Privatinsolvenz durch Steuern – klingt absurd, ist aber möglich
Deutschland folgt bei seiner Steuererhebung einer Vielzahl von rechtsstaatlichen Prinzipien, die auf unserer Verfassung fußen und durch ständige Rechtsprechung weiterentwickelt werden. So gilt einerseits das objektive, andererseits das subjektive Nettoprinzip bei der Besteuerung. Auch das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes ist eine wichtige Grundlage bei der Besteuerung in Deutschland. Daher erscheint es abwegig, dass man durch einen Einkommensteuerbescheid in eine existenzielle Krise geraten könnte. Zwar ist Deutschland allgemein als Hochsteuerland bekannt. Aber mit einem Spitzensteuersatz von 42 % und einem maximalen Reichensteuersatz von 45 % sollte nach der Veranlagung des Einkommens ja immer noch genug finanzieller Spielraum verbleiben, um den Lebensunterhalt zu sichern. Schließlich ist ja auch das Existenzminimum durch über den Grundfreibetrag durch das Grundgesetz gesichert. Daher klingt die Behauptung, dass eine Privatinsolvenz durch Steuern in Deutschland möglich sei, auf den ersten Blick absurd. Wir zeigen, dass diese Gefahr dennoch durchaus real ist.
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In diesem Video erklären wir, welchen Beschränkungen Kommanditisten beim Ansatz von Verlusten aus Gewerbebetrieb unterliegen.
Inhaltsverzeichnis
1. Privatinsolvenz durch Steuern – Einleitung
Um sie in die hier vorgetragene Thematik einzustimmen, möchten wir, dass Sie sich eine geläufige Karikatur ins Bewusstsein rufen. Eine Karikatur, die klischeehaft die schröpfende Mentalität der Finanzämter widerspiegeln soll. Nämlich einen Mann, der ohne Kleidung und nur mit einem oben und unten offenen Fass um seinen nackten Körper aus dem Finanzamt tritt und dabei andere Steuerpflichtige, die dort hin wollen, maßlos erschreckt.
Zugegeben, die Zeiten, in denen solche Karikaturen geläufig waren, sind schon eine Weile her. Dennoch bleibt das Thema stets aktuell. Aber dass ein Einkommensteuererbescheid so krass ausfallen kann, dass mehr Steuern als Reingewinn anfallen, ist schon wirklich eine schockierende Vorstellung. Solche Verhältnisse mag man von sozialistisch geprägten Gesellschaften erwarten. Doch hier bei uns, wo derzeit eine Partei in der Regierung sitzt, die Leistungsträger als ihre Wählerklientel betrachtet, erscheint eine solch enorme Besteuerung mehr als absurd. Selbst wenn eine solche Besteuerung möglich wäre, müsste es doch rechtliche Möglichkeiten geben, damit keine Privatinsolvenz durch Steuern droht. Denn eine solche Situation kann der Gesetzgeber keineswegs gutheißen, oder?
Und doch, das deutsche Steuerrecht kann unter bestimmten Umständen durchaus unerbittlich sein. Wir beabsichtigen, Ihnen dies in diesem Beitrag eindrücklich zu veranschaulichen und versprechen Ihnen ein gruseliges Nachdenken.
2. Privatinsolvenz durch Steuern – Gewinne und Verluste verrechnen
Worum es in diesem Artikel geht, ist die Verrechnung von Gewinnen und Verlusten im Einkommensteuerrecht. Dabei spricht man von einem horizontalen Verlustausgleich, wenn man Gewinne und Verluste, die in unterschiedlichen Einkunftsarten entstanden sind, miteinander verrechnet und auf diese Weise den Gesamtbetrag der Einkünfte bestimmt. Allerdings ist dies etwas komplexer, als man gemeinhin annehmen mag. Denn der Gesetzgeber hat bestimmt, dass bestimmte Verluste isoliert zu betrachten sind. Dabei handelt es sich um Verluste aus dem Bereich Kapitalvermögen. So kann man beispielsweise Verluste bei der Spekulation mit Aktien keinesfalls mit Gewinnen aus anderen Einkunftsarten verrechnen. Nur innerhalb der Einkünfte aus Kapitalvermögen kann man solche Verluste mit Gewinnen ausgleichen. Doch genau dieses Verrechnungsverbot kann im Extremfall zu einer Privatinsolvenz durch Steuern führen.
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3. Privatinsolvenz durch Steuern: keine Anrechnung von Verlusten
Das die unterschiedliche Behandlung von Verlusten für Steuerpflichtige problematisch sein kann, wollen wir Ihnen in einem Exempel vorrechnen.
Frau Ottilie Ohnsorg ist Unternehmerin. Mit bescheidenem Erfolg verkauft sie essbare Blumen für die Gastronomie. 2021 erhielt sie unerwartet eine Erbschaft über EUR 100.000. Da sie gehört hatte, dass man mit Aktieninvestitionen in die eigene Altersabsicherung einsteigen sollte, hat sie sich nun dem Aktienhandel zugewandt. Doch, oh schreck, hierbei verlor sie 2022 EUR 50.000. Im gleichen Veranlagungszeitraum hat sie zum Glück mit ihrem Gewerbebetrieb EUR 50.000 Gewinn gemacht. Und den veranlagt sie jetzt.
Dabei hat sie gehofft, dass der Verlust aus ihrem Aktieninvestment dazu führt, dass sie 2022 keine Steuern zu zahlen braucht. Doch kann sie aufgrund des Verrechnungsverbots die EUR 50.000 Verlust keinesfalls mit ihrem Gewerbegewinn verrechnen. Deshalb ist sie entsetzt, als sie in ihrem Einkommensteuerbescheid die Forderung über mehr als EUR 11.000 an Einkommensteuer liest.
4. Privatinsolvenz durch Steuern: von der Theorie in die reale Welt
In der Tat kann ein solcher Fall Verwunderung auslösen. Man muss herbe Verluste hinnehmen und zahlt trotzdem Steuern? Das dachte sich auch eine Unternehmerin, die 2002 ein Einkommen von EUR 130.000 erzielte, durch die Beschränkung bei der Verlustverrechnung aber dennoch eine Steuer von EUR 560.000 zahlen sollte. Zunächst forderte sie unter Verweis auf § 163 AO einen Teilerlass vom zuständigen Finanzamt. Doch dieses verweigerte ihr den Erlass ihrer Steuern. Daraufhin klagte die Steuerpflichtige vor dem Finanzgericht Köln. Und tatsächlich urteilte das Finanzgericht, dass ein Teilerlass in dieser Situation zu gewähren sei (Aktenzeichen: 5 K 1403/21).
Erinnern Sie sich an die eingangs gezeichnete Karikatur, das dem Bild vieler Bundesbürger von deutschen Finanzämtern entspricht? Dann raten Sie mal, wie das Finanzamt auf dieses Urteil reagiert hat. Richtig, mit einer Revision beim Bundesfinanzhof (Aktenzeichen: IX 18/23). Wir erwarten aber, dass auch die Richter am BFH einsehen, dass hier eine Übermaßbesteuerung vorliegt und daher der Teilerlass zu gewähren ist.
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5. Weitere Möglichkeiten, wie Steuern in die Privatinsolvenz führen können
5.1. Einschränkung von Verlustverrechnungen bei Termingeschäften
Wie man sehen kann, ist der zuvor geschilderte Fall, wie Steuern trotz hoher Verluste anfallen können, schon seit Langem bekannt. Anstatt aber, dass der Gesetzgeber diese Regelungen aufhebt, zumindest aber abmildert, hat er sie in letzter Zeit sogar punktuell verschärft. Denn in Bezug auf die steuerliche Behandlung von Verlusten aus Termingeschäften ersann der Gesetzgeber eine Maßnahme, die Anleger vor den Risiken solcher Transaktionen schützen sollte. Dazu verringerte er deren Attraktivität und zwar auf eine Weise, bei der man sagen kann, er hätte sie gleich komplett verbieten können.
So führte er 2021 eine Änderung in § 20 Absatz 6 EStG ein. Demnach war ursprünglich eine Verlustverrechnung bei Verlusten aus Termingeschäften über EUR 10.000 ausgeschlossen (aktuell liegt die Grenze bei EUR 20.000). Und zwar sowohl mit anderen Einkunftsarten als auch mit solchen aus anderen Kapitaleinkünften, mit Ausnahme von Stillhalteprämien. Zum Beispiel verbietet diese Norm, dass man Dividenden aus Aktiengeschäften mit Verlusten aus Termingeschäften verrechnen darf.
Was das in der Praxis zu bedeuten hat, wissen etwa die Händler von Differenzkontrakten, sogenannten CFDs (Abkürzung für contract for difference). So berichtete die FAZ vor einigen Monaten, dass der CFD-Verband schätzt, dass etwa 25.000 CFD-Anleger in Deutschland im Jahr 2022 Verluste aus ihren CFD-Geschäften erzielt hätten. Geht man von der Statistik des CFD-Verbands aus, dass im Durchschnitt jeder von ihnen täglich einen Kontrakt über eine Wert von EUR 40.000 abgeschlossen hat, erahnt man, wie gravierend die Auswirkungen einer Verlustbeschränkung auf EUR 20.000 sind. Wenn wundert es da, dass der CFD-Handel im gleichen Zeitraum um ein Drittel eingebrochen ist.
5.2. Steuerliche Auswirkungen der Verlustbeschränkung von Termingeschäften
Ein Rechenbeispiel:
Gewinne aus Termingeschäften | EUR 120.000 |
Verluste aus Termingeschäften | EUR 120.000 |
2022 zu versteuern (EUR 120.000 – EUR 20.000) | EUR 100.000 |
Berechnung der Einkommensteuer: EUR 100.000 x 25 % | EUR 25.000 ESt |
Würde man hierbei Verluste mit Gewinnen aus anderen Einkunftsarten verrechnen, zum Beispiel Verluste aus Gewerbebetrieb mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, wäre keine Steuer angefallen. Streng genommen fällt aber auch bei diesen reinen Termingeschäften weder ein Gewinn noch ein Verlust an. Dennoch muss man EUR 25.000 an Kapitalertragsteuer abführen. Dass dabei ein Verlustvortrag über EUR 100.000 verbleibt, den man in Zukunft jährlich mit maximal EUR 20.000 abschmelzen kann, ist da sicherlich kein echter Trost. Im Gegenteil: viele Betroffene dürften dies eher als Hohn empfinden.
5.3. Auch Krypto-Futures sind von der Verlustbeschränkung betroffen
So oder so ähnlich sieht die Sache auch bei anderen Arten von Termingeschäften aus. Außerdem fallen auch Futures auf Kryptowährungen hierunter. Wer dabei bedenkt, dass die Pleite der Krypto-Handelsbörse FTX letztes Jahr für weiteres Ungemach unter Anlegern gesorgt hat, versteht, dass die Verlustbeschränkung bei Termingeschäften durchaus existenzbedrohende Ausmaße annehmen kann. Jedenfalls ist die Verlustbeschränkung nach § 20 Absatz 6 Satz 5 EStG kein Schutz für Anleger, so groß die Verlustrisiken beim Termingeschäftehandel auch immer sein mögen. Sie ist aber durchaus eine Gelegenheit, wie dem Fiskus trotz Verlusten Steuereinnahmen zufließen, selbst wenn die Steuern die Steuerpflichtigen dabei in die Privatinsolvenz stürzen.
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6. Privatinsolvenz durch Steuern – Fazit
Die Verschärfung der Verlustbeschränkung, die 2019 in der großen Koalition unter Federführung des damaligen Bundesministeriums für Finanzen beschlossen wurde (damals war Olaf Scholz Bundesfinanzminister), ist ein weiteres, neu entstandenes Risiko, warum man durch übermäßige Steuern in die Privatinsolvenz rutschen kann. Zwar stellt dies unserer Ansicht nach ein Verstoß sowohl gegen das subjektive als auch das objektive Nettoprinzip dar, doch damit scheint auch der jetzige Bundesfinanzminister kein Problem zu haben, zumindest kein drängendes. Immerhin profitiert der Fiskus ja kräftig und ungeniert von dieser Regelung.
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