EuGH: Rs. Kommission/Portugal vom 21.12.2016 – Az. C-503/14 (Kritische Analyse)
Im portugiesischen Umwandlungssteuerrecht bestanden gleich zwei Beschränkungen der Grundfreiheiten, welche im EuGH-Urteil vom 21.12.2016 – Az.C-503/14 aufgegriffen wurden. Die erste Beschränkung bestand hinsichtlich dem Tausch von Anteilen an Kapitalgesellschaften. Hier musste der Anteilsinhaber im portugiesischem Inland verbleiben, da bei Wegzug die Steuerneutralität rückwirkend aufgehoben wird. Die zweite Beschränkung der Grundfreiheiten bestand bei der Einbringung von Betriebsvermögen in Kapitalgesellschaften, da hier die Steuerneutralität nur für Einbringungen in inländische Kapitalgesellschaften gewährt wurde – nicht aber auch in ausländische Kapitalgesellschaften, was eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt. In seiner kritischen Analyse geht Herr Prof. Dr. Christoph Juhn auf die Urteilsbegründung des EuGH ein und schließt daraus, welche Bedeutung sich für das deutsche Steuerrecht ergibt.
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus der Dissertation von Herrn Prof. Dr. Christoph Juhn an der Universität zu Köln. Er behandelt die grenzüberschreitende Einbringung von Betriebsvermögen in Kapitalgesellschaften. Dabei ist Prof. Juhn zu dem Ergebnis gekommen, dass internationale Umwandlungsvorgänge – sowohl in EU-/EWR-Staaten als auch in Drittstaaten – durch die Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit geschützt sind und damit steuerneutral möglich sein müssen. Aufgrund der Praxisrelevanz der Ausarbeitung stellen wir Ihnen diese wissenschaftliche Ausarbeitung hier auszugsweise kostenlos zur Verfügung.
Unser Video:
Umwandlungen mit DBA-Ländern
In diesem Video stellt Herr Prof. Dr. Juhn einen Teil seiner Dissertation vor zu grenzüberschreitenden Umwandlungen mit DBA-Ländern.
1. Sachverhalt [784]
Im Jahr 2016 standen sowohl die portugiesischen Regelungen zum Anteilstausch als auch zu Einbringungsvorgängen auf dem Prüfstand des EuGH.
Das portugiesische Steuerrecht (Art. 10 CIRS) erlaubte einen steuerneutralen Anteilstausch, nahm jedoch eine rückwirkende Besteuerung des Übertragungsvorgangs vor, wenn der Anteilsinhaber zu einem späteren Zeitpunkt seinen Sitz im portugiesischen Hoheitsgebiet aufgibt. Ferner sah das portugiesische Steuerrecht in Art. 38 CIRS die steuerneutrale Einbringung von Betriebsvermögen nur in Kapitalgesellschaften vor, die ihren satzungsmäßigen Sitz und ihre tatsächliche Geschäftsleitung im portugiesischen Hoheitsgebiet haben.
Das portugiesische Steuerrecht gewährte die Steuerneutralität beim Anteilstausch unabhängig davon, zu welchem Umfang die übertragende natürliche Person anschließend an der übernehmenden Gesellschaft beteiligt ist. Bei der Einbringung von Betriebsvermögen gewährte Portugal die Steuerneutralität hingegen nur, wenn nach der Einbringung eine Mindestbeteiligungsquote von 50 Prozent bestand.
2. Entscheidung
In beiden Fällen stellte der EuGH fest, dass der mit der jeweiligen Handlung (Wegzug bzw. Einbringung) verbundene Liquiditätsnachteil eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt. Zwar erkannte er das Ziel einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse als legitimes Ziel an, sah aber im Einklang mit seiner bisherigen Rechtsprechung in der Sofortbesteuerung einen nicht verhältnismäßigen Eingriff. Unter Bezugnahme auf die Grundsatzentscheidung in der Rs. National Grid Indus sah er die portugiesische Regierung in der Pflicht, dem Unionsbürger die Wahl zwischen einer Sofortbesteuerung und einem Steueraufschub u.U. mit der Erhebung von Zinsen und der Inanspruchnahme von Sicherheitsleistungen zu gewähren.[785]
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3. Stellungnahme
Dass der EuGH beide Normen einheitlich im Lichte der Niederlassungsfreiheit prüfte, vermag auf den ersten Blick verwunderlich sein, ist bei genauer Betrachtung aber zutreffend. Für Art. 10 CIRS (Anteilstausch) folgt die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit daraus, dass sich die vorzeitige Besteuerung nicht aus dem Anteilstausch alleine, sondern nur in Verbindung mit dem Wegzug des Anteilseigners und damit mit der Begründung einer neuen Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat ergibt. Bei Art. 38 CIRS (Einbringung in ausländische Kapitalgesellschaft) entsteht die Beschränkung durch die Tatsache, dass die Steuerneutralität erst ab einer Mindestbeteiligungsquote von 50 Prozent gewährt wird und damit Kontrollbeteiligungen erfasst, die vorrangig in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit fallen.[786]
Zudem stand nun fest, dass sich der EuGH von den früheren Entscheidungen in den Rs. Lasteyrie du Saillant[787] und N[788] abwandte und künftig nicht mehr zwischen der Entstrickung im Privatvermögen (personelle Entstrickung durch Wegzug) und der Entstrickung im Betriebsvermögen (gegenständliche Entstrickung durch Überführung) unterscheidet.[789] Der EuGH gewährte dem Ursprungsstaat nunmehr – in Abweichung von der hier vertretenen Auffassung –, sowohl im Privat- als auch im Betriebsvermögen die Steuer von der Gestellung von Sicherheiten und der Erhebung von Zinsen abhängig zu machen. Außerdem hat der Ursprungsstaat nachträglich eintretende Wertminderungen nicht zu berücksichtigen.[790]
3.1. Auswirkungen der Grundsätze des EuGH auf das deutsche Umwandlungssteuerrecht
Auch ist dieses Urteil Bestätigung für die bislang nur in der Literatur herrschende Vermutung[791], dass die durch den EuGH in der Rs. National Grid Indus aufgestellten Grundsätze auf die speziellen Entstrickungsnormen des UmwStG übertragbar sind. Es steht nunmehr fest, dass auch die Entstrickungsnorm nach § 20 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 UmwStG eine Stundungsregelung entsprechend den vorgenannten Anforderungen
vorsehen muss.[792]
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[784] EuGH v. 21.12.2016 – C-503/14, Kommission/Portugal, ECLI:EU:C:2016:979.
[785] EuGH v. 21.12.2016 – C-503/14, Kommission/Portugal, ECLI:EU:C:2016:979, Rn. 59, 87.
[786] EuGH v. 21.12.2016 – C-503/14, Kommission/Portugal, ECLI:EU:C:2016:979, Rn. 80; vgl. zur Abgrenzung von Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit auch S. 101 ff.
[787] EuGH v. 11.3.2004 – C-9/02, Hughes de Lasteyrie du Saillant, Slg. 2004, I-2409.
[788] EuGH v. 7.9.2006 – C-470/04, N, Slg. 2006, I-7409.
[789] Zu den bisherigen Unterschieden der Entstrickung im Privat- und Betriebsvermögen: Ellenrieder/Kahlenberg, BB 2018, 1815, 1820; Kritisch zu einer Gleichbehandlung: Jabrayilov, SAM 2017, 83, 92.
[790] Micker/Schwarz, IWB 2017, 344, 350; Wacker, IStR 2017, 926, 927 f.
[791] So z.B. Benz/Böhmer, DStR 2016, 145, 147; Heerdt, IStR 2012, 866, 867; Hruschka, DStR 2012, Beihefter zu Heft 2, 4, 6; Schönhaus/Müller, IStR 2013, 174, 179.
[792] Micker/Schwarz, IWB 2017, 344, 349.