Harmonisierungskompetenzen der EU

Richtlinien, ihre unmittelbare Anwendbarkeit, sowie andere Rechtsakte der EU

Harmonisierungskompetenz: Einfluss der Europäischen Union auf die nationale Steuergesetzgebung

Das „europäische Steuerrecht“ ist keine Steuer eigener Art, wie beispielsweise die Körperschaftsteuer. Vielmehr sind darunter supranationale Vorgaben des Europarechts zu verstehen, die für die Ausgestaltung der nationalen Steuersysteme von Bedeutung sind. Diese europäischen Rechtssätze können auf unterschiedliche Weise auf die nationalen Steuernormen einwirken. Beispielsweise kann die Europäische Union das nationale Steuerrecht durch Rechtsakte harmonisieren, die teilweise an die Stelle der nationalen Steuerrechtsnormen treten. Weiterhin beschränken auch im nicht harmonisierten Bereich europarechtliche Grundsätze die Ausübung der Steuersouveränität. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Kompetenz der Europäischen Union zur Harmonisierung der nationalen Steuernormen.

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Inhaltsverzeichnis


1. Harmonisierung durch die Europäische Union

Ziel des Europäischen Union ist es primär, einen Binnenmarkt zwischen den Mitgliedstaaten zu verwirklichen. Dazu hat der Europäische Gesetzgeber die Kompetenz zur Harmonisierung weiter Bereiche des Steuerrechts (Art 113, Art 115 f. AEUV). Das Unionsrecht ist in primäres und sekundäres Recht eingeteilt. Das Primäre Recht bezeichnet die Gründungsverträge AEUV und EUV. Hingegen umfasst das sekundäre Unionsrecht die von der Europäischen Union erlassenen Rechtsnormen. Durch das primäre Unionsrecht wird der EU die Kompetenz zur Vereinheitlichung, Angleichung und Koordination des Rechts der Mitgliedstaaten durch sekundäres Unionsrecht gegeben. Dabei ist die EU an den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (Art 5 I, II EUV) gebunden. Das heißt, dass die Europäische Union nicht mehr Rechte hat, als ihr durch die Mitgliedsstaaten übertragen worden ist. Sie besitzt keine Kompetenz sich weitere Kompetenzen zu verschaffen (Kompetenz-Kompetenz).

Die Rechtsakte der Steuerharmonisierung erlässt der Rat regelmäßig einstimmig auf Vorschlag der Kommission, nachdem das Europäische Parlament sowie der Wirtschafts- und Sozialausschuss angehört wurden.

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2. Rechtsakte der Harmonisierung durch Sekundärrecht

Gemäß Art 288 I GG kann die EU Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen als Rechtsakte erlassen. Eine Verordnung wird in dem Mitgliedstaat unmittelbar geltendes Recht. Folglich kann sich der einzelne EU-Bürger unmittelbar auf die Verordnung berufen. Eine Richtlinie hingegen bedarf der Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber. Der EU-Bürger kann sich auf die Richtlinie nur unter gewissen Voraussetzungen berufen. Vor allem beihilferechtliche Entscheidungen der Kommission werden durch Beschlüsse getroffen. Beschlüsse können an einen bestimmten Adressaten gerichtet werden und sind in diesem Fall nur für diesen Adressaten verbindlich. Das nationale Steuerrecht wird in der Regel durch Richtlinien harmonisiert. Soweit das nationale Recht einer Richtlinie bei ihrer Einführung schon genügt bedarf es keiner gesonderten Umsetzungsmaßnahme mehr. Das harmonisierte Recht ist richtlinienkonform auszulegen. Folglich ist bei Mehrdeutigkeit einer Norm diejenige Auslegung einschlägig, die mit der zugrunde liegenden Richtlinie zu vereinbaren ist.

3. Unmittelbare Wirkung einer Richtlinie als Harmonisierung

Eine unmittelbare Wirkung der Richtlinie mit Anwendungsvorrang gegenüber einer richtlinienwidrigen Bestimmung ist an sich nicht vorgesehen. Im Wege der Rechtsfortbildung entwickelte diese der EuGH aber. Voraussetzung ist, dass die Richtlinie unbedingt und hinreichend klar bestimmt ist. Die unmittelbare Anwendung der Richtlinie kommt nur im Verhältnis des Privatrechtssubjektes zum Mitgliedstaat in Betracht. Vorrangig ist überdies zu prüfen, ob eine richtlinienkonforme Auslegung möglich ist.

Wenn das nationale Recht mangels rechtzeitiger oder ordnungsgemäßer gesetzlicher Umsetzung hinter dem Richtlinienrecht zurück bleibt, sind unter diesen Voraussetzungen die im konkreten Einzelfall steuerentlastend wirkende Richtlinienvorgaben zugunsten des Steuerpflichtigen zu beachten. Die Richtlinie gibt der Finanzverwaltung aber keine Grundlage für eine gegenüber der tatsächlichen Gesetzeslage verschärften Besteuerung. Daher sind richtlinienwidrige Steuerrechtsnormen nur zulasten des Fiskus unanwendbar. Dennoch muss der Steuerpflichtige laut BFH, wenn er sich auf eine günstigere Richtlinie berufen will, systematisch verknüpfte für ihn Ungünstige Regelungen in Kauf nehmen. Beispielsweise muss der Steuerpflichtige, der sich auf die Umsatzsteuerbefreiung der Richtlinie beruft im Gegenzug den Ausschluss des Vorsteuerabzugs gegen sich gelten lassen, sodass unter Umständen eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs nötig ist. Trotzdem setzt die unmittelbare Anwendung der Richtlinie setzt voraus, dass die zusammenhängenden Be- und Entlastungswirkungen den Steuerpflichtigen günstiger stellen, als ohne Anwendung der Richtlinie.

4. Tertiärrecht

Im Bereich des umfassend harmonisierten Steuerrechts gibt es die Möglichkeit aufgrund sekundärrechtlicher Übertragung von materiellen Gesetzgebungsbefugnissen auf Kommission und Rat die Möglichkeit, sogenanntes Tertiärrecht zu erlassen. Der Kommission kann die Befugnis eingeräumt werden, nicht wesentliche Vorschriften eines Sekundärrechtsaktes im Wege delegierter Rechtsakte zu ergänzen oder zu ändern (Art 290 AEUV). Zudem können die Kommission beziehungsweise der Rat ermächtigt werden, Durchführungsbestimmung zu Sekundärrechtsakten zu erlassen (Art 291 II AEUV). Als Beispiel für letztgenanntes Tertiärrecht kann die MwSt-Durchführungsverordnung 282/2011 angeführt werden. Delegierte Rechtsakte im Sinne des Art 290 AEUV haben auf dem Gebiet des Steuerrechts bislang hingegen noch keine Bedeutung.

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5. Verhältnis von Primär- und Sekundärrecht bei der Harmonisierung

Nach der Konzeption der Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaft unterlagen die Organe der Gemeinschaft bei der Ausübung ihrer Kompetenzen keinen materiell-rechtlichen Bindungen an rechtsstaatliche Grundsätze. Dies wurde vielmehr erst im Rahmen eines deutschen Vorlageverfahren vor dem EuGH verdeutlicht. Dadurch wurde die Grundrechtsrelevanz gemeinschaftsrechtlicher Harmonisierungsakte ersichtlich. Das veranlasste den EuGH im Wege der Rechtsfortbildung einen Katalog von Grundrechten zu entwickeln. Der primärrechtliche Rang dieses Grundrechtskataloges wurde dann durch Art 6 III EUV bekräftigt. Folglich führen Verstoße durch Sekundärrechtsbestimmung, die nicht gerechtfertigt werden können und bei denen eine primärrechtskonforme Auslegung des Sekundärrechts nicht möglich ist, zu Nichtigkeit der Sekundärrechtsbestimmung. Dann ist auch die Harmonisierung des geltenden nationalen Rechts durch diese Norm nicht möglich.

6. Nicht der Harmonisierung dienende Rechtsakte

6.1. Keine Harmonisierung: rechtlich unverbindliche Erklärungen von EU-Organen

Kommission und Rat äußern sich regelmäßig in amtlichen Erklärungen, die auf bestimmte steuerliche Standards hinwirken sollen. Dabei handelt es sich um Empfehlungen und Stellungnahmen (Art 288 V AEUV). Diese Erklärungen entfalten aber keine Rechtsverbindlichkeit. Darin legen die Organe vielmehr ihr Verständnis von bestimmten Vorschriften des Primär- oder Sekundärrechts dar. Es handelt sich daher um norminterpretierende Rechtsakte. Zudem gibt es sogenannte Ermessensleitlinien, in denen die Kommission die Kriterien, von denen sie sich bei der Ausübung eines ihr kraft primär- oder sekundärrechtlicher Bestimmung übertragenen Ermessens, leiten lässt.  Norminterpretierende Akte können vom EuGH zur Auslegung von Vorschriften des Unionsrechts herangezogen werden. Sie können zudem als Grundlage für Vertrauensschutz gelten. Im letzteren Fall kann sich der Steuerpflichtige auch auf diesen Vertrauensschutz berufen und davon ausgehen, dass sein Fall so behandelt wird.

6.2. Entscheidungen der europäischen Gerichte

Die Gerichte der EU entscheiden über die Auslegung von besteuerungsrelevantem Primär- und Sekundärrecht. Ihnen kommt ein Verwerfungsmonopol für primärrechtswidrige Unionsrechtsakte zu. Die Entscheidungen des EuGH haben grundsätzliche Bedeutung im Rahmen der negativen Integration. Das heißt für die Beurteilung des nationalen Rechts mit Blick auf die Grundfreiheiten.

7. Warum ist die Kompetenz zur Harmonisierung im Steuerrecht nur begrenzt möglich?

Trotz den genannten Harmonisierungsmöglichkeiten ist die Harmonisierungskompetenz im Steuerrecht nur begrenzt. Grund dafür ist wieder das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Art 113 AEUV gewährt der EU nur die Kompetenz zur Harmonisierung der indirekten Steuern.

Für die direkten Steuern (bspw. Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer) ist eine solche Kompetenz ausdrücklich nicht vorgesehen. Zur Harmonisierung muss vielmehr auf die generellen Kompetenzen zurückgegriffen werden. Art 115 AEUV sieht eine solche Kompetenz nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen vor. Die Kompetenz kann nur einstimmig ausgeübt werden. Das heißt, dass alle Mitgliedstaaten zustimmen müssen. Im Rahmen der direkten Steuern wollen die Mitgliedstaaten aber vielmehr selbst entscheiden. Weiterhin können in diesem Rahmen nur Richtlinien erlassen werden. Diese müssen sich zudem unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarkts auswirken. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kompetenz zur Harmonisierung der direkten Steuern sehr eingeschränkt ist und kaum wahrgenommen wird. Etwas anderes gilt für die indirekten Steuern. Insbesondere das Umsatzsteuerrecht ist eigentlich vollharmonisiert.


Steuerberater für europarechtliche Bezüge des nationalen Steuerrechts

Unsere Kanzlei hat sich besonders auf die steuerrechtliche Gestaltungsberatung unter Beachtung der Harmonisierung des nationalen Steuerrechts durch das Europarecht spezialisiert. Bei der Beurteilung der unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien zugunsten unserer Mandanten und der Europarechtskonformität schätzen Mandanten unser Know-how beispielsweise in folgenden Bereichen:

  1. Beratung zum internationalen Erbschaftsteuerrecht
  2. Umfassende Beratungen im Internationalen Steuerrecht (Quellensteuerabzug, Wegzugsbesteuerung, Hinzurechnungsbesteuerung)
  3. Entwicklung von Maßnahmen zur Reduktion der Steuerlast (z.B. RechtsformwahlSitzverlegung)
  4. Entwicklung individueller Gestaltungsmodelle im internationalen Steuerrecht, beim Unternehmenskauf/-verkauf und bei Umstrukturierungen)
  5. Beurteilung von Regelungen mit Blick auf die Grundfreiheiten (insbesondere Niederlassungsfreiheit, Kapitalverkehrsfreiheit)
  6. Klage vor dem EuGH
  7. Beurteilung der Europarechtskonformität von Steuergesetzen
  8. Europarechtskonforme Auslegung von Steuergesetzen
  9. Verfahren vor dem Bundesfinanzhof

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