Auch im Steuerrecht kann sich nach der Auslegung einer Norm ergeben, dass diese eine Gesetzeslücke enthält. Dann stellt sich die Frage, ob der Rechtsanwender diese Lücke im Wege der Rechtsfortbildung schließen darf oder, ob im Steuerrecht ein Analogieverbot gilt. Wir erklären welche Probleme entstehen und wie Gesetzeslücken im Ergebnis geschlossen werden.
Unser Video: Gesetzgebungsverfahren in der Praxis: So werden neue Steuergesetze erlassen
In diesem Video erklären wir, wie Steuergesetze erlassen werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Auslegung macht Gesetzeslücken kenntlich
Steuergesetze können unterschiedlich verstanden werden. Normen sind auszulegen. Dabei sind der Telos, die Systematik, die Grammatik und die Historie der Norm zu beachten. Die äußerste Grenze der zulässigen Auslegung bildet dabei der Wortlaut der Norm.
2. Verfahren bei Gesetzeslücken
2.1. Vorliegen einer Gesetzeslücke
Von der Auslegung einer Norm ist die Ausfüllung von Gesetzeslücken durch Rechtsfortbildung zu unterschieden. Eine Lücke im Gesetz wird erst ersichtlich, wenn der Rechtsanwender die Norm ausgelegt hat. Nachdem der Rechtsanwender eine Lücke durch Auslegung gefunden hat, macht er sich Gedanken, ob er die erkannte Gesetzeslücke ausfüllen kann.
Die Ausfüllung von Gesetzeslücken beginnt damit jenseits des möglichen Wortverständnisses des Gesetzes. Mit dem Wortlaut einer Norm endet nämlich nicht zwingend die rechtliche Würdigung des Sachverhalts. Der Eintritt der Rechtsfolge kann dem Gesetzeszweck vielmehr auch neben den, von dem Wortlaut erfassten Fällen entsprechen. Dann ist die Anwendung der Norm kraft Analogie oder juristisch wertender Logik in Betracht zu ziehen.
Der Gesetzgeber hat bei der Entwicklung des Gesetzes in der Regel einen bestimmten Plan. Er wollte bestimmte Fundamentalprinzipien der Besteuerung durch gesetzliche Anordnungen verdeutlichen oder einen Zielkonflikt durch eine bestimmte gesetzliche Vorrangwertung auflösen. Ist ihm dies nicht vollständig gelungen, so liegt eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes vor. Dann ist das Gesetz gemessen an dem zu Grunde liegenden Plan beziehungsweise den zugrundeliegenden Wertungen unvollständig beziehungsweise fehlerhaft formuliert. Eine Gesetzeslücke definiert sich also als eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes.
Unser Video: Warum sind Steuergesetze so kompliziert?
In diesem Video erklären wir, wieso Steuergesetze insbesondere durch den Grundsatz der Leistungsfähigkeit so kompliziert werden.
2.2. Beispiel für eine Gesetzeslücke
Einen solchen Fall betrifft beispielsweise das Zusammenspiel von § 4 Absatz 1 Satz 2 EStG mit § 6 Absatz 1 Nummer 4 Satz 1 EStG. § 4 Absatz 1 Satz 2 sieht eine außerbilanzielle Korrektur auch bei der Nutzungsentnahme und Leistungsentnahme vor. Eine Bewertungsregelung sieht der § 6 Absatz 1 Nummer 4 Satz 1 EStG aber nur für den Fall der Entnahme von Wirtschaftsgütern im engeren Sinne vor. Zwingend notwendig ist es aber auch Nutzungsentnahmen und Leistungsentnahmen zu bewerten. Ohne Bewertung kann keine außerbilanzielle Korrektur erfolgen. Daher ist eine richterrechtliche Rechtsfortbildung zwecks Bewertung der anderen Entnahmevarianten erforderlich.
2.3. Hauptanwendungsfall des Ausfüllens von Gesetzeslücken
Der Hautpanwendungsfall der Lückenschließung eines Gesetzes durch Rechtsfortbildung liegt vor, wenn sich nach dem Telos der Norm die Unvollständigkeit des Gesetzes ergibt. Dann kommt der Rechtsanwender zu dem Ergebnis, dass der rechtlich zu würdigende Sachverhalt nicht mehr von dem Wortlaut der Norm umfasst ist, diese Norm aber eigentlich nach ihrem Gesetzeszweck auf den Sachverhalt anwendbar sein sollte.
2.4. Unterscheidung der Gesetzeslücken in zeitlicher Hinsicht
In zeitlicher Hinsicht lassen sich die Gesetzeslücken in anfängliche, also dem Gesetzgeber an sich erkennbare, und nachträgliche Lücken unterteilen. Nachträgliche Lücken können sich zum einen durch bei Normerlass noch nicht vorhersehbare wirtschaftliche oder technische Entwicklungen ergeben. Sie können aber auch aus rechtsdogmatischen Erkenntnisfortschritten – wie Änderungen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung – entstammen, wenn der Gesetzgeber den Regelungsbedarf noch anhand des traditionellen Rechtsprechungsansatzes abgeschätzt hat. Entsprechendes gilt auch bei einem punktuellen Anwendungsvorrang des EU-Rechts.
Der Rechtsanwender darf und muss grundsätzlich sowohl anfängliche und auch nachträgliche, planwidrige Regelungslücken durch Rechtsfortbildung schließen. Hinsichtlich schon im Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses bestehenden, anfänglichen Gesetzeslücken ist allein der Begründungsaufwand für die Darlegung der Planwidrigkeit höher.
3. Planwidrigkeit der Gesetzeslücke erforderlich
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass eine Gesetzeslücke, die der Rechtsfortbildung zugänglich ist, nur dann vorliegen kann, wenn sie planwidrig ist. Daher ist die planwidrige Unvollständigkeit trennscharf von dem bewussten Regelungsverzicht zu unterscheiden. Bewusster Regelungsverzicht liegt vor, wenn der Gesetzgeber absichtlich bestimmte Bereiche von bestimmten Rechtsfolgen ausgenommen hat. Ein bewusster Regelungsverzicht liegt beispielsweise hinsichtlich Steuervergünstigungen vor, die sich auf bestimmte Investitionen beschränken.
In diesem Fall darf der Rechtsanwender seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung nicht an die Stelle des Gesetzgebers setzen. Setzt er sich so über den Willen des Gesetzgebers hinweg, liegt unzulässige Rechtsschöpfung contra legem vor. Die gewollte Lücke kann einen Gleichheitsverstoß und damit die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung begründen. Dies darf aber lediglich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) feststellen.
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4. Vergleichbarkeit der Sachverhalte
Erforderlich für eine Analogie ist, dass sich in einer bestimmten Rechtsnorm oder in einer Kombination von Rechtsnormen eine gesetzgeberische Wertung manifestiert. Im Licht dieser gesetzgeberischen Wertung muss der nicht wortlautgedeckte Sachverhalt dem geregelten Fall so ähnlich erscheinen, dass die gesetzlich vorgesehene Rechtsfolge auch auf den ungeregelten Fall zu erstrecken ist.
Die gesetzgeberische Wertung kann in einer steuerartspezifischen Grundwertung gerechter Lastenausteilung (also in einem Fundamentalprinzip der Besteuerung) liegen. Bei Sozialzwecknormen kommt als gesetzgeberische Wertung aber auch eine Vorrangwertung zugunsten von Lenkungszielen, eine Vorrangwertung zwischen gegenläufigen Prinzipien oder eine der Verwaltungspraktikabilität geschuldete Wertung in Betracht.
Stets kommt es darauf an, ob der von dem Wortlaut nicht erfasste Sachverhalt mit dem gesetzlich geregelten wertungsmäßig vergleichbar ist. Die analoge Anwendung darf nicht zu einer Vertiefung des im Gesetz bereits angelegten Gleichheitsverstoßes führen. Ungerechtfertigte, nicht durch hinlängliche Gemeinwohlerwägungen legitimierte Steuerprivilegien sind nicht analogiefähig.
5. Analogieverbot im Steuerrecht?
5.1. Die Probleme des Analogieverbots im Steuerecht
Ob ein teilweises Analogieverbot im Steuerrecht existiert, ist erheblich umstritten. Problematisch ist bei der Beurteilung der Analogie im Steuerrecht, dass Steuerrecht Eingriffsverwaltung des Staates ist. Eingriffe in Grundrechte des Bürgers bedürfen einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Bei Vorliegen einer Gesetzeslücke trifft bei Zulässigkeit der Analogie nicht der Gesetzgeber die Entscheidung über den Geltungsbereich einer Norm. Den Geltungsbereich bestimmt vielmehr die Judikative oder Exekutive im Rahmen der Rechtsfortbildung. Mithin stellt sich die Frage, ob dies mit dem Demokratieprinzip und dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar ist.
Demgegenüber könnte aber auch der Gleichheitsgrundsatz (Artikel 3 Absatz 1 GG) es gerade gebieten, eine Analogie zuzulassen, um vergleichbare Sachverhalte gleich und nicht vergleichbare Sachverhalte ungleich zu behandeln.
Sollte eine Analogie im Steuerrecht zulässig sein, so stellt sich in einem weiteren Schritt die Frage, ob insbesondere an eine steuerverschärfende Rechtsfortbildung erhöhte Anforderungen zu stellen sind.
5.2. Argumentation für ein Analogieverbot
Teils wird für das Steuerrecht ein Verbot steuerschärfender Rechtsfortbildung angenommen. Dafür spricht nach den Vertretern dieses Analogieverbots vor allem das Demokratieprinzip sowie die rechtsstaatlichen Grundsätze der Gewaltenteilung und der Rechtssicherheit. Sie argumentieren, dass es sich bei der strafschärfenden Rechtsfortbildung um eine administrative oder judizielle Selbstermächtigung zu freiheitsbeschränkenden Eingriffen über den gesetzlichen Rahmen hinaus handelt.
5.3. Argumentation gegen ein Analogieverbot
Seit 1982 wird jedoch das Verbot steuerstrafschärfender Rechtsfortbildung als verfehlter Sonderweg des Steuerrechts gegenüber sonstigem Verwaltungsrecht abgelehnt. Auch das BVerfG hat sich inzwischen von einem Analogieverbot im Steuerrecht distanziert. Der Bundesfinanzhof (BFH) konnte zu diesem Thema bis auf weiteres keine einheitlichen Maßstäbe treffen.
Gegen ein Analogieverbot sprechen, die Vorgaben des allgemeinen Gleichheitssatzes. Diese gebieten es vielmehr, Rechtsfortbildung zur Schließung teleologischer Lücken im Normtext zuzulassen, wenn es sonst zu Wertungswidersprüchen käme. Die Analogie führt dazu, dass eigentlich nicht von der Regelung erfasste Fälle gleich behandelt werden, sofern und soweit sie im Lichte der ratio legis vergleichbar sind. Umgekehrt wird im Falle der teleologischen Reduktion die Gleichbehandlung von nicht Vergleichbaren durch Einfügung einer im Gesetzestext nicht vorgesehenen Ausnahmeregelung vermieden.
Zu einer solchen Schließung von Gesetzeslücken sind die Verwaltung und die Rechtsprechung in hinreichendem Maße funktionell und personell demokratisch legitimiert. Die sachliche Legitimation ergibt sich aus der erforderlichen Rückbindung an erkennbare gesetzgeberische Wertungen und Zielsetzungen. Es handelt sich damit nur um bloße Randkorrekturen des geschrieben Steuerrechts. Daher steht der im Demokratieprinzip und Gewaltenteilungsprinzip wurzelnde Gesetzesvorbehalt der Korrektur nicht entgegen.
Eine solche Erwartungshaltung an die Rechtsfortbildung hat der Gesetzgeber zumindest für die höchstrichterliche Rechtsprechung im Steuerrecht in den §§ 11 Absatz 4, 115 Absatz 2 Nummer 2 FGO auch explizit zum Ausdruck gebracht. Generell ausgeschlossen ist nur eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung zu Lasten des Steuerpflichtigen. Untersagt ist es daher auch beispielsweise unter Rückgriff auf das Leistungsfähigkeitsprinzip neuartige Steuern beziehungsweise Steuerarten zu erfinden. Insoweit hat vielmehr der Gesetzgeber alle wesentlichen Feststellungen selbst zu treffen. Dazu gehört beispielsweise die Feststellung, dass Katzen nicht der Hundesteuer unterliegen. Eine entsprechende Entscheidung des Gesetzgebers ist auch darin zu sehen, dass Gewinne aus der Veräußerung von privat verwaltetem Erwerbsvermögen jenseits der §§ 20 Absatz 2, 23 Absatz 1 EStG nicht einkommensteuerbar sind.
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6. Erhöhte Anforderung an die Analogie im Steuerrecht?
Ein im Wortlaut des Gesetzes vorgesehener Eingriff in die Grundrechte des Steuerpflichtigen ist für den Steuerpflichtigen und für seinen Berater typischerweise in höherem Maße vorhersehbar als eine Rechtsanwendung jenseits des Wortlauts der Norm. Der Wortlaut einer Norm hat Orientierungsfunktion für den Steuerpflichtigen. Daher stellt sich die Frage, ob an eine Rechtsfortbildung zulasten des Steuerpflichtigen – wenn sich beispielsweise für ihn eine Steuerlastverschärfung ergibt – erhöhte Anforderungen zu stellen sind.
Drängt sich die Lückenhaftigkeit des geltenden Rechts schon anhand des Gesetzestextes auf, so kann der Steuerpflichtige auch nicht rechtssicher darauf vertrauen, die Lücke würde nicht geschlossen. Insoweit kann er sich daher nicht auf Rechtssicherheit und Planungssicherheit berufen. Die Lückenhaftigkeit des geltenden Rechts drängt sich auf, wenn die Regelung normlogisch lückenhaft ist.
Von einer steuerverschärfenden Rechtsfortbildung ist ferner abzusehen, wenn dem unvollständigen Normenkomplex kein eindeutig zu bestimmender, von den verallgemeinerungsfähigen Wertungen getragener Normzweck zugrunde liegt. Ein fehlender Normzweck liegt beispielsweise vor, wenn sich die fragliche Norm nicht an übergeordneten Regelungszielen oder Strukturprinzipien orientiert. Dies gilt auch, wenn der Normenbestand hinsichtlich des Regelungsanliegens ambivalent ist und damit ein etwaiger Wertungswiderspruch zwar nicht ausgeschlossen, aber auch nicht mit hinreichender Überzeugungskraft begründet werden kann.
Eine Analogie zulasten des Steuerpflichtigen ist daher zusammenfassend nur dann möglich, wenn
- Eine Gesetzeslücke vorliegt,
- diese planwidrig ist,
- der geregelte und der nichtgeregelte Sachverhalt vergleichbar sind,
- die Gesetzeslücke sich aufdrängt.
Weitere Einschränkungen bedarf es nicht. Zwar kommt auch eine hinreichend vorhersehbare Rechtsfortbildung nicht an die Rechtsanwendung im Rahmen des Wortsinns heran. Die verbleibende, relativ geringe Einbuße an Normenklarheit ist aber zwecks Verwirklichung einer gleichheitskonformen Besteuerung hinzunehmen.
7. Rechtsinstitute neben der Analogie
7.1. Erst-Recht-Schluss
Mit einer Analogie eng verwandt ist der Erst-Recht-Schluss. Ihm liegt zugrunde, dass, wenn für Tatbestand A die Rechtsfolge eintritt, diese erst recht für Tatbestand B gelten muss. Hierbei gilt es zwei Varianten: den Schluss vom Größeren auf das Kleinere und den Schluss von dem Kleineren auf das Größere.
7.2. Teleologische Reduktion
Die teleologische Reduktion kommt zur Anwendung, wenn der Wortlaut der Norm zu weit geraten ist. Die teleologische Reduktion ist auf die Vermeidung von Wertungswidersprüchen durch Ungleichbehandlung von wertungsmäßig Verschiedenem gerichtet. Im Wege der teleologischen Reduktion wird dann ein Ausnahmetatbestand erschaffen.
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Die Abgabenordnung unterscheidet zwischen der Korrektur von Steuerbescheiden beziehungsweise diesen gleichgestellten Bescheiden und der Aufhebung sonstiger Verwaltungsakte. Bei letzteren ist zwischen dem Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsakts (§ 131 AO) und der Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts (§ 130 AO) zu differenzieren. In diesem Beitrag erklären wir unter welchen Voraussetzungen ein Verwaltungsakt widerrufen werden kann und wann überhaupt ein solches Widerrufsbedürfnis besteht.
Unser Video: Steuerbescheide/Verwaltungsakte (§§ 118, 119 AO) + Fristberechnung (§ 108 AO)
In diesem Video erklären wir allgemeine Regelungen zu Verwaltungsakten im Steuerrecht.
Inhaltsverzeichnis
1. Korrektur von Verwaltungsakten im Steuerrecht
1.1. Überwindung der Bestandskraft des Verwaltungsakts
Das Besteuerungsverfahren ist ein Massenverfahren. Im Interesse der Gesetzmäßigkeit und Gleichheit der Besteuerung sind daher Korrekturmöglichkeiten hinsichtlich Verwaltungsakten nötig. Ist die Rechtsbefehlsfrist abgelaufen, so erwachsen Verwaltungsakte zwar in Bestandskraft. Dies heißt aber nicht, dass der Verwaltungsakt auch bestandsfest ist. Trotz der Bestandskraft kann die Behörde den Verwaltungsakt aufheben. Dazu gewährt die Abgabenordnung unterschiedliche Möglichkeiten. Allen gemein ist aber, das Erfordernis einer Abwägung der Prinzipen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes mit der Gesetzmäßigkeit.
1.2. Korrektursystem der Abgabenordnung
Das Korrektursystem der Abgabenordnung ist dualistisch gespalten. Es ist zwischen den §§ 130, 131 AO und den §§ 165, 172 ff. AO zu differenzieren. §§ 130 bis 132 AO regeln die Möglichkeit der Rücknahme und des Widerrufs nicht abschließend. Sonderregeln gelten mit den §§ 164 Absatz 2, 165 Absatz 2, 172-177 AO für Steuerbescheide und für solche Bescheide, für die die Regeln über Steuerbescheide entsprechend gelten. Daneben gibt es keinen Raum für die Anwendung der §§ 130 ff. AO. Anwendung findet § 131 AO aber unter anderem für die Ablehnung begünstigender Verwaltungsakte, für selbstständige Anordnung im Besteuerungsverfahren einschließlich der Außenprüfung, für die Aufforderung zur Buchführung, für die Festsetzung von Verspätungszuschlägen oder für Haftungsbescheide und Duldungsbescheide.
§ 131 AO stellt für rechtmäßige begünstigende (§ 131 Absatz 2 AO) und für nicht begünstigende (§ 131 Absatz 1 AO) unterschiedliche Regelungen zum Widerruf auf. Ein im Zeitpunkt des Erlasses rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt kann widerrufen werden (§ 131 Absatz 1 AO). Demgegenüber kann ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt aus Vertrauensschutzgründen nur in seltenen Ausnahmefällen widerrufen werden (§ 131 Absatz 2 AO).
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1.3. Rechtmäßiger Verwaltungsakt
Seinem Wortlaut nach erfasst § 131 AO nur rechtmäßige Verwaltungsakte. Ein Verwaltungsakt ist rechtmäßig, wenn er aufgrund des Gesetzes ergangen ist und kein materielles oder formelles Gesetz verletzt. Dazu gehört bei Ermessensverwaltungsakten auch, dass sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhalten und dem Zweck der Ermessensermächtigung entsprechen. Die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts richtet sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts. Wird der Verwaltungsakt später rechtswidrig, kann also allenfalls ein Widerruf nach § 131 AO möglich sein. Ihm Rahmen der Prüfung einer Ermessensentscheidungen ist auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen.
Über den Wortlaut des § 131 Absatz 2 Nummer 1 AO hinaus ist die Norm auch auf rechtswidrige Verwaltungsakte anzuwenden. Was für rechtmäßige Verwaltungsakte gilt, muss erst recht für rechtswidrige Verwaltungsakte gelten. Ferner gilt § 131 auch für Verwaltungsakte, die in rechtmäßige umgedeutet (§ 128 AO) worden sind.
1.4. Bedürfnis zum Widerruf
Wenn doch der Verwaltungsakt rechtmäßig ist, stellt sich die Frage, wann das Bedürfnis bestehen könnte, den Verwaltungsakt zu widerrufen. Das Bedürfnis für einen Widerruf kann sich aber aufgrund geänderter Rechtslage und/oder Sachlage ergeben. Die Änderung der Rechtslage kann sich nur dann auswirken, wenn sie rückwirkend in Kraft gesetzt worden ist. Ansonsten ist sie nur bei Dauerverwaltungsakten relevant. Die Änderung der Sachlage hingegen wirkt sich nur auf Dauerverwaltungsakte aus
Bei Ermessensakten, die zwar rechtmäßig sind, kann sich ein Widerrufsbedürfnis daraus ergeben, dass die Finanzbehörde davon ausgeht, dem Ermessenszweck durch Rücknahme des Verwaltungsakts besser gerecht werden zu können. Zudem kann sich die Änderung der Sachlage und Rechtslage auch auf Ermessensdauerverwaltungsakte auswirken.
2. Widerruf rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakte
2.1. Grundsätzlich Möglichkeit des Widerrufs
Der Widerruf nicht begünstigender Verwaltungsakte ist in dem § 131 Absatz 1 AO geregelt. Demnach können sie grundsätzlich widerrufen werden. Dies gilt allerdings in jedem Fall nur mit Wirkung für die Zukunft.
§ 131 Absatz 1 AO spricht nicht von belastenden, sondern von nicht begünstigenden Verwaltungsakten. Daher sind nicht nur diejenigen Verwaltungsakte erfasst, die dem Betroffenen ein Tun, Dulden oder Unterlassen oder eine Geldleistung auferlegen. Vielmehr sind auch solche, die einen geltend gemachten Anspruch ablehnen oder eine negative Entscheidung treffen, umfasst. Hinsichtlich letzterer Entscheidungen, die einen Steuerbescheid betreffen gilt jedoch der § 172 Absatz 2 AO, so dass die Korrekturvorschriften für Steuerbescheide gelten. Mithin findet dann der § 131 AO keine Anwendung.
2.2. Ausschluss des Widerrufs
In § 131 Absatz 1 AO sind jedoch auch Ausschlussgründe normiert. Keine Widerrufsmöglichkeit besteht, wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste. Dies ist immer dann der Fall, wenn von Amts wegen kraft Gesetzesbindung die gleiche Maßnahme erneut getroffen werden müsste. Ferner gilt dies, wenn auf den Erlass des Verwaltungsakts ein Rechtsanspruch besteht oder, wenn bei Ermessensentscheidungen der Ermessenspielraum auf Null reduziert ist.
Weiterhin kann allein wegen Verfahrensfehlern und Formfehlern keine Aufhebung verlangt werden, wenn in der Sache keine andere Entscheidung zu treffen ist. Ferner kann ein Widerruf aus anderen Gründen unzulässig sein. Dies gilt beispielsweise, wenn die Behörde durch Weisung gebunden ist.
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3. Widerruf rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakte
3.1. Grundsätzlich keine Zulässigkeit des Widerrufs
Die Widerrufsmöglichkeit für begünstigende Verwaltungsakte ist in dem § 131 Absatz 2 AO geregelt. Für sie begrenzt das Vertrauensprinzip weitgehend die Widerrufsmöglichkeit. Nur in wenigen Ausnahmefällen, in denen kein Vertrauen investiert worden ist oder es nicht mehr investiert werden durfte ist ein Widerruf des Verwaltungsakts zulässig. Ferner kann auch das öffentliche Interesse den Widerruf verlangen. Diese Ausnahmefälle sind in dem § 131 Absatz 2 AO geregelt. Diese Aufzählung ist abschließend.
3.2. Ausnahme: Vorliegen eines Widerrufsgrundes
3.2.1. Widerrufsvorbehalt
Der Verwaltungsakt darf widerrufen werden, wenn der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder der der Widerruf im Verwaltungsakt vorbehalten war (§ 131 Absatz 2 Nummer 1 AO). Bei Widerrufsvorbehalten bedarf es keines Vertrauensschutzes, weil der Begünstigte aufgrund des Vorbehalts mit dem Widerruf rechnen muss.
Voraussetzung ist aber, dass der Vorbehalt des Widerrufs zulässig ist. Er darf grundsätzlich nur bei Ermessensakten beigefügt werden. Der Vorbehalt der Nachprüfung des Steuerbescheids kann nicht in einen Widerrufsvorbehalt nach § 163 AO umgedeutet werden.
Ist der Widerruf gesetzlich zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten worden, so muss die Behörde im Einzelfall abwägen, ob sie von ihrer Widerrufsbefugnis Gebrauch machen will. Die Ausübung des Widerrufsvorbehalts ist Ermessensausübung. Sie muss fehlerfrei sein und dem Zweck der Ermächtigung entsprechen. Maßgeblich sind dabei die Verhältnisse zur Zeit des Widerrufs.
3.2.2. Auflagenvorbehalt
Der begünstigende Verwaltungsakt darf gemäß § 131 Absatz 2 Nummer 2 AO widerrufen werden, wenn er zulässigerweise mit einer Auflage verbunden wurde und der Begünstigte die Auflage nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat. Der auf eine rechtswidrige Auflage gestützte Widerruf ist ermessensfehlerhaft. An der Erfüllung einer rechtmäßigen Auflage besteht jedoch ein berechtigtes Interesse der Behörde. Erfüllt der Begünstigte eine zulässige Auflage und damit berechtigte Verhaltenserwartungen nicht, so verdient er keinen Vertrauensschutz. Der Widerruf beruht alleine auf seinem eigenen Verhalten.
Dabei sind jedoch auch die Gründe für die Nichterfüllung der Auflage unerheblich, so dass kein Verschulden seitens des Begünstigten erforderlich ist. Jedoch muss die Finanzbehörde vor der Ausübung des Widerrufs zunächst prüfen, ob die Auflage versucht wurde mit Zwangsmitteln durchzusetzen. Dennoch muss die zwangsweise Durchsetzung nicht zwingend dem Widerruf des Verwaltungsakts vorangehen. Es ist zu beachten, dass das Zwangsverfahren umständlich und kostenintensiv ist. Der Schutz der Allgemeinheit vor solchen Belastungen ist grundsätzlich höher zu bewerten, als der Schutz eines nonkonform handelnden Steuerpflichtigen. Relevant sind dabei aber auch die Umstände des Einzelfalls und das Verhalten des Steuerpflichtigen.
Tritt hingegen eine aufschiebende Bedingung nicht ein, so wird die Begünstigung nicht wirksam. Tritt eine auflösende Bedingung ein, so wird der Verwaltungsakt unwirksam, ohne dass es eines Widerrufs bedarf. Bei Fristablauf entfallen die Wirkungen des Verwaltungsakts für die Zukunft durch Zeitablauf.
Unser Video: Änderung/Aufhebung von Steuerbescheiden (§§ 129-131 + §§ 164-177)
In diesem Video erklären wir, wie die Korrektur von Steuerbescheiden erfolgt.
3.2.3. Nachträglich eingetretene Tatsache
Ferner ist der Widerruf eines begünstigenden Verwaltungsakts zulässig, wenn die Behörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet wäre. Die Gefährdung des öffentlichen Interesse ist erforderlich, weil das nachträgliche Eintreten von Tatsachen in der Regel nicht auf das Verhalten des Begünstigten zurückzuführen ist und von ihm nicht vorauszusehen ist. Dabei muss das öffentliche Interesse von einem solchen Gewicht sein, dass der Vertrauensschutz nach den Umständen des Falles deutlich zurücktritt. Bagatellauswirkungen gefährden das öffentliche Interesse nicht.
Tatsache ist jeder Lebensvorgang, der insgesamt oder teilweise den gesetzlichen Steuertatbestand oder ein einzelnes Merkmal dieses Tatbestands erfüllt. Diese Lebensvorgänge sind Zustände und Vorgänge der Seinswelt, die Eigenschaften der Gegenstände dieser Seinswelt und die gegenseitigen Beziehungen zwischen diesen Gegenständen. Um Tatsachen handelt es sich indes nicht, wenn sich nachträglich die Rechtslage ändert oder wenn die Rechtslage von Gerichten oder Behörden nachträglich anders beurteilt wird. Um eine Tatsache handelt es sich demgegenüber, wenn sich die steuerrechtliche Beurteilung eines Sachverhalts in einem anderen Bescheid ändert und dieser Bindungswirkung für den zu widerrufenden hat.
Voraussetzung ist ferner, dass sich der Sachverhalt, auf den sich der begünstigende Verwaltungsakt gründet, durch nachträglich eintretende Tatsachen ändert. Dabei ist aber erforderlich, dass keine Entscheidung für endgültige Dauer getroffen werden sollte. Eine solche Dauerentscheidung ist beispielsweise das Bestehen eines Examens. Dem Prüfling können die Befugnisse aus der Prüfung nicht entzogen werden, wenn er seine Fachkenntnisse vergisst. Tatsachen treten nicht nachträglich ein, wenn die Behörde rechtserhebliche Tatsachen, die schon vor Erlass des VA bestanden, erst nachträglich zur Kenntnis bekommt oder deren Rechtserheblichkeit erst nachträglich erkennt. Entsprechendes gilt, wenn sie den unveränderten Sachverhalt nachträglich anders würdigt.
4. Umfang des Widerrufs
4.1. Sachlicher Umfang
Inwieweit der Verwaltungsakt widerrufen werden kann, hängt davon ab, wieweit die Widerrufsgründe reichen. In Abhängigkeit dazu kommt ein gesamter Widerruf oder ein Teilwiderruf in Betracht. Ein Teilwiderruf liegt bei einer den Inhalt einschränkenden Änderung vor.
Auch, wenn der Widerrufsgrund nur einen Teil des Verwaltungsakts erfasst, so kann er im Ganzen zu widerrufen sein. Dies gilt, wenn der vom Widerrufsgrund betroffene Teil so wesentlich ist, dass die Finanzbehörde bei Kenntnis des Widerrufsgrunds den ganzen Verwaltungsakt nicht erlassen hätte.
4.2. Zeitlicher Umfang
Es ist nur ein Widerruf mit Wirkung für die Zukunft möglich. Daher kann sich der Widerruf nur auf Dauerverwaltungsakte auswirken. Der widerrufene Verwaltungsakt wird mit dem Wirksamwerden des Widerrufs unwirksam. Nach ihrem Ermessen kann die Finanzbehörde aber auch einen späteren Zeitpunkt bestimmen (§ 131 Absatz 3 AO).
5. Widerrufsfrist
Soweit eine Festsetzungsfrist gilt, dürfen Verwaltungsakte nach Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr aufgehoben oder geändert werden (§ 169 Absatz 1 AO). Für begünstigende Verwaltungsakte gemäß §§ 131 Absatz 2 in Verbindung mit § 130 Absatz 3 AO ist eine Sonderregelung zu beachten. Demnach ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres nach Kenntnisnahme der, die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen möglich. Dies gilt allerdings nicht für den Fall, dass der Verwaltungsakt durch unlautere Mittel erwirkt worden ist.
6. Rechtsbehelf
Der ursprüngliche Verwaltungsakt wird wieder wirksam, wenn der Widerruf im Rechtsbehelfsverfahren oder von der Behörde aufgehoben wird. Gegen den Widerruf eines Verwaltungsakts ist der Einspruch statthaft. Dieser ist auch gegen die Ablehnung des Widerrufs statthaft.
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Einspruch/Klage
- Steuererklärung bei undurchsichtiger Rechtslage richtig abgeben
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- Tatsächliche Verständigung im Festsetzungsverfahren
- Einspruchsbefugnis bei der einheitlichen Festsetzung
- Aussetzung des Verfahrens
Betriebsprüfung
- Bilanzberichtigung und Bilanzänderung
- Richtiges Auftreten bei einer Betriebsprüfung
- Ablauf und Prüfungsbericht
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Nicht nur begrifflich unterscheidet die Abgabenordnung zwischen der Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts und dem Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsakts (§ 131 AO). Die Rücknahme eines Verwaltungsakts ist im Steuerrecht in § 130 AO geregelt. Dabei gelten unterschiedliche Regelungen für rechtswidrige begünstigende und nicht begünstigende Verwaltungsakte. Speziell ist geregelt, wann ein Steuerbescheid korrigiert werden kann. Auf Steuerbescheide findet § 130 AO daher keine Anwendung. Wir erklären unter welchen Voraussetzungen eine Rücknahme möglich ist.
Unser Video: Steuerbescheide/Verwaltungsakte + Fristberechnung
In diesem Video erklären wir allgemeine Regelungen zu Verwaltungsakten im Steuerrecht.
Inhaltsverzeichnis
1. Korrektur von Verwaltungsakten im Steuerrecht
1.1. Überwindung der Bestandskraft des Verwaltungsakts
Das Besteuerungsverfahren ist ein Massenverfahren. Im Interesse der Gesetzmäßigkeit und Gleichheit der Besteuerung sind daher Korrekturmöglichkeiten von Verwaltungsakten nötig. Ist die Rechtsbefehlsfrist abgelaufen, so erwachsen Verwaltungsakte zwar in Bestandskraft. Dies heißt aber nicht, dass der Verwaltungsakt auch bestandsfest ist. Trotz der Bestandskraft kann die Behörde den Verwaltungsakt aufheben. Dazu gewährt die Abgabenordnung unterschiedliche Möglichkeiten. Allen gemein ist aber, das Erfordernis einer Abwägung der Prinzipen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes mit der Gesetzmäßigkeit.
1.2. Korrektursystem der Abgabenordnung
Das Korrektursystem der Abgabenordnung ist dualistisch gespalten. Es ist zwischen den §§ 130, 131 AO und den §§ 165, 172 ff. AO zu differenzieren. §§ 130 bis 132 AO regeln die Möglichkeit der Zurücknahme und des Widerrufs nicht abschließend. Sonderregeln gelten mit den §§ 164 Absatz 2, 165 Absatz 2, 172-177 AO für Steuerbescheide und für solche Bescheide, für die die Regeln über Steuerbescheide entsprechend gelten. Daneben gibt es keinen Raum für die Anwendung der §§ 130 ff. AO. Anwendung findet § 130 AO aber unter anderem für die Ablehnung begünstigender Verwaltungsakte, für selbstständige Anordnung im Besteuerungsverfahren einschließlich der Außenprüfung, für die Aufforderung zur Buchführung, für die Festsetzung von Verspätungszuschlägen oder für Haftungsbescheide und Duldungsbescheide.
§ 130 AO stellt für rechtswidrige begünstigende (§ 130 Absatz 2 AO) und für nicht begünstigende (§ 130 Absatz 1 AO) unterschiedliche Regelungen zur Rücknahme auf. Ein im Zeitpunkt des Erlasses rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt kann zurückgenommen werden (§ 130 Absatz 1 AO). Demgegenüber kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt aus Vertrauensschutzgründen nur in seltenen Ausnahmefällen zurückgenommen werden (§ 130 Absatz 2 AO).
Ob ein Verwaltungsakt rechtswidrig ist, bestimmt sich nach dem Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts. Wird der Verwaltungsakt später rechtswidrig, kann also allenfalls ein Widerruf nach § 131 AO möglich sein. Daher macht die nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage den ursprünglich rechtmäßigen Verwaltungsakt nicht rechtswidrig. Die objektive Beweislast dafür, dass der zurückgenommene Verwaltungsakt rechtswidrig war und dass die Voraussetzungen für die Zurücknahme vorliegen, hat bei belastender Auswirkung für den Steuerpflichtigen grundsätzlich die Behörde.
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2. Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte
2.1. Rücknahme nur in Ausnahmefällen zulässig
Begünstigende, rechtswidrige Verwaltungsakte können nach Maßgabe des § 130 Absatz 2 AO zurückgenommen werden. Dabei ist das Vertrauensinteresse des Betroffenen in den Bestand des begünstigenden Verwaltungsakts zu beachten. Daher kehrt der § 130 Absatz 2 AO den Grundsatz des Absatzes 1 um. Mithin darf der begünstigende rechtswidrige Verwaltungsakt grundsätzlich nicht zurückgenommen werden. Nur unter bestimmten Voraussetzungen ist eine Rücknahme möglich, nämlich in Fällen, in denen der Betroffene nicht auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut oder in denen sein Vertrauen nicht schutzwürdig ist.
Die Voraussetzungen, unter denen ein rechtswidriger, begünstigender Verwaltungsakt zurückgenommen werden kann, sind in den § 130 Absatz 2 Nummern 1 – 4 AO abschließend geregelt. Dabei kann die Finanzbehörde jedoch Gründe nachschieben. Sie kann sich daher statt auf § 130 Absatz 2 Nummer 2 AO im Nachgang auf die Nummer 3 berufen.
Es liegt hingegen kein Rücknahmegrund vor, wenn die Finanzbehörde nachträglich ihre Ansicht über die Rechtslage ändert oder nachträglich den Sachverhalt oder die Beweise anders würdigt, ohne dass falsche oder irreführende Angaben gemacht wurden.
Abweichend von den Regeln im allgemeinen Verwaltungsrecht (§ 49 Absatz 4 VwVfG) ist der Bestand des Verwaltungsakts im Rahmen des § 130 Absatz 2 AO nicht davon abhängig, dass der Begünstigte sein Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsakts durch besondere Dispositionen manifestiert hat. Jedoch muss die Behörde diesen Gesichtspunkt im Rahmen ihres Ermessens berücksichtigen.
2.2. Definition des begünstigenden Verwaltungsakt
Nach § 130 Absatz 2 AO sind begünstigende Verwaltungsakte solche, die ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründen oder bestätigen. Der Vorteil muss tatsächlich vorliegen. Es reicht nicht, dass der Beteiligte ihn subjektiv als Vorteil ansieht. Unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ist entscheidend, ob sich die Zurücknahme begünstigend oder belastend auf den Betroffenen auswirkt. In Betracht kommt hierbei, die Rücknahme eines belastenden Verwaltungsakts, um eine höhere Belastung an die Stelle zu setzen. Der ursprüngliche Verwaltungsakt ist insofern begünstigend, als er keine höhere Belastung begründet oder festsetzt. Die Steigerung der erreichten Belastung würde daher belastend wirken und sich damit nach § 130 Absatz 2 AO richten. Dies wirkt sich beispielsweise bei Verspätungszuschlägen, Zwangsgeldern oder Haftungsbescheiden aus.
Verwaltungsakte, die auf eine Geldzahlung gerichtet sind, haben demnach einen doppelten Charakter: sie belasten den Betroffenen insoweit, als dass sie einen bestimmten Betrag festsetzen. Demgegenüber begünstigen sie ihn aber gleichzeitig insoweit, als dass sie keinen höheren Betrag festsetzen. Hinsichtlich der Festsetzung eines höheren Betrags ist daher § 130 Absatz 2 AO und nicht § 130 Absatz 1 AO anzuwenden.
Ein Verwaltungsakt kann sich aber auch zum Teil begünstigend und zum Teil belastend auf den Betroffenen auswirken. Hebt die Finanzbehörde den belastenden Teil auf, so gilt § 130 Absatz 1 AO. Soll hingegen eine Rechtswirkung beseitigt werden, an deren Bestand der Betroffene ein schutzwürdiges Interesse hat, so gilt jedoch der § 130 Absatz 2 AO. Ein begünstigender Verwaltungsakt ist beispielsweise die Gestattung der Ist-Besteuerung nach § 20 UStG.
2.3. Rücknahmevoraussetzungen
2.3.1. Erlass durch eine sachlich unzuständige Behörde
Ein Rücknahmegrund liegt nach § 130 Absatz 2 Nummer 1 AO vor, wenn der Verwaltungsakt von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen wurde. Die sachliche Unzuständigkeit der Behörde begründet eine starke Vermutung für Inkompetenz.
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2.3.2. Durch unlautere Mittel erwirkt
Ein Verwaltungsakt lässt sich auch dann zurücknehmen, wenn er durch unlautere Mittel erwirkt wurde (§ 130 Absatz 2 Nummer 2 AO). Grund für diesen Rücknahmegrund ist, dass derjenige, der einen begünstigenden Verwaltungsakt durch diese Mittel erwirkt hat, nicht schutzwürdig ist. Als Beispiel für unlautere Mittel nennt das Gesetz die arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung.
Arglistige Täuschung bedeutet dabei die bewusste, vorsätzliche Irreführung. Sie kann auch in einem Unterlassen von Angaben liegen. Dies aber nur, wenn nach Lage des Falls die Verpflichtung bestand, sachdienliche Angaben zu machen. Unverschuldet falsche Angaben sind weder unlauter noch arglistig.
Eine Drohung liegt in der vorsätzlichen Erregung von Furcht vor einem Übel und mithin in psychischen Zwang. Der Bedrohte muss allein mit dem Übel rechnen. Daher ist es irrelevant, ob der Täter in der Lage ist, die Drohung wahr zu machen. Die Androhung zulässiger Mittel ist jedoch nicht tatbestandsmäßig.
Zwischen der Anwendung des unlauteren Mittels und dem Erlass des begünstigenden Verwaltungsakts muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Daher dürfte der Verwaltungsakt im konkreten Fall ohne Einsatz der Mittel nicht so ergangen sein, wie er tatsächlich ergangen ist.
In aller Regel wird der Begünstigte die unlauteren Mittel selbst anwenden und dann den Verwaltungsakt erwirken. Dies muss aber nicht sein. Vielmehr ist die Rücknahme auch zulässig, wenn das unlautere Mittel mit Wissen und Billigung des Begünstigten von einem Dritten angewendet worden ist und der Steuerpflichtige sich das Verhalten des Dritten zurechnen lassen muss. Dies gilt beispielsweise bei Bevollmächtigten oder Vertretern.
2.3.3. Unlautere Mittel der Behörde
Ein Rücknahmerecht nach § 130 Absatz 2 Nummer 2 AO besteht jedoch nicht, wenn der Beamte, der den begünstigenden Verwaltungsakt erlässt, unlautere Mittel anwendet. Der Beamte erwirkt den Verwaltungsakt nämlich nicht, sondern erlässt ihn. Für untreue Beamte, von deren gesetzeswidrigem Handeln der Begünstige nichts weiß, braucht der Steuerpflichtige nicht einzustehen. Nur, wenn der Beamte mit Wissen und Billigung des Begünstigten handelt oder der Begünstigte mit dem Beamten zusammenwirkt, lässt sich § 130 Absatz 2 Nummer 3 AO anwenden.
2.3.4. Durch unrichtige oder unvollständige Angaben
Ein Rücknahmerecht besteht auch, wenn der begünstigende Verwaltungsakt vom Berechtigten durch Angaben erwirkt worden ist, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren. Dann ist der Begünstigte nicht schutzwürdig. Er hat die Ursache für die Rechtswidrigkeit selbst gesetzt. Hat die Behörde die unrichtigen oder unvollständigen Angaben verursacht oder gar mitverschuldet, so greift § 130 Absatz 2 Nummer 3 AO jedoch nicht ein.
Dem Begünstigten muss die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit nicht bekannt gewesen sein. Die unrichtigen oder unvollständigen Angaben brauchen nicht schuldhaft gemacht worden sein. Liegt allein leichte Fahrlässigkeit vor, so kann die Behörde im Rahmen ihres Ermessens von der Rücknahme des Verwaltungsakts absehen. Hat der Betroffene den Fehler jedoch vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt, so ist das Ermessen auf Rücknahme reduziert.
Die Angaben müssen aber entscheidungserheblich gewesen sein. Das ist dann der Fall, wenn die Finanzbehörde den Verwaltungsakt bei vollständiger Kenntnis des Sachverhalts nicht beziehungsweise so nicht erlassen hätte.
Beispielsweise kann die Finanzbehörde den gewährten Erlass der Steuer aus persönlichen Billigkeitsgründen zurücknehmen, wenn sich später herausstellt, dass der Steuerpflichtige im Zeitpunkt des Erlassantrages einen Casinogewinn in Millionenhöhe verschwiegen hat.
2.3.5. Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit
Ein weiterer Rücknahmegrund besteht nach § 130 Absatz 2 Nummer 4 AO, wenn dem Begünstigten die Rechtswidrigkeit bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt ist. Dabei genügt aber nicht, dass der Begünstigte die tatsächlichen Umstände kennt, die zur Rechtswidrigkeit geführt haben. Vielmehr muss er das – wenn auch laienhafte – Bewusstsein der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts selbst haben. Hier sind die subjektiven Kenntnisse und Fähigkeiten des Begünstigten maßgeblich.
Ist der Verwaltungsakt einem Bevollmächtigten oder Vertreter bekannt gegeben worden und ist dieser verpflichtet, den Verwaltungsakt auf seine Rechtmäßigkeit zu prüfen, so sind dessen Rechtskenntnisse oder dessen rechtliches Kennenmüssen dem Begünstigten zuzurechnen.
2.3.6. Erweiterter Anwendungsbereich
Dem Wortlaut nach gilt der § 131 Absatz 1 Nummer 1, 2 AO nur für rechtmäßige Verwaltungsakte. Was für rechtmäßige Verwaltungsakte gilt, muss jedoch erst recht für rechtswidrige Verwaltungsakte gelten. Daher kommt es in den Fällen des § 131 Absatz 1 Nummer 1, 2 AO nicht darauf an, ob der Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Somit ist die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts auch möglich, wenn die Rücknahme zulässigerweise vorbehalten wurde (§ 131 Absatz 2 Nummer 1 AO) oder wenn eine Auflage nicht erfüllt wurde (§ 131 Absatz 2 Nummer 2 AO).
3. Rücknahme des nicht begünstigenden Verwaltungsakts
Einen nicht begünstigenden Verwaltungsakt kann die Behörde gemäß § 130 Absatz 1 AO nach ihrem Ermessen zurücknehmen. Daher muss sie ihn nicht zurücknehmen. Abzuwägen sind die Prinzipien der Einzelfallgerechtigkeit und das Allgemeininteresse an Rechtssicherheit und Rechtsfrieden.
Bei der Abwägung ist insbesondere zu beachten, dass die Vorschriften über die Rechtsbehelfsfristen nicht ausgehöhlt werden dürfen. Daher ist die Ablehnung der Rücknahme nicht ermessensfehlerhaft, wenn der Betroffene nur Umstände vorträgt, die er auch fristgerecht durch Rechtsbehelf hätte geltend machen können. Dies gilt beispielsweise, wenn der Steuerpflichtige zunächst Einspruch eingelegt hat und diesen später zurücknimmt.
Es ist aber nicht gerechtfertigt, das Begehren in jedem Fall unter Hinweis auf den Fristablauf abzulehnen. Dies gilt beispielsweise, wenn ein Rechtsbehelf nach den Umständen des Falls billigerweise nicht erwartet werden konnte oder wenn die Behörde den Steuerpflichtigen veranlasst hat, von einem Rechtsbehelf abzusehen.
Ferner ist die Schwere und Offensichtlichkeit des Rechtsverstoßes sowie die Frage, warum die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist gerügt wird, im Rahmen der Ermessensprüfung relevant.
Die Behörde wird den Verwaltungsakt aber in der Regel zurücknehmen, wenn er eindeutig fehlerhaft ist und nur durch Zurücknahme der Gesetzmäßigkeit genügt werden kann. Vertrauensschutzinteressen werden in aller Regel nicht entgegenstehen.
Führt die Behörde keine Ermessensprüfung durch, so liegt eine Ermessensunterschreitung vor, so dass die Ablehnung rechtswidrig ist. Behauptet der Steuerpflichtige allerdings allein die Rechtswidrigkeit und begründet diese Behauptung nicht, so ist es aber nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Finanzbehörde den Verwaltungsakt nicht auf seine Rechtmäßigkeit überprüft.
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4. Umfang der Rücknahme
4.1. Sachlicher Umfang
Soweit die Rechtswidrigkeit reicht, kann der Verwaltungsakt ganz oder teilweise zurückgenommen werden. Eine Teilrücknahme setzt dabei Teilrechtswidrigkeit voraus. Dafür muss der Verwaltungsakt teilbar sein. Verwaltungsakte, die auf eine Geldleistung gerichtet sind, sind stets teilbar. Betrifft die Rechtswidrigkeit nur einen Teil des Verwaltungsakts, so ist er aber im Ganzen rechtswidrig, wenn der rechtswidrige Teil so wesentlich ist, dass die Finanzbehörde den Verwaltungsakt ohne den rechtswidrigen Teil nicht erlassen hätte.
4.2. Zeitlicher Umfang
Nicht nur, ob der Verwaltungsakt zurückgenommen wird steht im Ermessen der Behörde. Vielmehr steht auch im Ermessen der Behörde, ob sie den Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft oder auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurücknimmt.
Dabei kommt die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit insbesondere dann in Betracht, wenn Fehler zu korrigieren sind, die ihre Ursache in der Sphäre des Bürgers haben. Daher ist der Verwaltungsakt in den Fälle des § 130 Absatz 2 Nummer 2 – 4 AO regelmäßig mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Demgegenüber ist eine Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft angezeigt, wenn Vertrauensschutz geboten ist, also insbesondere im Falle des § 130 Absatz 2 Nummer 1 AO.
Es muss dem Verwaltungsakt klar – hilfsweise mittels Auslegung – zu entnehmen sein, ob die Rücknahme für die Zukunft oder für die Vergangenheit gewollt ist. Lässt sich dies nicht ermitteln, so ist die Rücknahme mangels Bestimmtheit nichtig.
5. Rücknahmefrist
Die Rücknahme ist auch während des Einspruchsverfahrens und während des finanzgerichtlichen Verfahrens möglich. Soweit eine Festsetzungsfrist gilt, ist zu beachten, dass der Verwaltungsakt nach Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr zurückgenommen werden darf.
Für begünstigende Verwaltungsakte gilt die Sonderregelung des § 130 Absatz 3 AO. Demnach ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres nach Kenntnisnahme der, die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen möglich. Dies gilt allerdings nicht für den Fall, dass der Verwaltungsakt durch unlautere Mittel erwirkt worden ist.
Es ist unerheblich, ob die Tatsachen bereits zur Zeit des Erlasses des begünstigenden Verwaltungsakts existierten oder nicht. Die Tatsachen müssen der Finanzbehörde allein nachträglich bekannt sein. Sie müssen relevant sein, also die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigen. Dabei ist die Kenntnis der zur Bearbeitung des Falles organisationsmäßig berufenen Person oder Stelle innerhalb der Finanzbehörde entscheidend.
Ist die Behörde so lange untätig, dass der Steuerpflichtige den Umstände nach den Schluss ziehen kann, die Behörde werde von der Rücknahmemöglichkeit keinen Gebrauch mehr machen, so ist das Recht zur Rücknahme verwirkt. Der zur Verwirkung nötige Zeitablauf hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Es kommt auf die Sicht des Bürgers an. Daher sind behördeninterne Zustände oder Vorgänge unbeachtlich. Mithin ist irrelevant, ob die Behörde sich bewusst oder unbewusst, schuldhaft oder schuldlos untätig verhalten hat.
6. Rechtsfolgen der Rücknahme
Die Rücknahme beendet die Wirksamkeit des zurückgenommenen Verwaltungsakts (§ 124 Absatz 2 AO). Mit der Rücknahme entfällt die Möglichkeit, den Verwaltungsakt zu vollstrecken (§ 249 Absatz 1 AO) oder ihn zu erzwingen (§ 328 Absatz 1 AO). Sie ist ihrerseits ein Verwaltungsakt. Rechtsbehelfe gegen den ursprünglichen Verwaltungsakt sind nicht mehr möglich und ein anhängiger Rechtsbehelf erledigt sich.
Fraglich ist, ob und unter welchen Voraussetzungen an die Stelle des zurückgenommenen Verwaltungsakts ein neuer, den gleichen Gegenstand betreffender Verwaltungsakt gesetzt werden kann. Dies richtet sich danach, ob die Rücknahme eine „ersatzlose“ ist. Erfolgte die Rücknahme ersatzlos, so steht der Vertrauensschutz dem Erlass eines neuen Verwaltungsakts entgegen. Dabei ist der Begriff „ersatzlos“ unter Berücksichtigung aller Umstände so auszulegen, wie ihn der Betroffene verstehen konnte und musste. Erhält der Steuerpflichtige mit der laut Bescheid „ersatzlosen Rücknahme“ gleichzeitig den neuen Bescheid, so kann er der Ersatzlosigkeit nicht trauen.
7. Rechtsbehelfe
Die Rücknahme eines Verwaltungsakts kann mit dem Einspruch angefochten werden. Nimmt die Behörde den Rücknahmeverwaltungsakt im Einspruchsverfahren zurück, so wird der ursprüngliche Verwaltungsakt wieder wirksam.
Lehnt die Behörde es ab, einen rechtswidrigen Verwaltungsakt ganz oder zum Teil zurückzunehmen, ist ebenfalls der Einspruch statthaft. Handelt es sich jedoch bei der Ablehnung lediglich um einen sogenannten wiederholenden Verwaltungsakt, also hat die Behörde in der Sache nicht neu entschieden, so ist der Einspruch nicht statthaft.
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Sowohl im finanzbehördlichen Verfahren als auch im finanzgerichtlichen Verfahren ist die Rechtsbehelfsbelehrung wichtig. Oft kommt es aber vor, dass diese fehlerhaft ist. Fehler im finanzgerichtlichen Verfahren können sich dabei zulasten des Steuerpflichtigen aber auch zulasten des Finanzamts auswirken. Wir erklären die Folgen von Fehlern in der Rechtsbehelfsbelehrung.
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Inhaltsverzeichnis
1. Rechtsbehelfsbelehrung
1.1. Erfordernis der Rechtsbehelfsbelehrung
Ein Rechtsmittel ist eine Maßnahme, welche die Überprüfung eines Akts auf einer höheren Instanz ermöglicht. Demgegenüber ist ein Rechtsbehelf, ein Überprüfungsverfahren auf der gleichgeordneten Ebene. Rechtsbehelfe sind der Widerspruch und der Einspruch bei dem Finanzamt gegen einen Steuerbescheid. Für Die Einspruchsentscheidung ist die Pflicht zur Rechtsbehelfsbelehrung in dem § 366 Satz 1 AO geregelt. Für das finanzgerichtliche Verfahren findet sich eine entsprechende Regelung in dem § 55 FGO.
Die Rechtsbehelfsbelehrung im Finanzprozess ist eine schriftliche Information, die in einem gerichtlichen Urteil oder einem Steuerverwaltungsakt enthalten ist. Sie informiert die Betroffenen über die Möglichkeit und die Modalitäten, gegen diese Entscheidung einen Rechtbehelf einzulegen. Dazu weißt sie auf Fristen und sonstige formale Anforderungen hin. Dies dient dazu, den Rechtsschutz der Beteiligten zu gewährleisten und sie über ihre Rechte aufzuklären. Hierdurch gewährleistet die Rechtsbehelfsbelehrung die ordnungsgemäße Durchführung des Rechtsmittelverfahrens.
Die Rechtsbehelfsbelehrung soll dem Berechtigten aber nur zeigen, auf welchem Weg er eine Nachprüfung erreichen kann. Daher soll sie kein Reiseführer durch das Verfahrensrecht sein. Folglich muss sie insoweit ein Mittelweg zwischen den umfangreichen, tendenziell überfrachteten und fehleranfälligen Belehrungen und den wenig serviceorientierten Modellen zu finden.
1.2. Notwendiger Inhalt der Rechtsbehelfsbelehrung
Die Rechtsbehelfsbelehrung muss klar angeben, welche Rechtsmittel gegen die Entscheidung zulässig sind. Die Belehrung muss auch angeben, bei welcher Behörde oder welchem Gericht das Rechtsmittel einzulegen ist. Ebenfalls enthalten sein muss die Frist für die Einlegung des Rechtsmittels. Weitere Angaben sind nicht notwendig. Sie können aber zweckmäßig sein. Dies gilt beispielsweise für Angaben zur Klagebefugnis, den Inhalt des Rechtsbefehls und über die Berechnung der Frist.
1.3. Rechtsfolgen von Fehlern
Fehlt es an einer Rechtsbehelfsbelehrung in ordnungsgemäßer Form – fehlen also die notwendigen Angaben, so bleibt es nicht mehr bei der kurzen Rechtsmittelfrist von einem Monat. Die Rechtsmittelfristen sind in den folgenden Normen niedergeschrieben:
- § 47 FGO für die Klage,
- § 120 FGO für die Revision.
Damit wird aber nicht jede zeitliche Begrenzung für den Rechtsschutz beseitigt. Es greift anstelle die Jahresfrist des § 55 Absatz 2 FGO. Hintergrund dieser Regelung ist erneut die Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Der Rechtsschutz soll nicht an fehlender, falscher oder aus Sicht des Adressaten objektiv unklarer Information scheitern.
Sind hingegen nicht notwendige Angaben fehlerhaft, so kommt es nur zu der Jahresfrist, wenn sie geeignet sind, einen Beteiligten von der Erhebung eines Rechtsbehelfs abzuhalten.
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2. Aktuelles Urteil zur fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung
2.1. Fehler der Rechtsbehelfsbelehrung
In einem aktuell von dem Bundesfinanzhof (BFH) zu entscheidenden Fall ging es um eine von dem Finanzamt verspätet eingereichte Revision. Grund für die Revision war der Erfolg einer Klage eines Lohnsteuerhilfevereins vor dem Finanzgericht (FG). Die Rechtsbehelfsbelehrung des FG enthielt unter anderem folgende Angaben: „Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift: Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/9231-201. (…) Rechtsmittel können auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt und begründet werden (…)“.
§ 52d FGO sieht für Rechtsanwälte, Behörden und vertretungsberechtigte Personen die Pflicht zur elektronischen Übermittlung diverser Dokumente vor. Diese Norm ist am 01.01.2022 in Kraft getreten. Das elektronische Dokument muss gemäß § 52a Absatz 3 Satz 1 FGO mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Ein sicherer Übermittlungsweg ist gemäß § 52a Absatz Satz 1 Nummer 3 FGO der Übermittlungsweg zwischen einem eingerichteten Postfach einer Behörde oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und der elektronischen Poststelle des Gerichts. Die Rechtsbehelfsbelehrung gab keinen Hinweis auf diese Einreichungspflicht.
2.2. Revision des Finanzamts
Das Finanzamt legte die vom Finanzgericht zugelassene Revision daraufhin am 12.08.2022 per Post ein. Erst auf den Hinweis des BFH vom 17.08.2022, den elektronischen Rechtsverkehr nutzen zu müssen, reichte die Behörde das Dokument über das besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo) am 23.08.2022 ein. Die Rechtsmittelfrist war aber bereits am 22.08.2022 abgelaufen. Am 23.08.2022 war die Revision daher verfristet. Das Finanzamt stellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Diesen übersandt das Finanzamt am 07.09.2022 per Fax. Der am 31.08.2022 bereits per beBPo verschickte Antrag wurde fehlerhaft übermittelt.
Der BFH verwies die Revision mit Beschluss vom 15.05.2024 – Aktenzeichen (VII R 26/22) als unzulässig. Das Finanzamt hat die Frist des § 120 Absatz 1 Satz 1 FGO von einem Monat nach Zustellung des vollständigen Urteils zur Einlegung der Revision nicht gewahrt. Gemäß § 120 Absatz 1 Satz 3 FGO ist sie innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen.
2.3. Schriftsatz vom 12.08.2022 wahrt die Frist nicht
Der Schriftsatz vom 12.08.2022 wahrt die Frist zur Einlegung der Revision nicht. Der Schriftsatz genügt den gesetzlichen Formvorgaben nicht. Der Verstoß gegen die elektronische Einreichungspflicht des § 52d FGO führt zur Unwirksamkeit der Prozesshandlung. Sie gilt als nicht vorgenommen.
Ein fachkundiger Beteiligter, wie das Finanzamt kann die Angabe der Hausanschrift des BFH sowie dessen Postanschrift und dessen Telefax-Anschluss in der Rechtsbehelfsbelehrung nicht dahin verstehen, dass er das Rechtsmittel abweichend von den gesetzlichen Anforderungen des § 52d FGO auch postalisch oder per Telefax bei dem BFH einlegen und begründen darf.
2.4. Jahresfrist gilt nicht
Die Rechtsmittelfrist habe sich auch nicht wegen eines Fehlers in der Belehrung gemäß § 55 Absatz 2 Satz 1 FGO auf ein Jahr verlängert. Die Rechtsbehelfsbelehrung muss dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Artikel 2 Absatz 1, Artikel 20 Absatz 3, Artikel 19 Absatz 4 GG) Rechnung tragen. Demgegenüber muss sie aber auch so einfach und klar wie möglich sein. Unrichtig ist eine Belehrung daher erst dann, wenn sie in wesentlichen Aussagen unzutreffend oder derart unvollständig oder missverständlich gefasst ist, dass hierdurch – bei objektiver Betrachtung – die Möglichkeit zur Fristwahrung gefährdet erscheint. Die Rechtsbehelfsbelehrung ist auch dann vollständig und richtig, wenn sie im Hinblick auf die Form der Einlegung des Rechtsbehelfs nur den Wortlaut des Gesetzes wiederholt. Enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung auch Angaben, die nicht zwingend vorgeschrieben sind, muss sie diese richtig, vollständig und unmissverständlich darstellen.
Mit der Nennung der Hausanschrift wird der Sitz des BFH bezeichnet, wie § 55 Absatz 1 FGO verlangt. Die Ergänzung der Hausanschrift um die Postanschrift und den Telefax-Anschluss des BFH kann ein fachkundiger Beteiligter nicht dahin verstehen, dass er das Rechtsmittel abweichend von den gesetzlichen Anforderungen des § 52d FGO auch postalisch oder per Telefax beim BFH einlegen und begründen darf. Durch die Verwendung der Formulierung „können auch“ weist die Rechtsbehelfsbelehrung vielmehr zutreffend darauf hin, dass eine Übermittlung elektronischer Dokumente an den BFH technisch möglich ist, weil dieser einen „elektronischen Gerichtsbriefkasten“ unterhält. Vor diesem Hintergrund ist ein (Miss-)Verständnis der in der Rechtsbehelfsbelehrung gewählten Formulierungen in dem Sinne, dass es dem Beteiligten freistehe, ob er ein Rechtsmittel oder dessen Begründung beim BFH auf elektronischem Wege oder schriftlich auf dem Postweg einreiche, ausgeschlossen.
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2.5. Keine Widereinsetzung in den vorigen Stand
2.5.1. Materiell-rechtliche Anforderungen an die Widereinsetzung
Dem Finanzamt kann auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Absatz 1 FGO gewährt werden. Dies ist nur möglich, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dabei schließt jedes Verschulden, also auch einfache Fahrlässigkeit die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. In formeller Hinsicht ist dafür erforderlich, dass innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und in dem Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen. Diese Grundsätze über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gelten für die Finanzbehörde in gleicher Weise, wie für den Steuerpflichtigen.
2.5.2. Keine ausreichende Darlegung
Das Finanzamt hat einen Wiedereinsetzungsgrund nicht ausreichend dargelegt. Es führte an, dass es für die Aufsicht über den Kläger, einen Lohnsteuerhilfeverein, ein anderes und aufwendigeres Verfahren anwenden musste als in anderen Aufgabenbereichen der Finanzverwaltung. Nicht erläutert hat das Finanzamt hingegen, warum es die – nach seiner Darstellung – bereits seit Sommer 2021 bestehende Möglichkeit der Einrichtung sogenannter Überwachungskonten nicht bereits früher für den Kläger umgesetzt hat.
Zudem ist der Begründung des FA nicht zu entnehmen, warum es, nachdem es bereits mit gerichtlicher Verfügung vom 17.08.2022 auf die Pflicht zur Verwendung des elektronischen Rechtsverkehrs sowie auf § 56 FGO hingewiesen worden war, nicht bis zum Ablauf der Frist zur Einlegung der Revision am 22.08.2022 in der Lage gewesen ist, einen fristwahrenden Schriftsatz elektronisch an den BFH zu versenden. Nach dem gerichtlichen Hinweis waren hierfür fünf Tage Zeit, die das FA ungenutzt ließ. Weshalb das Hindernis erst am 23.08.2023 und nicht bereits am Vortag entfallen sein soll, erschließt sich nicht.
Der Darlegung des Finanzamt lässt sich nicht entnehmen, ob es im Zeitraum vom 17.08.2022 bis zum 22.08.2022 einen Versand der Revisionsschrift versucht hat, welcher erfolglos blieb. Das Finanzamt hat lediglich die behördliche Bestätigung der Fehlermeldung vom 31.08.2022 vorgelegt. Diese Fehlermeldung bezog sich aber auch den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und nicht auf die zuvor übersandte Revisionsschrift.
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Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann in einen fehlerfreien Verwaltungsakt gemäß § 128 AO umgedeutet werden. Die Umdeutung ist in § 128 AO geregelt und an gewisse Voraussetzungen geknüpft. Diese und die Rechtsfolgen einer Umdeutung erklären wir in diesem Beitrag.
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Inhaltsverzeichnis
1. Umdeutung als Verfahrenserleichterung
Es gibt Fälle, in denen ein Verwaltungsakt trotz seiner Rechtswidrigkeit nicht durch die Behörde oder im Rechtsbehelfsverfahren aufgehoben werden muss. Diese Fälle sind in dem § 126 AO (Heilungsvorschriften), dem § 127 AO (Verletzung von Verfahrensvorschriften und Formvorschriften) und dem § 128 AO (Umdeutung) geregelt. Das umständliche Verfahren zur Aufhebung ist in diesen Fällen obsolet. Es ist nicht erforderlich, den Verwaltungsakt zurückzunehmen und daraufhin einen neuen Verwaltungsakt zur Erreichung des gleichen Ziels in einem neuen Verfahren zu erlassen.
Vielmehr reicht es dann aus, den Verwaltungsakt umzudeuten. Diese Umdeutung ist aber an enge Voraussetzungen geknüpft. Sie ist unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte. Daher müssen die Voraussetzungen der Rücknahme (§ 130 AO) hinsichtlich des ursprünglichen Verwaltungsakts vorliegen. Zudem ist gemäß § 128 Absatz 1 AO erforderlich, dass der fehlerfreie, durch Umdeutung gebildete Verwaltungsakt in der geschehenen Verfahrensweise und in der entsprechenden Form fehlerfrei rechtmäßig hätte erlassen werden können. Weiterhin ist durch § 128 Absatz 4 AO sichergestellt, dass das Recht auf Gehör des Betroffenen nicht verkürzt wird.
Zur Umdeutung befugt ist nicht nur die Finanzbehörde, sondern auch das Finanzgericht. Dies gilt sogar für den Bundesfinanzhof. Dafür müssen dann aber die, den Bundesfinanzhof bindenden tatsächlichen Feststellungen ausreichen. Ferner muss den Beteiligten hierzu ausreichendes rechtliches Gehör gewährt worden und ihre Rechtsverteidigung nicht beeinträchtigt sein.
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2. Voraussetzungen der Umdeutung
2.1. Fehlerhafter Verwaltungsakt
Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann in einen anderen rechtmäßigen Verwaltungsakt umgedeutet werden. Das Gesetz spricht insoweit von fehlerhaften Verwaltungsakten. Fehlerhaft in diesem Sinne sind nichtige und rechtswidrige Verwaltungsakte. Nicht möglich ist aber beispielsweise eine Umdeutung einer fehlerhaften Bekanntgabe des Verwaltungsakts in eine wirksame, weil die Bekanntgabe selbst kein Verwaltungsakt ist.
2.2. Neuer Verwaltungsakt auf das gleiche Ziel gerichtet
Der neue, fehlerfreie Verwaltungsakt muss auf das gleiche Ziel gerichtet sein, wie der fehlerhafte Verwaltungsakt. Diese Formulierung ist relativ vage, so dass sich die Frage stellt, was unter „gleiches Ziel“ zu verstehen ist.
Mit jedem Verwaltungsakt verfolgt die Behörde eine bestimmte Absicht. Sie will einen rechtlichen Erfolg erreichen. Dieses Ziel muss dann auch durch den neuen, fehlerfreien Verwaltungsakt erreicht werden. Die Ziele eines Verwaltungsakts können belastend oder begünstigend sein. Der Vergleich zu § 128 Absatz 2 Satz 1 AO ergibt, dass auch die Änderung der Rechtsfolgen des Verwaltungsakts möglich ist, denn durch Umdeutung kann sich demnach eine günstigere Rechtsfolge ergeben. Denkbar wäre es beispielsweise einen Verspätungszuschlag herabzusetzen. Ferner hat das Oberverwaltungsgericht NRW einen Straßenbaubeitrag in einen Erschließungsbeitrag umgedeutet.
Es wäre nicht möglich, einen Steuerbescheid oder einen ähnlichen Bescheid auf ein anderes Kalenderjahr zu beziehen, wenn ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegt werden müsste. Das gleiche Ziel verfolgt die Behörde daher dann nicht, wenn der neue Verwaltungsakt gegen eine andere Person gerichtet werden müsste. Darin wäre vielmehr eine Sachverhaltsänderung zu sehen. Die Umdeutung eines belastenden in einen begünstigenden Verwaltungsakt verfolgt ebenfalls nicht das gleiche Ziel. Zudem kann die Behörde einen Haftungsbescheid nicht in einen Steuerbescheid umdeuten. Es ist ein anderes Ziel, jemanden als Haftenden heranzuziehen, als ihn als Schuldner heranzuziehen.
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2.3. Neu entstandener Verwaltungsakt
Folge der Umdeutung muss ein anderer neuer Verwaltungsakt sein. Daher ist die Umdeutung von der Auslegung des Verwaltungsakts und vom Nachschieben von Gründen für einen Verwaltungsakt zu unterscheiden. Ist ein Verwaltungsakt nicht oder falsch begründet, so kommt Umdeutung nicht in Betracht. Bei falscher Begründung oder falscher beziehungsweise fehlender Rechtsgrundlage ist der Verwaltungsakt im Ergebnis richtig. An seine Stelle braucht daher kein anderer Verwaltungsakt gesetzt werden. Auch das Finanzgericht muss alle möglichen Rechtsgrundlagen prüfen und darf den Verwaltungsakt nicht wegen der Angabe einer falschen Rechtsgrundlage aufheben, wenn sich der Verwaltungsakt anderweitig rechtfertigen lässt.
2.4. Ausschluss der Umdeutung
In dem § 128 Absatz 2 AO sind Gründe normiert, die die Umdeutung ausschließen. Die Rechtsfolgen, die sich aus dem fehlerfreien Verwaltungsakt ergeben, dürfen nicht ungünstiger sein, als die des fehlerhaften Verwaltungsakts. Deswegen darf eine Belastung nicht verschärft werden und eine Begünstigung nicht aufgehoben, ermäßigt oder eingeschränkt werden.
Ferner ist die Umdeutung unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte.
Betraf der ursprüngliche Verwaltungsakt eine Ermessensentscheidung, so ist keine Umdeutung in eine gebundene Entscheidung möglich. Ermessensspielräume setzen nämlich voraus, dass die Behörde sich ihres Ermessensspielraums bewusst war und ihr Ermessen ausgeübt hat. Eine Ausnahme gilt nur bei Ermessensreduzierung auf null. Ermessensentscheidungen können aber ihrerseits in gebundene Entscheidungen umgedeutet werden.
2.5. Anhörungspflicht
Das Verfahren, das zu dem fehlerhaften Verwaltungsakt geführt hat, wird nicht wiederholt, sondern dem fehlerfreien Verwaltungsakt zugrunde gelegt. Sind dem fehlerfreien Verwaltungsakt jedoch Tatsachen zugrunde gelegt, zu denen sich die betroffene Person zuvor noch nicht hat äußern können, so ist die Anhörung nachzuholen. Ansonsten bleibt es jedoch bei dem Grundsatz des Nichterfordernis der Wiederholung des Verfahrens.
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In diesem Video erklären wir, wie die Korrektur von Steuerbescheiden erfolgt.
3. Rechtsschutz bei Umdeutung
Die Umdeutung ist bis zum Ablauf einer bestehenden Verjährungsfrist zulässig. Der erste fehlerhaft ergangene Verwaltungsakt bleibt zwar lediglich als anderer Verwaltungsakt mit andere gleichwertiger Regelung und Rechtsfolge aufrechterhalten. Wenn die Finanzbehörde die Umdeutung durchführt, so liegt in der Umdeutungsentscheidung aber gleichwohl ein Verwaltungsakt. Dieser ist dem Betroffenen bekannt zu geben. So ist gewährleistet, dass die betroffene Person mit einem Rechtsbehelf geltend machen kann, die Voraussetzungen der Umdeutung hätten nicht vorgelegen. Die Ablehnung der Umdeutung kann ebenfalls angefochten werden.
Steuerberater für Unternehmen
Unsere Kanzlei hat sich besonders auf die steuerrechtliche Gestaltungsberatung für Unternehmen spezialisiert. Bei der verfahrensrechtlichen Beratung schätzen Mandanten unser Know-how beispielsweise in folgenden Bereichen:
Einspruch/Klage
- Steuererklärung bei undurchsichtiger Rechtslage richtig abgeben
- Möglichkeit der Akteneinsicht
- Tatsächliche Verständigung im Festsetzungsverfahren
- Einspruchsbefugnis bei der einheitlichen Festsetzung
- Aussetzung des Verfahrens
Betriebsprüfung
- Bilanzberichtigung und Bilanzänderung
- Richtiges Auftreten bei einer Betriebsprüfung
- Ablauf und Prüfungsbericht
Hierzu stehen Ihnen unsere Steuerberater und Rechtsanwälte an den Standorten Köln und Bonn gerne für eine persönliche Beratung zur Verfügung. Zudem beraten wir deutschlandweit per Telefon und Videokonferenz:
Ausdrücklich ist in Artikel 100 Absatz 1 GG, §§ 80 ff. in Verbindung mit §§ 77 ff. BVerfG die Kompetenz der Gerichte geregelt, über die Vereinbarkeit des einfachen Gesetzes mit der Verfassung und der Landesgesetze mit Bundesrecht zu befinden. Keine Regelung ist jedoch hinsichtlich der Frage getroffen, ob auch Behörden und insbesondere Finanzbehörden eine solche Prüfungskompetenz haben. In diesem Beitrag erklären wir, wie die Finanzbehörde handelt, wenn sie ein Steuergesetz für verfassungswidrig hält und was sie dabei zu beachten hat.
Unser Video: Steuererhebung: Fälligkeit, Stundung, Aufrechnung, Zinsen, Säumniszuschläge
In diesem Video erklären wir, wie die Finanzbehörden Steuern erheben.
Inhaltsverzeichnis
1. Die Prüfungskompetenz der Finanzbehörden
1.1. Definition der Prüfungskompetenz
Die Prüfungskompetenz und Verwerfungskompetenz von Gesetzen betrifft die Frage, wem die Feststellung einer Normenkollision und die Entscheidung über die Rechtsfolgen der Normenkollision obliegt. Eine Normenkollision kann in unterschiedlichen Fällen vorliegen. Eine bundesgesetzliche Norm kann nach der Normenhierachie mit der Verfassung kollidieren. Eine landesrechtliche Norm kann zudem mit jedem Bundesgesetz kollidieren. Es geht bei der Prüfung von Normen anhand der Verfassung nicht, um ein Recht der Behörden, sondern vielmehr um Fragen der Kompetenzverteilung.
Gesetzlich fehlt eine Regelung, die bestimmt, wie sich die Verwaltung gegenüber verfassungswidrigem Bundesgesetz oder Landesgesetz verhalten soll. Erst ein Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12.12.1985 regte die Diskussion an. Die Frage betrifft grundlegend das Verhältnis der beiden Gewalten Legislative und Exekutive zueinander.
1.2. Handlungsmöglichkeiten der Finanzbehörden
Es gibt diverse Möglichkeiten, wie sich die Finanzbehörde verhalten könnte, wenn sie von einer solchen Normenkollision ausgeht. Zum einen könnte sie die für verfassungswidrig gehaltene Norm verwerfen, also für ungültig erklären. Zum anderen könnte sie die Möglichkeit haben, die Norm nicht anzuwenden. Vorgelagert stellt sich aber schon die Frage, ob die Finanzbehörde überhaupt die Verfassungskonformität einer Norm prüfen darf, sie also die Prüfungskompetenz innehat oder, ob sie schlicht von der Verfassungskonformität auszugehen hat. Demgegenüber könnte die Behörde aber sogar die Pflicht treffen, eine Norm auf Verfassungszweifel hin zu überprüfen. Der Finanzbeamte könnte zudem selbst entscheiden oder seinen Vorgesetzten anrufen.
Jedenfalls ist aber klar, dass die Finanzbehörden eine Norm nicht verwerfen, also für ungültig erklären dürfen. Grund dafür ist das sogenannte Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgericht (BVerfG).
1.3. Das Dilemma für den Finanzbeamten
Der Finanzbeamte steht, wenn er eine Norm für verfassungswidrig hält, vor einem Dilemma. Artikel 100 Absatz 1 GG zeigt, dass verfassungswidrige Gesetze nicht nichtig sind, sondern nur durch das Bundesverfassungsgericht vernichtet werden können. Das Gesetz gilt daher weiterhin, so dass der Finanzbeamte an dieses gemäß Artikel 20 Absatz 2, Artikel 1 Absatz 3 GG gebunden ist. Da das Gesetz weiterhin gilt, darf der Beamte dem Gesetz den Gehorsam nicht verweigern.
Andererseits ist er aber auch an die Verfassung gebunden. Diese Bindung verbietet ihm an sich die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes. Der Finanzbeamte dürfte daher ein verfassungswidriges Gesetz weder anwenden noch verwerfen. All diese Aspekte sind bei der Beurteilung des Prüfungskompetenz der Finanzbehörde zu beachten.
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2. Grundsatz: Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts
Dem Bundesverfassungsgericht obliegt gemäß Art 100 Absatz 1 GG das sogenannte Verwerfungsmonopol. Folge ist, dass allein das Bundesverfassungsgericht eine Norm für ungültig erklären darf. Dessen Umfang hat das Bundesverfassungsgericht in diversen Entscheidungen konkretisiert. Demnach ist es auf formelle Gesetzes beschränkt. Diese müssen zeitlich nach der als Prüfungsmaßstab dienenden Verfassung erlassen sein (sogenannte nachkonstitutionelle Gesetze). Landesgesetze müssen demgegenüber zeitlich nach dem als Maßstab dienenden Bundesrecht erlassen sein.
3. Entscheidung des BVerfG
3.1. Ausgangspunkt: § 251 AO
Der BFH legte im Jahr 1985 dem BVerfG einen Fall zur Prüfungskompetenz der Finanzbehörden vor. Ausgangspunkt war die Regelung des § 251 AO. Demnach kann die Behörde die Vollziehung eines mit einem Rechtsmittel angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen. Die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung ist zwar eine Ermessensentscheidung. Nach den von Finanzgerichten und Verwaltungsgerichten entwickelten Grundsätzen muss die Behörde aber dann aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen.
Der BFH nahm an, dass diese Voraussetzung dann nicht vorliegt, wenn sich die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des zugrunde liegenden Gesetzes richten. Aus der, im parlamentarisch-demokratischen Rechtsstaat bestehenden Vermutung der Verfassungsmäßigkeit des zugrunde liegenden Gesetzes ergibt sich die Verpflichtung der Behörde, ein Gesetz bis zu einer etwaigen negativen Entscheidung des BVerfG als verfassungsgemäß anzusehen. Daher ist die Finanzbehörde nicht verpflichtet, die Vollziehung auszusetzen. Ob die Finanzbehörde demgegenüber die Vollziehung aussetzen darf, lies der BFH dahinstehen, da die Finanzbehörde ohnehin nicht aussetzen wollte.
Das BVerfG entschied jedoch gegenteilig. Wenn schon ernstliche Zweifel an der Richtigkeit von Auslegung und Anwendung des Gesetzes eine Aussetzung rechtfertigen, dann muss dies erst recht gelten, wenn ernsthafte verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Gültigkeit des Gesetzes selbst erhoben werden. Auch die vollziehende Gewalt ist gemäß Artikel 20 Absatz 2, Artikel 1 Absatz 3 GG an Recht und Gesetz, also insbesondere an die Verfassung gebunden. Der Grundsatz der Gewaltenteilung zwingt nicht zum Vollzug eines Gesetzes, das wahrscheinlich für nichtig erklärt werden müsse. Die Sorge vor dem Übernehmen unzureichend begründeter Aussetzungen sei wegen der Weisungsbefugnis der höheren Behörden unbegründet. Letztlich könnten Bundesregierung oder Landesregierung eine Klärung im Wege des Artikel 93 Absatz 1 Nummer 2 GG herbeiführen.
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3.2. Konkrete Auswirkungen des Urteils auf die Prüfungskompetenz
Doch auch damit schafft das BVerfG keine Klärung der Prüfungskompetenz der Finanzbehörden. Genau hingeschaut betrifft § 251 AO allein die Frage, ob ein mit Rechtsmitteln angegriffener Verwaltungsakt auszusetzen ist. Das Problem, ob der Verwaltungsakt überhaupt erlassen werden darf, also ein Gesetz angewendet werden darf, ist damit jedoch nicht geklärt. Diese Differenzierung hat auf Grund der unterschiedlichen Rechtsfolgen erhebliche Bedeutung. Sieht die Finanzbehörde wegen verfassungsrechtlichen Zweifeln von dem Erlass eines Verwaltungsakts ab, so kann Verjährung oder wenigstens Verwirkung eintreten. Verwirkung oder Verjährung tritt demgegenüber nicht ein, wenn die Verwaltung den Verwaltungsakt erlässt und nur während eines schwebenden Rechtsmittelverfahrens dessen Vollstreckung aussetzt.
Das Urteil des BVerfG hat über die Vorschrift des § 251 AO hinaus Bedeutung. Das Gericht trifft die wohl allgemein gedachte Feststellung, die Verwaltung sei nicht zum Vollzug eines Gesetzes gezwungen, dass wahrscheinlich für nichtig erklärt werden müsste. Es wird aber deutlich, dass das Gericht offenbar nur besonders gewichtige Bedenken als Aussetzungsgrund gelten lassen will. Keine Aussage enthält das Gesetz aber dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Beamter gehalten ist, die Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Ferner ist das Urteil auf die Besonderheit des Vollzugs eines angefochtenen Verwaltungsakts zu geschnitten. Ihm kann daher nicht entnommen werden, welche konkreten Folgen der Beamte ziehen darf oder muss, wenn er Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes hegt.
4. Die Ausgestaltung der Prüfungskompetenz
Der Finanzbeamte kann seiner Bindung an das möglicherweise verfassungswidrige Gesetz und an die Verfassung selbst nur gerecht werden, in dem er die Anwendung des Gesetzes suspendiert und eine Entscheidung über die Verfassungskonformität des Gesetzes in Gang setzt.
Dazu muss der Finanzbeamte überlegen, ob das anzuwendende Gesetz Anlass zu Zweifeln an seiner Verfassungsmäßigkeit bietet. Hat er Zweifel, so muss er die verfassungsrechtliche Prüfung in Gang setzen. Diese findet im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Normenkontrolle statt. Die verfassungsrechtliche Normenkontrolle führt der Finanzbeamte herbei, indem er bei der vorgesetzten Behörde unter Darlegung seiner Rechtsauffassung um eine Weisung für sein Verhalten nachsucht. Die vorgesetzte Behörde muss ihrerseits prüfen, ob sie Zweifel an der Verfassungskonformität des Gesetzes hat. Teilt sie die Auffassung des ursprünglich mit der Frage befassten Finanzbeamten, so muss sie die Frage der ihr vorgesetzten Behörde vorlegen. Dies läuft unter Umständen fort bis hinauf zum Fachminister. Dieser legt die Frage dann gegebenenfalls dem Kabinett vor. Dieses ist bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit verpflichtet ein Normprüfungsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Landesverfassungsgericht nach Artikel 93 Absatz 1 Nummer 2 GG einzuleiten.
Unterlässt der Finanzbeamte, der Vorgesetzte, der Minister oder die Regierung die Vorlage schuldhaft, so ist er einem Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB, Artikel 34 GG ausgesetzt. Verschulden liegt dabei zumindest dann vor, wenn der Beamte einen Rechtssatz anwendet, gegen dessen Verfassungsmäßigkeit Zweifel vorgebracht sind und wenn er es entgegen besserem Wissen unterlässt, diese Bedenken dem Vorgesetzten vorzutragen.
Unser Video: Bundesfinanzhof: Ablauf der FG-Klage und der Revision beim BFH
In diesem Video erklären wir, wie der Finanzprozess abläuft.
5. Besonderheiten im Finanzprozess
Im Finanzprozess fällt die Beurteilung der Prüfungskompetenz der Behörde unter Umständen leichter. Hier ist der Vollzug des Gesetzes zu einem späteren Zeitpunkt einigermaßen unbedenklich möglich. Demgegenüber kann ein Gesetz beispielsweise auch eine Versammlung verbieten. Hegt der Sachbearbeiter Zweifel an der Verfassungskonformität des Gesetzes so kann er die Anwendung des Verbotsgesetzes aussetzen, so dass die Versammlung stattfinden darf. Die Entscheidung des Vorgesetzten über die Verfassungskonformität wird regelmäßig nicht nicht rechtzeitig herbeigeführt. Teilt der Vorgesetzte die verfassungsrechtlichen Zweifel, so wird der umständliche Weg über Artikel 93 Absatz 1 Nummer 2 GG natürlich nicht rechtzeitig zu Ende geführt. Eine, die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes bestätigende Entscheidung kommt dann regelmäßig zu spät. Die Versammlung hat inzwischen stattgefunden. Damit kommt in der Regel jede, die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes bestätigende Entscheidung zu spät, wenn der Vollzug eines verbietenden Gesetzes ausgesetzt wird.
Steuerberater und Rechtsanwälte für die Überprüfung Ihres Steuerverwaltungsakts
Unsere Kanzlei hat sich besonders auf die steuerrechtliche Gestaltungsberatung spezialisiert. Bei der Überprüfung des Steuerverwaltungsakts schätzen Mandanten unser Know-how beispielsweise in folgenden Bereichen:
- Entwicklung von Verteidigungsstrategien gegenüber der Finanzverwaltung bei Einspruchsverfahren und Betriebsprüfungen
- Akteneinsicht im Finanzprozess
- Verteidigungsstrategien im FG-Klageverfahren und im BFH-Revisionsverfahren
- Prüfungsumfang des BFH
- Tatsächliche Verständigung im Finanzprozess
- Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumnissen
- Steuerbescheid unter Vorbehalt der Nachprüfung
- Korrektur des Steuerbescheides durch das Finanzamt
- Einspruchsbefugnis bei der einheitlichen, gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen
- Verböserung im Einspruchsverfahren
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Es gibt Sachverhalte, deren steuerliche Einordung zutiefst umstritten und bei denen daher die Rechtslage undurchsichtig ist. Dennoch fragen Steuererklärungsvordrucke in erster Linie keine Einzeltatsachen ab, sondern Summenangaben. Diese sind aber schon Ergebnis eines individuellen Subsumtionsvorgangs, der eine undurchsichtige Rechtslage betrifft. Um sich in solchen Fällen nicht des Vorwurfs der Steuerhinterziehung auszusetzen, gibt es bei der Abgabe der Steuererklärung einiges zu beachten. Daher erklären wir Ihnen, wie Sie Ihre Steuererklärung richtig abgeben.
Inhaltsverzeichnis
1. Unrichtige Angaben als Voraussetzung einer Steuerhinterziehung
Um eine Steuerhinterziehung zu begründen, müsste der Steuerpflichtige in seiner Steuererklärung unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht haben. Er müsste das Finanzamt daher objektiv in die Irre geführt haben. So kann jedes Erklärungsverhalten bezeichnet werden, das objektiv der Wahrheit zuwiderläuft. Gegenstand dieser Irreführung können allein Tatsachen sein. Solche werden als gegenwärtige und vergangene Ereignisse, die dem Beweis zugänglich sind, definiert. Daher sind Werturteile und Meinungsäußerungen nicht erfasst.
2. Steuererklärung richtig abgeben – Probleme
2.1. Subsumtionsergebnis als bloße Meinungsäußerung?
Wenn nun eine Steuererklärung bei undurchsichtiger Rechtslage abgegeben wird, so wird die eigene Rechtsauffassung oder das persönliche Subsumtionsergebnis über die Einordnung des Sachverhalts dargestellt. Dies stellt grundsätzlich nur eine Meinungsäußerung dar. Dennoch kann auch eine Rechtsmeinung geeignet sein, Irrtümer hervorzurufen. Beispielsweise kann die Rechtsmeinung dahingehend verstanden werden, dass das Bestehen oder Nichtbestehen von Tatsachen fälschlicherweise miterklärt wird. Entsprechendes ist demgegenüber als Tatsachenkundgabe zu verstehen
Deswegen ist von erheblicher Bedeutung, wie die Erklärung zu verstehen (auszulegen) ist. Der Erklärungsempfänger muss daher beurteilen, ob die Erklärung in einen Meinungskern und einen Tatsachenkern zu unterteilen ist oder lediglich als Meinungsäußerung zu erfassen ist.
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Abgabe der Steuererklärung?
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2.2. Allenfalls konkludente Täuschung denkbar
Deutlich wird, dass der Steuerpflichtige bei der Einschätzung des Steuersachverhalts nicht ausdrücklich unrichtige Angaben macht. Vielmehr kann er Tatsachen allenfalls konkludent falsch miterklären. Daher kann es sich lediglich um eine konkludente Täuschung handeln.
Diese liegt dann vor, wenn der Empfänger der Botschaft einen Erklärungswert beimessen darf, der nicht der Wirklichkeit entspricht und es sich dabei um Tatsachen handelt. Ob er dies darf ist anhand des objektiven Empfängerhorizont des Empfängers unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen.
3. Steuererklärung richtig abgeben
3.1. Steuererklärung richtig abgeben: Vertretbares Subsumtionsergebnis reicht aus
Ein Subsumtionsergebnis ist dann nicht unrichtig, wenn es wenigstens vertretbar ist. Vertretbar ist ein Ergebnis nach einer Auffassung zumindest dann, wenn es sich dabei nicht bloß um eine Außenseitermeinung handelt, die im allgemeinen Schrifttum keine Anerkennung findet. Dann wäre die Steuerhinterziehung aber faktisch auf die Fälle beschränkt, in denen der Steuerpflichtige das Finanzamt explizit über Tatsachen belügt, da sich beinah jedes steuerliche Subsumtionsergebnis methodisch vertreten lässt.
Ein weiteres Verständnis sieht daher unrichtige Erklärungen bereits dann als vorliegend an, wenn der Steuerpflichtige in seiner Steuererklärung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht. Jedoch ist es dem Steuerpflichtigen erlaubt, auf eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung hinzuarbeiten. Insbesondere ist auch die höchstrichterliche Rechtsprechung niemals feststehend.
Herrschend werden unrichtige Angaben somit erst dann angenommen, wenn der Steuerpflichtige gegenüber der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der Ansicht der Finanzverwaltung eine abweichende Auffassung vertritt und dies dazu führt, dass Sachverhaltsangaben weggelassen werden, die für die Subsumtion der anderen Rechtsauffassung von Bedeutung wären.
3.2. Offenbarungspflicht bei undurchsichtiger Rechtslage
Letztlich kann aber alles irgendwie für die Besteuerung relevant sein. Daher ist es bedeutend, wann den Steuerpflichtigen eine Pflicht zur Offenbarung bestimmter Tatsachen trifft.
Aus dem § 90 Absatz 1 Satz 2 AO hat die Rechtsprechung eine Offenbarungspflicht hergeleitet. Diese besteht in Bezug auf Tatsachen, deren rechtliche Relevanz objektiv zweifelhaft ist. Rechtliche Zweifelhaftigkeit wird dabei dann angenommen, wenn der Steuerpflichtige von Leitlinien der Rechtsprechung, Richtlinien der Verwaltung oder einer regelmäßigen Veranlagungspraxis abweichen möchte. Je nachdem von was abgewichen werden soll, ist die Offenbarungspflicht weiter konkretisiert.
3.2.1. Steuererklärung richtig abgeben bei Abweichen von der Rechtsprechung
Der Steuerpflichtige muss über seine persönliche Auffassung hinaus, Angaben zu jenen Tatsachen machen, derer es für die abweichende Subsumtion nach Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bedarf. Eine solche Leitlinie in der Rechtsprechung ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der BFH eine Rechtsfrage entschieden hat und andere Bundesgerichte davon nicht abweichen.
Obiter dicta eines Bundesgerichts sind noch nicht dazu geeignet, den Empfängerhorizont der Finanzbehörde auszuformen, weil die dort geäußerten Inhalte zuweilen abwegige und unausgereifte Meinungen enthalten können. Hat die Rechtsprechung jedoch ein eindeutiges und für den Erklärenden erkennbares Präjudiz geschaffen, ist dem Erklärenden zumutbar, entsprechende Ausführungen in seiner Steuererklärung abzugeben.
3.2.2. Steuererklärung richtig abgeben bei Abweichen von Richtlinien der Verwaltung
Die Verwaltung gibt ihre Rechtsauffassung in unterschiedlichen Modi kund. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) kann in Form von BMF-Schreiben Weisungen nach Artikel 108 Absatz 3 Satz 2, Artikel 85 Absatz 3 GG an seine Beamten erteilen. Dadurch soll der einheitliche und gleichmäßige Steuervollzug im Bundesgebiet gewährleistet werden. Sie werden im Bundessteuerblatt I veröffentlicht. Daher sind sie verwaltungsintern bindend und für den Steuerpflichtigen erkennbar und abrufbar.
Daneben erteilt das BMF Weisungen zum Umgang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BFH. Das geschieht, indem in Absprache mit den obersten Finanzbehörden der Länder diejenigen Entscheidungen im Bundessteuerblatt Teil II veröffentlicht werden, die über den Einzelfall hinaus von den Beamten der Finanzverwaltung anzuwenden sind. Entschließen sich dabei das BMF und die obersten Finanzbehörden dafür, eine gerichtliche Entscheidung über den Einzelfall hinaus nicht anwenden zu wollen, so wird die Entscheidung im Bundessteuerblatt II veröffentlicht und mit einem Nichtanwendungserlass im Bundessteuerblatt I belegt. Dabei sind die Gründe für einen solchen Nichtanwendungserlass vielfältig. Primär geht es aber darum, dass die Finanzverwaltung eine für sie nachteilige Argumentation des BFH ausschließen möchte.
Zuweilen wird vertreten, dass in erster Linie die Veröffentlichungen im Bundessteuerblatt maßgeblich sein sollen. Grund dafür soll sein, dass sich der Erklärungshorizont der Finanzbehörde aus den abstrakt-generellen Verlautbarung im Bundessteuerblatt ergibt.
Doch selbst dann ist für den Steuerpflichtigen nicht ersichtlich, was den Empfängerhorizont konkretisieren soll, da Verwaltung und Rechtsprechung nicht übereinstimmen müssen. Letztlich kann eine Verwaltungsauffassung auch erstmalig durch die Entscheidung eines Finanzgerichts oder des Bundesfinanzhofs verworfen werden. Es kommt auch regelmäßig vor, dass sich BMF-Schreiben inhaltlich widersprechen. Abgesehen von den Veröffentlichungen im Bundessteuerblatt ist der Steuerpflichtige auch mit Richtlinien und Hinweisen konfrontiert, welche von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats veröffentlicht werden. Hinzutreten Verfügungen der Oberfinanzdirektionen, als Teil der Verwaltungsauffassung. Außerdem ist es möglich, dass die Finanzverwaltung zu einer Rechtsfrage noch keine Stellung bezogen hat.
3.2.3. Steuererklärung richtig abgeben bei Abweichen von regelmäßiger Veranlagungspraxis
Die dritte Fallgruppe der objektiven Zweifelhaftigkeit, welche dann eine Offenbarungspflicht begründet, liegt in der Abweichung von der regelmäßigen Veranlagungspraxis. Dabei sollten aber Überschneidungen zu den Richtlinien der Verwaltung bestehen, da diese grundsätzlich die regelmäßige Veranlagungspraxis begründen. Jedoch könnte darüberhinausgehend eine regelmäßige Veranlagungspraxis annehmbar sein. Zudem beurteilen Finanzbehörden steuerliche Sachverhalte oft abweichend von den Leitlinien. Die Veranlagungspraxis einer Behörde oder mehrerer Finanzbehörden muss nicht mit dem Verhalten der entscheidenden Finanzbehörde kongruent sein.
Entscheidend ist daher das Verhältnis der Fallgruppen untereinander.
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4. Steuererklärung richtig abgeben und Freitextfeld ausfüllen
Gemäß § 150 Absatz 7 Satz 1 AO enthalten Steuererklärungsvordrucke, die nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz übermittelt werden können, ein Eingabefeld. Dort kann der Steuerpflichtige den Sachbearbeiter auf seine Rechtsauffassung aufmerksam machen. Dabei kann er zusätzliche Informationen insbesondere zu der eigenen Rechtsauffassung oder der wirtschaftlichen Substanz einer Gesellschaft machen, um potentiellen Strafen zu entgehen.
Umstritten ist aber, ob eine Pflicht besteht, das Textfeld zu nutzen und ob Zuwiderhandlungen strafrechtliche Konsequenzen haben. Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass die Nutzung des Freitextfelds verpflichtend ist. Jedoch lässt sich dem Wortlaut des § 150 Absatz 7 Satz 1 AO keine Pflicht für den Steuerpflichtigen entnehmen. Vielmehr schreibt die Vorschrift der Verwaltung vor, dem Steuerpflichtigen auch im Rahmen des Steuererklärungsvordrucks rechtliches Gehör im Sinne des § 91 AO einzuräumen. Daher macht der Steuerpflichte keine unrichtigen Angaben, wenn er das Freitextfeld auslässt.
Den Offenbarungspflichten wird der Steuerpflichtige auch dann gerecht, wenn er ein Begleitschreieben zum ausgefüllten Hinweisfeld einreicht. Regelmäßig sind Begleitschreiben aufgrund des begrenzten Textfelds besser geeignet, Informationen zu offenbaren.
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Eines der wichtigsten Prinzipien, die die Erhebung von Steuern in der Bundesrepublik Deutschland regeln, ist das sogenannte Leistungsfähigkeitsprinzip. Es fordert, dass der Staat Steuern von seinen Steuerpflichtigen nur in dem Umfang fordern darf, der auch ihrer wirtschaftlichen Leistung entspricht. So wäre beispielsweise die früher auch in Deutschland erhobene Fenstersteuer nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip unzulässig, weil hierbei kein Bezug zu einer von Seite der Steuerpflichtigen erbrachten Leistung besteht. Tatsächlich ist das Leistungsfähigkeitsprinzip ein Merkmal aller modernen Steuerregime – auch im Ausland.
Besteuerungsgrundsätze in Deutschland
In diesem Video erklären wir, welche Besteuerungsgrundsätze in der Abgabenordnung die Besteuerung in Deutschland regeln.
Inhaltsverzeichnis
1. Das Leistungsfähigkeitsprinzip – Einleitung
Lang ist es her, dass man willkürlich Steuern zahlen musste. Selbst im Mittelalter galten gewisse Regeln in Bezug auf zu entrichtende Steuern. Dazu kann man hier als Beispiel die Kopfsteuer anführen, die man nach der Anzahl der Personen eines Hausstands zu entrichten hatte. Auch der Zehnt, den man leisten musste, war von der Höhe der Abgabe her beschränkt. Dennoch wissen wir aus historischen Quellen, dass Steuereintreiber und Zöllner oft nach eigenem Gutdünken Abgaben forderten, um sich selbst zu bereichern.
Dass dies für einen funktionsfähigen modernen Staat keine Grundlage zur Steuererhebung sein konnte ist spätestens dem schottischen Moralphilosophen und Ökonomen Adam Smith im 18. Jahrhundert klar geworden. Er gilt als Begründer der Grundlagen moderner Besteuerung. So stellte Smith 1776 in seinem bahnbrechenden Werk „The Wealth of Nations“ die Grundsätze der Gleichmäßigkeit und Bestimmtheit der Besteuerung unter Beachtung der individuellen Leistungsfähigkeit sowie die Bequemlichkeit und Billigkeit von Steuern für Staat und Steuerzahler auf. Diesen Leitlinien folgen somit auch die meisten Steuergesetze der Welt – bis heute.
Sie sind ebenso Ausdruck des Verständnisses eines Staates in seiner Beziehung zur Gesellschaft, die er regiert, schützt und zusammenhält. Denn die mit seinen Aufgaben verbundenen Kosten müssen über Steuern finanziert werden. Dies gilt zumindest, wenn man die Verstaatlichung aller Betriebe als Alternative zur Erzielung von Staatseinnahmen ausschließen möchte. Eine Verstaatlichung ist nämlich keine nachhaltige fiskalische Lösung. Spätestens seit dem Ende der Sowjetunion und anderer sozialistischer Regime weltweit sollte dies klar sein. Das liegt daran, dass schlicht und einfach ein Anreiz zur Förderung der Produktivität fehlt – ganz gleich, was Propagandalosungen, übertriebene Erfolgsmeldungen und sensationelle Ehrungen von Helden der Arbeit uns auch immer weißzumachen versuchten.
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2. Merkmale des Leistungsfähigkeitsprinzips
2.1. Zentrale Forderung des Leistungsfähigkeitsprinzips
Was besagt denn nun das Leistungsfähigkeitsprinzip? Es fordert, dass eine Besteuerung nach der wirtschaftlichen Ertragskraft der Steuerpflichtigen zu bemessen ist. Wer geringen wirtschaftlichen Erfolg erbringt, der soll auch nur eine entsprechend geringe finanzielle Abgabe leisten. Wer aber viel verdient, soll auch entsprechend mehr Steuern zahlen.
2.2. Leistungsfähigkeitsprinzip und Steuergerechtigkeit basieren auf dem Grundgesetz
Diese Ausrichtung der Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip basiert in Deutschland auf Artikel 3 GG. Er ist Grundstein unserer Steuergerechtigkeit. Sie findet auch in § 85 AO Widerhall. Dabei kann man verfassungsrechtlich ableitend eine horizontale von einer vertikalen Steuergerechtigkeit unterscheiden. Die horizontale Steuergerechtigkeit zielt darauf ab, dass Steuerpflichtige von gleicher Leistungsfähigkeit, gleich viel Steuern zu zahlen haben. Die vertikale Steuergerechtigkeit fordert hingegen, dass mit zunehmender Leistungsfähigkeit auch eine entsprechend höhere Besteuerung einhergehen soll. Dabei ist das Ausmaß der Mehrbesteuerung keineswegs klar definiert. Deutschland setzt einen progressiven Steuertarif ein. Auf Grundlage der vertikalen Steuergerechtigkeit könnte es aber auch ein linearer Steuertarif sein, der diese Bedingung erfüllt. Dass wir dennoch einen progressiven Steuertarif anwenden liegt vielmehr an der sozialstaatlichen Ausrichtung (Artikel 20 und 28 GG). Eine sozialpolitische Umverteilung ist somit verfassungsrechtlich abgedeckt.
Darauf Bezug nehmend kann man annehmen, das Leistungsfähigkeitsprinzip geht von der Fähigkeit eines Steuerpflichtigen aus, auf einen bestimmten Anteil seines Einkommens zu verzichten. Wer wenig verdient, hat kaum die Möglichkeit neben der Finanzierung des Lebensunterhalts auch noch Steuern zu entrichten. Zumal, der Lebensunterhalt ist ja selbst schon in aller Regel von Besteuerung (Umsatzsteuer) betroffen. Wer aber sehr viel Einkommen generiert, braucht im Allgemeinen nur einen vergleichsweise kleinen Teil davon, um angemessen zu leben. Der Rest steht somit auch als potentielle Steuer dem Staat zu. Jedenfalls sind dabei auch das objektive und das subjektive Nettoprinzip zu wahren.
2.3. Besteuerung von Nettovermögen nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip
Von dieser Perspektive aus betrachtet, besteht in der Besteuerung von bereits zuvor nettoversteuertem Vermögen kein Widerspruch zum Leistungsfähigkeitsprinzip. Kapitalertragsteuer, Umsatzsteuer, Grundsteuer, Erbschaft- und Schenkungsteuer, ja sogar die nach wie vor existente Vermögensteuer (ihre Erhebung ist derzeit lediglich ausgesetzt) sind somit Steuern, die auf der finanziellen Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen beruhen. Dass schon zuvor die Einkommensteuer die Vermögensmehrung im Zeitpunkt ihres Entstehens abschöpfte, ist eben nur als erste Stufe einer potentiell wiederkehrenden Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip zu verstehen.
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3. Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Perpetuum mobile der Besteuerung
Nun könnte man meinen, dass man als Reaktion darauf einfach das Nettovermögen in einen Sparstrumpf stopfen könnte, um zu verhindern, dass man wieder und wieder Steuern auf die sonst anfallenden Früchte zahlt. Doch so denken die allerwenigsten Menschen, die Vermögen anhäufen. Vielmehr suchen sie nach Wegen, wie sie ihr Vermögen anlegen können, um es zu mehren, zumindest aber zu bewahren. Denn Vermögen ist ja auch jenseits von Steuern diversen Risiken ausgesetzt.
Genau diesen Umstand der praktisch automatisch weitergeführten Vermögensmehrung macht sich der Staat zunutze. Und zwar, indem er sich auf das Leistungsfähigkeitsprinzip beruft. Denn auch wenn die Grundlage weiterer Investitionen bereits versteuert wurde, so besteht in dem (re)investierten Vermögen ja noch Potential für weitere Leistungsfähigkeit. Demnach sei auch darauf die Besteuerung im Sinne des Leistungsfähigkeitsprinzips erlaubt.
Man könnte jetzt zynisch anmerken, dass der Staat die Leistungsfähigkeit seiner Steuerpflichtigen solange abschöpft, bis der letzte Cent an potentiellem Gewinn auch in seine Kassen geflossen ist, bis also die Steuerpflichtigen keinen Anreiz mehr sehen, ihr Vermögen weiter zu mehren. Aber wir wissen ja alle, dass der Staat diese Wette auf jeden Fall gewinnt. Und natürlich macht es für viele Menschen Sinn, Vermögen weiter arbeiten zu lassen. Doch selbst wenn man sich als Steuerpflichtiger eines Tages entscheidet, das erwirtschaftete Vermögen lieber auszugeben statt weiter zu horten oder zu mehren, hält der Staat seine Hand auf. Denn dann fordert er seinen Tribut in Form von Umsatz- oder Grunderwerbsteuer.
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4. Leistungsfähigkeitsprinzip: Fluch oder Segen?
Wenn man das so liest und gedanklich wiederkäut, könnte man den Eindruck gewinnen, dass der Staat die vermögenden Bevölkerungsschichten praktisch indirekt enteignet hat. Allein der Umstand, dass die betroffenen Steuerpflichtigen es kaum so klar wahrnehmen, ist hierbei kein echter Trost. Sie mögen oft lamentieren, wie unverschämt der Staat auf ihre Gewinne, ihr Vermögen zugreift und dass dies doch einer Enteignung gleichkommt, doch so wirklich der Tatsache des Hamsterrads Vermögensmehrung, das faktisch keine Befreiung vor weiterer Besteuerung zulässt, sind sich wohl nur die wenigsten bewusst. Und gewiss, dieses Bild ist stark verzerrt (Stichwort Steuergestaltung).
Denn der Staat setzt die eingetriebenen Steuern für eine Vielzahl an Aufgaben ein. Davon profitieren alle Bürgerinnen und Bürger, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Nun mag man einerseits aus Sicht der Leistungsträger bemängeln, dass der Staat große Teile dieser Steuereinnahmen, die ja aus ihrer Sicht zu einem erheblichen Teil auf ihrer Leistungsfähigkeit beruhen, für soziale Ausgaben verwendet, Leistungen also, auf die man selber keinen Anspruch hat, von denen man also auch keinen direkten Vorteil erwarten kann (die indirekten, übersieht man da schnell). Aber genauso gerechtfertigt ist auch der Einwand der mittellosen Sozialleistungsempfänger, dass der Staat mit Steuergeldern Autobahnen, Flughäfen und andere Infrastruktur finanziert, von denen sie selber genauso wenig profitieren, weil sie weder ein eigenes Auto haben noch in den Urlaub fliegen. Dabei haben im Grunde beide Seiten (und alle dazwischen) gleichzeitig Recht wie Unrecht.
Aufgabe eines Staates ist eben in erster Linie, die Gesellschaft zu erhalten. Wenn es erforderlich ist, dass gewisse Schichten oder Gruppen staatliche Unterstützung brauchen, um dieses Ziel zu erreichen, setzt der Staat die erhobenen Steuern hierfür ein. Wenn es aber auch darum geht, dass Unternehmer für ihre Unternehmen die erforderliche Infrastruktur für ihre Geschäftserfolge brauchen, zum Beispiel durch angemessene Ausbildungsstätten für Nachwuchsfachkräfte, dann muss der Staat auch hierfür die erforderlichen Mittel bereitstellen.
Diether Klingelnberg – Steuerflucht ins Ausland
In diesem Video untersuchen wir, ob Diether Klingelnberg bei seinem Wegzug ins Ausland seine Steuern wirklich optimieren konnte.
5. Abschließende Gedanken zum Leistungsfähigkeitsprinzip
5.1. Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Test der Zeit
Je fortschrittlicher eine Gesellschaft ist, desto komplexer ist auch das Beziehungsgeflecht, das sie trägt. Das Leistungsfähigkeitsprinzip hat sich im Laufe der Jahrhunderte als Instrument einer einigermaßen gerechten Besteuerung der Menschen bewährt. Sicher, es gibt viele Aspekte, die man am Leistungsfähigkeitsprinzip kritisieren kann, etwa die Besteuerung von bereits versteuertem Nettovermögen. Doch selbst wenn man einen besseren Ansatz als Ersatz hierfür finden würde, so könnte die umfassend umwälzende Umstellung darauf größeren Schaden anrichten als das Festhalten an diesem Grundsatz. Auch hierzu können wir auf den Zusammenbruch der Sowjetunion und seine Folgen verweisen.
Obschon viele Menschen die subjektive Einstellung vertreten, dass sie überproportional hohe Steuern zahlen müssen, und gleichzeitig nur wenige Menschen den Wert der mit ihren Steuern finanzierten gesellschaftlichen Errungenschaften zu erkennen vermögen, so dürften wohl die meisten zustimmen, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip einen durchaus gerechten Ansatz bei der Erhebung von Steuern darstellt.
5.2. Einsatz der Steuermittel
Dabei ist es auch für den Staat bei der Erfüllung seiner Aufgaben alles andere als einfach, allen Mitgliedern der Gesellschaft gleichermaßen gerecht zu werden. Oft genug hat man Regierungen und Verantwortliche für ihre fehlerhafte Fiskalpolitik, ihre Prestigeprojekte etwa oder ihre ideologisch eingefärbten Subventionen, aber ebenso für ihre Versäumnisse bei der Erhaltung von Infrastruktur, gerügt. Der Bund der Steuerzahler blickt zurecht Jahr für Jahr kritisch auf die staatlichen Ausgaben.
Keine Frage, als Steuerzahler darf man erwarten, dass Vater Staat die Steuern vernünftiger einsetzt, als bisher. Doch liegt es eben auch an uns als Gesellschaft, dass wir darauf bestehen und es mit Nachdruck einfordern. Vor allem, es liegt in unserem eigenen Interesse.
Tatsache ist aber auch, dass auch wir in unserer diesbezüglichen Mitwirkungsverantwortung nachlässig sind. Wer sich also das nächste Mal über zu hohe Steuern beschwert, sollte sich daran erinnern, wann man das letzte Mal für vernünftiger eingesetzte Steuermittel öffentlich eingetreten ist. Das beste Beispiel dafür, dass man sich zu wenig dafür eingesetzt hat, ist der marode Zustand unserer Infrastruktur. Brücken, Bahnen, Gesundheitswesen, Internet und Schulen, einst vom Ausland neidvoll als Vorbild betrachtet, sind durch falsche Prioritäten bei der Verwendung unserer Steuermittel mittlerweile zu mehr als einem Armutszeugnis für Deutschland geworden. Sie sind für alle Mitglieder der Gesellschaft eine Belastung, ein riesiges Problem. Darum ist das Leistungsfähigkeitsprinzip auch in Zukunft ein elementarer Grundsatz, den man stärken und verstärkt anwenden sollte. Denn das Leistungsfähigkeitsprinzip ist für einen funktionsfähigen Staat ebenso relevant wir für einen gerechten.
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Das deutsche Steuerrecht fußt auf einer Reihe grundlegender Prinzipien. Diese wiederum sind Ausfluss des Grundgesetzes. So besagt beispielsweise Artikel 3 GG, dass alle Menschen gleich vor dem Gesetz sind. Daher führt man das Leistungsfähigkeitsprinzip sowie die damit einhergehende Steuergerechtigkeit auf diesen verfassungsrechtlichen Grundsatz zurück. Wir kennen aber auch ein objektives Nettoprinzip sowie ein subjektives Nettoprinzip. Das objektive Nettoprinzip gibt vor, dass der Staat gewisse individuelle Faktoren bei der Besteuerung der Steuerpflichtigen zu berücksichtigen hat. Damit beschränkt das objektive Nettoprinzip die wichtigsten Steuereinnahmen des Staates durch Gewährung von steuerlichen Abzügen, beispielsweise in Form von Werbungskosten und Abschreibungen.
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Inhaltsverzeichnis
1. Objektives Nettoprinzip – Einleitung
Das deutsche Steuerrecht ist ein modernes. Es folgt bestimmten Grundsätzen, die auch viele andere Staaten bei der Besteuerung ihrer Steuerpflichtigen anwenden. Tatsächlich gilt dies sogar für die meisten Staaten, insbesondere die führenden Industrienationen. Dennoch ist der Allgemeinheit allenfalls bruchstückhaft bekannt, nach genau welchen Grundsätzen die Erhebung von Steuern erlaubt ist. Ein solcher Leitgedanke ist das objektive Nettoprinzip. Was es damit auf sich hat, klären wir nun in diesem Beitrag.
2. Objektives Nettoprinzip: nur Nettoeinnahmen sind zu besteuern
Im Grunde erklärt die Überschrift dieses Kapitels bereits den Kernpunkt des objektiven Nettoprinzips. So soll der Staat in aller Regel nur Nettoeinnahmen besteuern. Denn rein hypothetisch könnte ja der Fiskus stattdessen den Umsatz eines Kaufmanns oder das Bruttogehalt von Angestellten versteuern. Gewiss, auf den ersten Blick ist das Bruttogehalt durchaus Gegenstand der Einkommensbesteuerung. Dies gilt aber eben nur, sofern man keine anderen steuerlich zulässigen Abzüge ansetzen kann. Denn das objektive Nettoprinzip fordert, dass Steuerpflichtige Aufwendungen, die zum Erzielen ihrer Einkünfte erforderlich sind, von diesen Bruttoeinkünften abziehen dürfen. Somit sind es, sprachlich präzisiert, tatsächlich eher Netto- als Bruttoeinnahmen, die Arbeiter und Angestellte versteuern.
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3. Anwendung des objektiven Nettoprinzips bei Angestellten und Arbeitern
Da wir schon dabei sind, über das objektive Nettoprinzip bei der Besteuerung von Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit zu sprechen: Besonders relevant sind hierbei die Werbungskosten der Steuerpflichtigen. Dazu zählen die Aufwendungen, die man für die Bewältigung der Wegstrecken vom Wohnort zur Arbeitsstätte leistet, auch besser bekannt als Pendlerpauschale. Weitere Beispiele für Werbungskosten in diesem Bereich sind Aufwendungen für ein Homeoffice oder ein häusliches Arbeitszimmer. Selbst eine Zweitwohnung und damit verbundene Familienheimfahrten sind steuerlich absetzbar.
Allerdings achtet der Fiskus streng darauf, dass keine Kosten der privaten Lebensführung in die Werbungskosten einfließen. Wer etwa Kosten für Berufskleidung ansetzen möchte, sollte wissen, dass das Finanzamt sie nur dann steuerlich berücksichtigt, wenn eine private Nutzung ausgeschlossen ist. Eine Kochmütze oder eine Schutzbrille sind somit abzugsfähig. Ein Anzug für einen Bankangestellten ist hingegen bei seinen Werbungskosten ausgeschlossen, weil der Steuerpflichtige ihn eben auch für private Zwecke nutzen könnte. Ob dies tatsächlich der Fall ist und ob man dies vielleicht sogar nachweislich ausschließen kann, ist für das Finanzamt irrelevant.
4. Objektives Nettoprinzip im produzierenden Gewerbe
Besonders relevant ist das objektive Nettoprinzip hingegen bei der Besteuerung von produzierenden Unternehmen. Denn zur Herstellung ihrer Produkte müssen sie ja auch Rohstoffe einsetzen. Außerdem müssen sie zuvor in technische Anlagen und Maschinen sowie in die dazugehörigen Gebäude investieren, sogenanntes Anlagevermögen. Aber auch Aufwendungen, die im Zusammenhang mit Verwaltung und Vertrieb anfallen, schmälern den wirtschaftlichen, und somit steuerpflichtigen Erfolg. Daher sieht das objektive Nettoprinzip vor der Besteuerung auch den Abzug der meisten gewinnrelevanten Ausgaben vor.
Dabei unterscheidet man die direkten Ausgaben von den Abschreibungen. Direkte Ausgaben sind solche, die sich direkt auf die Produktion beziehen. Sie umfassen also die Roh- und Hilfsstoffe zu ihrer Herstellung ebenso wie die Personalkosten im gesamten Unternehmen. Auch Werbung und andere Marketingmaßnahmen gehören hierzu. Alle Kosten, die sich hingegen auf Aspekte beziehen, die zur Produktion im Allgemeinen langfristig erforderlich sind, also die Kosten für Anlagen und Maschinen sowie für Gebäude und andere Infrastruktur, schreibt man regelmäßig über die Dauer ihrer voraussichtlichen Nutzung ab.
Eine gewisse Ausnahme stellt der Ansatz von Finanzierungskosten dar. Zwar sind Darlehen oft langfristiger Natur, doch kann man die anfallenden Zinsen direkt als Aufwand steuerlich ansetzen. Andere Finanzierungkosten, ein Agio etwa, muss man in der Regel über die gesamte Laufzeit abgrenzen. Eine Vermittlungsprovision kann man hingegen direkt in voller Höhe ansetzen.
Wegweisend sind dabei die Vorschriften des Handelsgesetzbuchs (HGB). Denn hierin sind ganz ähnliche Regelungen vorgegeben, die die Erstellung von Handelsbilanzen vereinheitlichen. Handelsbilanzen sind nämlich die Grundlage einer nach außen sichtbaren Darstellung der Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens. Dazu gehört auch, dass man damit einen Unternehmensgewinn nach einheitlichen Kriterien feststellt. Dieser ist unter anderem Grundlage für die Gewinnaufteilung bei Personen- und Kapitalgesellschaften. Aber auch potentielle Gläubiger sollen auf diese Weise eine verlässliche Informationsquelle erhalten, um über die Vergabe von Krediten vernünftige Entscheidungen treffen zu können.
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5. Objektives Nettoprinzip bei anderen Einkunftsarten
Allerdings ist die Anwendung des objektiven Nettoprinzips keineswegs einheitlich. Zwar gilt es für die meisten Einkunftsarten, insbesondere für jene, die Gewinne durch den Verkauf von Waren und die Erbringung von Dienstleistungen sowie durch Vermietung und Verpachtung erzielen. Doch in Bezug auf Einkünfte aus Kapitalvermögen sind Werbungskosten nur bedingt mit dem objektiven Nettoprinzip in Einklang zu bringen. Denn einerseits kennt man hier den Sparerpauschbetrag, der beispielsweise auf Zinseinnahmen Anwendung findet, der andererseits gleichzeitig aber auch den Ansatz tatsächlich entstandener Werbungskosten bei der Besteuerung ausschließt.
Eine weitere bemerkenswerte Abkehr vom objektiven Nettoprinzip findet bei Anwendung der Gewinnermittlung nach § 5a EStG statt, besser bekannt unter dem Begriff Tonnagebesteuerung. Denn hierbei spielen die tatsächlich entstandenen Kosten ebenso wenig eine Rolle wie auch die tatsächlich erwirtschafteten Gewinne. Daher kann im Extremfall ein Verlust eintreten und dennoch eine Steuer anfallen. Denn die Besteuerungsgrundlage ist bei der Ermittlung des Gewinns über die Tonnagebesteuerung allein von der Größe der Schiffe einer Reederei sowie von der Anzahl der Tage pro Jahr abhängig, in denen man sie wirtschaftlich nutzte. Allerdings ist die Tonnagebesteuerung in aller Regel so ausgelegt, dass die Reeder im Endeffekt dennoch meist nur eine im Verhältnis zum tatsächlichen Gewinn sehr geringe Steuer zahlen müssen.
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6. Objektives Nettoprinzip – Fazit
6.1. Wie wäre eine Besteuerung ohne objektives Nettoprinzip?
Der Umstand, dass wir ein objektives Nettoprinzip kennen und bei der Besteuerung allgemein anwenden, ist beruhigend. Denn die Vorstellung, dass Unternehmen ihre Gewinne auf der Grundlage ihrer Umsätze versteuern müssten, würde selbst bei geringen Steuersätzen zu einer vergleichsweise unfairen Besteuerung führen. So hätten Unternehmen, die geringen betrieblichen Aufwand verzeichnen, gegenüber kostenintensiven Unternehmen einen enormen steuerlichen Vorteil. Die kostenintensiven Unternehmen, allen voran die produzierenden Industrien, würden nämlich neben ihren reinen Produktionskosten und allen anderen Aufwendungen auch noch eine relativ hohe Steuer zahlen müssen. Dadurch wären sie dazu gezwungen, die deutlich höhere Steuer ebenfalls in die Verkaufspreise für ihre Produkte mit einzupreisen. Dies wiederum wäre für den Absatz der Waren alles andere als förderlich.
6.2. Wirtschaftliche Auswirkungen einer Besteuerung ohne objektives Nettoprinzip
Jedenfalls wäre die Marge sehr gering. Folglich wären Investitionen kaum möglich. Davon wäre auch die Fähigkeit zur Entwicklung von Innovationen betroffen. Dadurch erhielte die ausländische Konkurrenz einen Vorsprung, der letzten Endes zu einem Aussterben der Produktion in Deutschland führen dürfte. Dies wiederum kann kaum im Interesse des Staates sein, denn damit verschwände ja auch eine bislang wichtige Einnahmequelle (eigentlich sogar gleich mehrere).
6.3. Warum der Staat ein Interesse an der Besteuerung auf Basis des objektiven Nettoprinzips hat
Somit ist das objektive Nettoprinzip eine Vorgabe, die insbesondere Unternehmern eine realistische Besteuerung nach ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit ermöglicht. Daher ist das Leistungsfähigkeitsprinzip eng mit dem objektiven Nettoprinzip verbunden.
Gleichzeitig stellt das objektive Nettoprinzip auch für den Staat eine Grundlage dar, die es ihm erlaubt, seine Steuererhebung als gerecht zu bezeichnen. Denn die verfassungsrechtliche Vorgabe, auch auf dem Gebiet der Besteuerung Gerechtigkeit im Sinne des Artikels 3 GG walten zu lassen, muss der Staat ja ebenfalls einhalten.
Mehr noch, das objektive Nettoprinzip bietet ihm auch die Möglichkeit, bestimmte politisch motivierte steuerliche Vorteilsgewährungen einzuführen. Damit erreicht der Gesetzgeber im Rahmen seiner Steuergesetzgebung selbstverständlich ebenso eine Lenkungswirkung, mit der er auf das Verhalten der Bürgerinnen und Bürger einzuwirken vermag. Im Extremfall kann sogar die Abkehr vom objektiven Nettoprinzip die gewünschte Lenkung entfalten (siehe Tonnagebesteuerung, die man in Deutschland zur Aufrechterhaltung einer nationalen Handelsflotte einführte). Allerdings ist dies nur in besonderen Situationen der Fall. Auf weitere Ausnahmen dieser Art darf also niemand hoffen.
Andererseits, der Staat kann auch vom objektiven Nettoprinzip abweichen, um bestimmte Einnahmen stärker zu besteuern. Dies ist etwa durch Einschränkung der Verlustverrechnung im Einkommensteuergesetz der Fall. Auch die Einschränkung bei der Übernahme von Verlustvorträgen beim Erwerb von Unternehmen bedeutet eine Abkehr vom objektiven Nettoprinzip. Hier steht aber die Verhinderung von missbräuchlichen Gestaltung im Vordergrund. Und zur Wahrung seines Besteuerungsrechts ist dem Staat bei der Erhebung der Wegzugsteuer sogar die Besteuerung eines fiktiven Veräußerungsgewinns auf Basis einer Unternehmensbewertung nach dem Bewertungsgesetz recht. Dies ist auch insofern erstaunlich, als bei der Besteuerung eines real erzielten Veräußerungsgewinns das objektive Nettoprinzip durchaus Anwendung findet.
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Das Steuerrecht in Deutschland unterliegt gewissen Grundprinzipien, nach denen es sich richten soll. Neben einem objektiven Nettoprinzip und dem Leistungsfähigkeitsprinzip gibt es auch ein subjektives Nettoprinzip. Dieses regelt allgemein, in welcher Höhe Steuern anfallen dürfen und was von der Besteuerung ausgeschlossen sein sollte.
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Inhaltsverzeichnis
1. Subjektives Nettoprinzip – Einleitung
Fragt man Steuerpflichtige in Deutschland, ob sie die Höhe ihrer Steuern für zu hoch erachten, erfährt man meistens Zustimmung. Dabei ahnen wohl die wenigsten Steuerpflichtigen, dass Deutschland Steuern nur nach strengen Regeln erheben darf. Streng sind die Regeln, weil sie aus dem Grundgesetz abgeleitet werden. Zum Beispiel herrscht der Grundsatz, dass Steuern nur auf Basis von Gesetzen erhoben werden dürfen. Außerdem müssen diese Gesetze ihrerseits verfassungskonform sein. Im gegenteiligen Fall kann es nämlich zu einem Aussetzen der Steuer kommen, wie es beispielsweise der Vermögensteuer ergangen ist. Meistens führt der Gesetzgeber aber Änderungen in seine Steuergesetze ein, um sie wieder mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen, so, wie mit der Reform der Grundsteuer.
Eines dieser Prinzipien ist das subjektive Nettoprinzip. Wenn Sie erfahren wollen, welche besondere Bedeutung das subjektive Nettoprinzip für die Besteuerung in Deutschland hat, lesen Sie hier weiter. Wenn Sie sich lieber weiterhin über zu hohe Steuern beschweren wollen, ohne über Einzelheiten des subjektiven Nettoprinzips Bescheid zu wissen, dann können Sie auch Anregungen zum Steuern Sparen in vielen unserer anderen Blogbeiträge finden. Auch das verringert Ihr Beschwerdepotential, ja es mehrt potentiell sogar Ihre Zufriedenheit.
2. Subjektives Nettoprinzip: Regelungen zur Höhe der Steuern
Das subjektive Nettoprinzip kann man als Ergänzung des objektiven Nettoprinzips auffassen. Beide bestimmen ganz allgemein, was einer Besteuerung unterliegen und wie hoch die Steuer dabei ausfallen darf. Besonders relevant sind beide Prinzipien bei der Erhebung von Ertragsteuern. Das subjektive Nettoprinzip ist in dieser Beziehung aber das bedeutendere, weil es fordert, dass Steuern auf das frei verfügbare Einkommen beschränkt sein sollen.
Das frei verfügbare Einkommen muss man unter sozialpolitischen Gesichtspunkten betrachten. Denn dabei handelt es sich um den Teil des Einkommens, der über dem Existenzminimum liegt. Mit anderen Worten muss den Steuerpflichtigen von ihrem Einkommen immer ein Teil steuerfrei bleiben, damit sie ihren Lebensunterhalt aus diesem heraus bestreiten können.
Selbstverständlich ist schon der Versuch der Festlegung einer solchen Grenze keine leichte Aufgabe. So bestehen allein beim Mietniveau in den verschiedenen Regionen in Deutschland gewaltige Unterschiede. Immerhin führt die Anwendung des subjektiven Nettoprinzips zu einer regelmäßigen Anpassung des Grundfreibetrags, der ja der Absicherung des Existenzminimums dient. Zuletzt konnte man dies in der Anhebung des Grundfreibetrags im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2022 erkennen, die aufgrund der allgemeinen Teuerung erforderlich wurde.
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3. Subjektives Nettoprinzip: Anwendung über das Existenzminimum hinaus
Mit der Bewahrung des Existenzminimums vor Besteuerung hat das subjektive Nettoprinzip einen wesentlichen Aspekt im Regelungswerk deutscher Besteuerungsgrundsätze abgedeckt. Doch mit der Zeit musste man erkennen, dass man weitere Bereiche in diese Betrachtung einbeziehen sollte. Die Prüfung, ob Steuern zu erheben oder Leistungen zu erbringen sind, damit der Gesetzgeber dem Grundgesetz ausreichend Geltung leistet, oblag letzten Endes dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Dieses urteilte in diversen Verfahren, was der Staat unternehmen darf und was er zu unterlassen hat, damit dem objektiven ebenso wie dem subjektiven Nettoprinzip entsprochen wird. Dazu zählen wegweisende Urteile über den Ansatz von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen bei der Ermittlung des Einkommens sowie der Ansatz realitätsnaher Unterhaltsleistungen. Außerdem stellte das BVerfG klar, dass Kinderbetreuungskosten Alleinerziehender steuerlich angemessen zu würdigen sind. Ähnlich gelagert, wenn auch ohne direkten (aber indirektem) Bezug zum subjektiven Nettoprinzip, sind Urteile über die Höhe des Kindergeldes, beziehungsweise über die Zulässigkeit von Kindergeldkürzungen.
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4. Besteuerung unter Missachtung des subjektiven Nettoprinzips
Jetzt mag man den Eindruck erhalten haben, das subjektive Nettoprinzip sei universell zu beachten. In der Realität kann es aber durchaus Abweichungen von diesem Grundsatz geben. So erhebt man beispielsweise unter bestimmten Umständen selbst dann Einkommensteuer, wenn eigentlich ein über alle Einkünfte hinweg festzustellender Verlust vorliegt. Das kann dadurch auftreten, wenn man im Bereich der Einkünfte aus Kapitalvermögen einen Verlust eingefahren hat, der größer ist, als alle anderen positiven Einkünfte. Der Grund hierfür liegt im Verrechnungsverbot von Verlusten aus Kapitaleinkünften mit anderen Einkünften. Auf diese Weise kann es vorkommen, dass eine steuerpflichtige Person Einkommensteuer aus ihrem Privatvermögen heraus zu entrichten hat.
Übersteigt die Steuerforderung aber das Privatvermögen, kann sogar Privatinsolvenz drohen. Dennoch ist dies steuerrechtlich zulässig. Schließlich geht diese Besteuerung mit der Gewährung eines Verlustvortrags einher. Ob dies aber tatsächlich mit dem subjektiven Nettoprinzip vereinbar ist, kann man bezweifeln. Immerhin hat das Finanzgericht Köln in einem aktuellen Urteil die Verletzung des subjektiven Nettoprinzips bejaht (Az.:5 K 1403/21). Da das Finanzamt jedoch Revision beim Bundesfinanzhof (BFH) beantragt hat (Az.: IX 18/23), ist eine endgültige Entscheidung noch ausstehend.
Auch in einem anderen Zusammenhang mit der Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen besteht der dringende Verdacht, dass das subjektive Nettoprinzip keine Anwendung findet. Denn die Kapitalertragsteuer sieht als Abgeltungsteuer keine Berücksichtigung des Grundfreibetrags vor.
Andererseits bedeutet die Beschränkung des subjektiven Nettoprinzips auf die Einkommensteuer, dass Körperschaften bei ihrer Besteuerung keinen Anspruch auf ihre Wirkung haben. Schließlich kennen juristische Personen im Unterschied zu natürlichen Personen keine steuerrechtlich anerkanntes Existenzminimum, weil ihre Existenz im Wesentlichen keiner finanziellen Basis bedarf. Daher besteht auch kein rechtlicher Widerspruch zur unterschiedlichen Behandlung bei der Anrechnung der Gewerbesteuer bei natürlichen und juristischen Personen. So urteilte zumindest der BFH unlängst.
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5. Subjektives Nettoprinzip – Schlusswort
Das subjektive Nettoprinzip ist ein wichtiger Bestandteil des Instrumentariums, mit dem die Verfassung den Sozialstaat gewappnet, aber auch verpflichtet hat. Dass es sich hierbei um einen Grundsatz handelt, der lediglich auf die Besteuerung natürlicher Personen einwirkt, kann man befremdlich finden. Schließlich kann man als Unternehmer, der in der Rechtsform einer GmbH oder AG tätig ist, weder bei der Körperschaftsteuer noch bei der Kapitalertragsteuer eine faktische Berücksichtigung des Existenzminimums erkennen. Zumindest ist dort kein Gegenstück zum Grundfreibetrag vorgegeben. Auch bei der fehlenden Anrechnung der Gewerbesteuer als Betriebsausgabe im Rahmen der Körperschaftbesteuerung kann man Zweifel hegen, ob die Gesellschafter der Kapitalgesellschaft einen angemessenen Schutz ihres Existenzminimums erfahren. Daran ändert auch das zuvor erwähnte BFH-Urteil wenig, weil es sich lediglich auf die Besteuerung der juristischen Person bezog, ohne die steuerpflichtigen Gesellschafter dahinter ebenfalls mit einzubeziehen.
Solange aber die Besteuerung von Körperschaften und ihren Gesellschaftern insgesamt ausgewogen und der von natürlichen Personen in Personenunternehmen vergleichbar bleibt, dürfte es schwer fallen, das Argument einer ungleichen Behandlung durch Ausschluss des subjektiven Nettoprinzips bei der Körperschaftbesteuerung zu vertreten. Schließlich zahlen Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft im Endeffekt ähnlich viel Steuern wie Unternehmer, deren Existenzminimum durch Anwendung des subjektiven Nettoprinzips geschützt ist.
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