Strafrechts, etwa zu Täterschaft, Beihilfe und Anstiftung, Tateinheit, Tatmehrheit und Strafzumessung, finden im Steuerstrafverfahren entsprechende Anwendung (§ 385 Absatz 1 AO). Zuständig sind die ordentlichen Gerichte (Amtsgericht, Landgericht, Bundesgerichtshof), nicht aber die Finanzgerichte – denn letztere beschäftigen sich ausschließlich mit dem Steuer- und Verfahrensrecht selbst.
2. Hinterziehungszinsen: Anspruch, Entstehung, Berechnung und Zahlung
Wird eine Steuerhinterziehung entdeckt, muss der Steuerpflichtige die hinterzogenen Steuerbeträge nachzahlen. Außerdem kommen Hinterziehungszinsen nach § 235 AO auf ihn zu. In der Praxis laufen Bescheidänderung und Zinsfestsetzung nach folgendem Muster ab:
- Das Finanzamt ändert die fehlerhaften (weil zu niedrigen) Steuerfestsetzungen nach § 172 oder § 173 AO
- Die Bußgeld- und Strafsachenstelle des Finanzamtes stellt fest, in welcher Höhe tatsächlich Steuern hinterzogen oder ungerechtfertigte Steuervorteile erlangt wurden
- Der ermittelte Betrag wird für die jeweiligen Zeiträume verzinst; hierzu stellt das Finanzamt darauf ab, wann der Steuerpflichtige die hinterzogenen Steuerbeträge nachgezahlt hat
- Es ergeht ein entsprechender Zinsbescheid, gegebenenfalls auch ein Haftungsbescheid im Sinne des § 191 AO
Wir gehen die einzelnen Schritte gemeinsam durch und schauen uns an, welche Besonderheiten, auch und vor allem bedingt durch das Strafverfahren, gelten!
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2.1. Änderung der ursprünglichen Festsetzungen
Wird eine Steuerhinterziehung entdeckt, beginnt ein eigenständiges Strafverfahren. Dieses läuft grundsätzlich parallel zum Besteuerungsverfahren und wird daher auch unter „der Hand der Staatsanwaltschaft“ geführt. Die laufende Besteuerung verbleibt hingegen beim originär zuständigen Finanzamt.
Dabei gilt: Das Strafverfahren hat keinen Einfluss auf das Besteuerungsverfahren und umgekehrt (§ 393 Absatz 1 Satz 1 AO). Die Steuerakte gilt aber mit ihrem gesamten Inhalt als Beweismittel auch im Strafverfahren. Der Steuerpflichtige darf daher nicht unter Androhung eines Zwangsgeldes zur Abgabe von Unterlagen oder Erteilung von Auskünften aufgefordert werden, wenn er sich hierdurch selbst belasten könnte (§ 393 Absatz 1 Satz 2 AO).
Die originär vier Jahre dauernde Festsetzungsfrist verlängert sich bei Steuerhinterziehung auf zehn Jahre (§ 169 Absatz 2 Satz 2 AO). Die fehlerhaften Bescheide können daher noch viele Jahre nach ihrem Erlass geändert werden, wenn die Voraussetzungen einer Änderungsnorm erfüllt sind. Hier kommen im Strafverfahren regelmäßig zwei Vorschriften in Betracht:
- § 172 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c AO: Erwirken durch unlautere Mittel, insbesondere die arglistige Täuschung. Das Merkmal liegt im Steuerstrafverfahren fast immer vor, da der Steuerpflichtige das Finanzamt durch die Vorspielung falscher Tatsachen oder die Unterdrückung von Informationen bewusst getäuscht hat (unter anderem BFH vom 08.07.2015, VI R 51/14)
- § 173 Absatz 1 Nummer 1 AO: Nachträglich bekannt werdende, neue Tatsache(n). „Neu“ sind Tatsachen immer dann, wenn sie dem Finanzamt bislang unbekannt, also nicht aktenkundig, waren. Auch dieses Merkmal liegt bei einer Steuerhinterziehung regelmäßig vor, da Steuerpflichtige dem Finanzamt steuerlich erhebliche Umstände bewusst verschweigen
Die Änderung erfolgt durch Erlass eines Änderungsbescheides. Er ist ein selbstständig mit dem Einspruch anfechtbarer und ebenfalls wieder änderbarerer Verwaltungsakt. Im Einspruchsverfahren gegen Änderungsbescheide sind allerdings die zusätzlichen Beschränkungen (Ober- und Untergrenzen) des § 351 AO zu beachten.
2.2. Feststellung des hinterzogenen Betrags für die Berechnung der Hinterziehungszinsen
Nun stellt das Finanzamt die Höhe der insgesamt hinterzogenen Steuer respektive die Höhe ungerechtfertigterweise erlangter Steuervorteile fest. Dieser Betrag ist Ausgangspunkt für die anschließende Festsetzung von Hinterziehungszinsen nach § 233 Satz 1 AO. Die Berechnung erfolgt nach folgendem und beispielhaft mit Zahlen gefülltem Schema:
Nach § 32a Absatz 1 Satz 2 EStG festzusetzende Einkommensteuer | EUR 80.000 |
Vom Steuerpflichtigen verschwiegene Einnahmen im Sinne der §§ 8 Absatz 1 und 18 EStG | EUR 30.000 |
Dadurch verkürzte und im Sinne des § 370 AO hinterzogene Einkommensteuer | EUR 12.000 |
Zu verzinsender Betrag | EUR 12.000 |
Der Verzinsung unterliegen insgesamt EUR 12.000. Die Durchführung der Festsetzung von Hinterziehungszinsen richtet sich im weiteren Verlauf
- einerseits nach den allgemeinen Vorschriften über Steuerverwaltungsakte, da Hinterziehungszinsen steuerliche Nebenleistungen im Sinne des § 1 Absatz 3 und § 3 Absatz 3 Nummer 4 AO sind, und
- andererseits nach den speziell für Zinsfestsetzungen geltenden §§ 233, 233a, 235 und 238 bis 239 AO.
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2.4. Berechnung der Hinterziehungszinsen nach § 235 AO
Hinterzogene Steuerbeträge sind zu verzinsen (§ 235 Absatz 1 Satz 1 AO). Schuldner der Zinsen (§§ 43 und 44 AO) ist die Person, zu deren Vorteil die Steuer hinterzogen wurde. Ist dies eine juristische Person, etwa eine GmbH, haftet die hinter ihr stehende natürliche Person, regelmäßig der Geschäftsführer, die die Handlung ausgeführt hat (§ 71 AO).
Für die Berechnung der Hinterziehungszinsen benötigen wir nun die folgenden Daten:
- Beginn des Zinslaufs (Zinszeitraums): Dies ist der Tag, an dem der ungerechtfertigte Steuervorteil erlangt wurde. Maßgebend ist also der Erlass des entsprechenden Steuerbescheides (§ 370 Absatz 4 Satz 1 und § 235 Absatz 2 Alternative 1 AO)
- Ende des Zinslaufs: Der Zinslauf endet mit Zahlung der hinterzogenen Steuer. Wird nur ein Teil der Steuer gezahlt, endet der Zinslauf nur insoweit (§ 235 Absatz 3 Satz 1 AO)
- Höhe der Zinsen: Hinterziehungszinsen betragen pro Monat 0,5 % des hinterzogenen Betrages, also 6 % pro Jahr (238 Absatz 1 Satz 1 AO). Verfassungswidrigkeit von Zinsen wurde nur hinsichtlich § 233a AO festgestellt
Zu verzinsen ist der hinterzogene Betrag, in unserem Beispiel also EUR 12.000. Gehen wir nun davon aus, dass der Steuerbescheid am 01.02.2023 erlassen wurde. Der Steuerpflichtige zahlt die hinterzogene Steuer am 10.04.2024 nach.
Der zu verzinsende Zeitraum beträgt 13 Monate, da der Zinslauf am 01.02.2023 beginnt und am 01.04.2024 endet (die übrigen 9 Tage bleiben wegen § 238 Absatz 1 Satz 2 AO außer Ansatz). Festzusetzen sind also EUR 780,00 (EUR 12.000 x 0,5 % x 13 Monate).
2.5. Festsetzung der Zinsen durch Zins- und gegebenenfalls Haftungsbescheid
Über den berechneten Betrag der Hinterziehungszinsen ergeht ein sogenannter Zinsbescheid; er ist ein den Steuerbescheiden gleichgestellter Verwaltungsakt über steuerliche Nebenleistungen im Sinne des § 118 Satz 1 AO. Das Finanzamt begründet ihn nach § 121 AO insbesondere durch Nennung
- der Bemessungsgrundlage (hinterzogene Steuer),
- des Berechnungszeitraums nach § 235 Absatz 2 und 3 AO und
- anzurechnenden Steuerbeträgen nach § 235 Absatz 4 in Verbindung mit § 233a AO.
Anmerkung: Wurden für einen der Hinterziehungszinsfestsetzung unterliegenden Zeitraum bereits Nachzahlungszinsen nach § 233a AO festgesetzt, sind diese auf die Hinterziehungszinsen anzurechnen.
Der Bescheid enthält ein Leistungsgebot im Sinne des § 254 Absatz 1 Satz 1 AO. Die Fälligkeit der Zahlung bestimmt das Finanzamt nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 5 AO).
Wurde die Steuer für eine andere natürliche oder juristische Person hinterzogen, etwa
- durch Eltern für ihre Kinder,
- durch den Steuerberater für den Steuerpflichtigen oder
- durch die Geschäftsführerin einer Kapitalgesellschaft für diese Gesellschaft,
so haftet die natürliche Person für die hinterzogene Steuer und die hierauf entfallenden Zinsen (§ 71 AO). Die Inanspruchnahme dieser Person erfolgt dann durch Haftungsbescheid nach § 191 Absatz 1 Satz 1 AO. Haftungsbescheide sind „sonstige Verwaltungsakte“ im Sinne der §§ 129 bis 131 AO, keine Steuerverwaltungsakte. Allerdings sind die Vorschriften über die Festsetzungsfrist, insbesondere deren Verlängerung auf zehn Jahre, entsprechend anzuwenden (§ 191 Absatz 3 AO).
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3. Über die Hinterziehungszinsen hinausgehende Nebenfolgen einer Steuerhinterziehung
Originäre Folgen der Steuerhinterziehung sind
- die Nachzahlung der hinterzogenen Steuerbeträge respektive die Rückzahlung erhaltener Steuervergütungen und Steuervorteile,
- die Zahlung von Hinterziehungszinsen und
- die Verhängung einer Geld- oder Haftstrafe, gegebenenfalls ausgesetzt zur Bewährung.
Unterschiedliche Gesetze sehen außerdem sogenannte Nebenfolgen vor. Hierunter fallen direkte und indirekte Strafen, beispielsweise durch berufsrechtliche Konsequenzen, aber auch finanzieller Natur. Einige Beispiele:
- Die Staatsanwaltschaft kann ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung einstellen, wenn keine strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO möglich ist. Voraussetzung ist nach § 398a Absatz 1 Nummer 2 AO, dass der Steuerpflichtige zusätzlich zum hinterzogenen Steuerbetrag und den Zinsen einen Geldbetrag von 10 % bis 20 % der hinterzogenen Steuer an die Staatskasse zahlt
- Das zuständige Gewerbeamt kann eine Gewerbeuntersagung aussprechen, wenn es – beispielsweise durch Steuerhinterziehung oder erhebliche Rückstände – begründete Zweifel an der Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden hegt (§ 35 Absatz 1 GewO)
- Beamten drohen disziplinarrechtliche Konsequenzen bis hin zur Entfernung aus dem Dienst, wenn das Beamtenverhältnis nicht bereits kraft Gesetzes endet. Letzteres ist der Fall, wenn das Gericht eine Freiheitsstrafe von mindestens 12 Monaten verhängt (§ 24 Absatz 1 Nummer 1 BeamtStG)
- Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter nach § 375 Absatz 1 AO. Damit verbunden ist auch der Widerruf einer Bestellung zum Steuerberater (§ 46 Absatz 2 Nummer 2 StBerG) oder Rechtsanwalt (§ 14 Absatz 2 Nummer 2 BRAO)
Unerheblich für berufsrechtliche Folgen ist die Art der Beteiligung an einer Steuerhinterziehung (Täterschaft, Beihilfe oder Anstiftung). Nach der AO kommt es einzig darauf an, dass das zuständige Strafgericht eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ausgesprochen hat.
Steuerberater für Verfahrens- und Steuerstrafrecht
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Verfahrens- und Strafrecht
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- Ausarbeitung von Vermeidungsstrategien für den Gestaltungsmissbrauch im Sinne des § 42 AO
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- Abgrenzung zwischen Steuerstraftat und Steuerordnungswidrigkeit
- Entwicklung von Verteidigungsstrategien gegenüber der Finanzverwaltung bei Einspruchsverfahren, Betriebsprüfungen, FG-Klageverfahren und BFH-Revisionsverfahren
- Einreichung einer strafbefreienden Selbstanzeige beim Finanzamt
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