beschränkte Steuerpflicht

Ist der Progressionsvorbehalt gerecht?

Kritik am Progressionsvorbehalt bei beschränkter Steuerpflicht

Der sogenannte Progressionsvorbehalt ist ein Mechanismus, um den bei einer Ertragsbesteuerung anwendbaren Steuersatz realistisch anzusetzen. In Deutschland gilt dies nur für die Einkommensteuer. Denn auch wenn Einkünfte teilweise steuerfrei bleiben, soll das zu versteuernde Einkommen nach solchen Maßstäben besteuert werden, die gelten würden, wenn keine Steuerbefreiungen vorliegen würden. Aber ist das auch in jedem Fall gerecht? Wir üben Kritik am Progressionsvorbehalt, insbesondere bei der inländischen Besteuerung von beschränkt Steuerpflichtigen im Ausland.

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Inhaltsverzeichnis


1. Der Progressionsvorbehalt – Einleitung

Die Einkommensteuer ist in Deutschland, ebenso wie in vielen anderen Ländern der Welt, eine Ertragsteuer, bei der die Höhe des Steuersatzes variabel ist. Je nachdem, ob man wenig oder viel an Einkommen verdient, zahlt man auf diese Einkommensteile Steuern mit einem sukzessive steigenden Steuersatz. Dies hängt mit dem im Grundgesetz verankerten Leistungsfähigkeitsprinzip zusammen. Es besagt, dass Steuerpflichtige, die viel verdienen, proportional höhere Steuern zahlen sollen als solche mit geringerem Einkommen. Der Grund hierfür ist, dass das Grundgesetz klar definiert, dass die Bundesrepublik ein Sozialstaat ist.

Also muss das Steuerrecht, insbesondere das Einkommensteuerrecht, diesem Anspruch gerecht werden. Und dies erfolgt dadurch, dass man eben unterschiedlich hohe Steuersätze auf bestimmte Teile des Einkommens anwendet. Man nennt dies Progression.

Nun ist es aber so, dass manche Einkommensteile in Deutschland steuerfrei sein können, etwa, wenn eine in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Person im Ausland Immobilien vermietet und die Mieteinnahmen aufgrund des Belegenheitsprinzips ausschließlich dort versteuert. Wenn man nun die Höhe der Einkommensteuer in Deutschland ermittelt, dann könnte man einerseits ignorieren, was davon an Einnahmen steuerfrei bleibt. Andererseits kann man die steuerfreien Anteile des Einkommens aber auch zur Bestimmung des persönlichen Steuersatzes heranziehen. Allerdings steigen dadurch Steuersatz und Steuern. Letzteres Vorgehen ist genau das, was das deutsche Steuerrecht vorsieht: eine Besteuerung unter Beachtung des Progressionsvorbehalts nach § 32b EStG.

2. Bisherige Kritik am Progressionsvorbehalt

Damit wären wir bereits bei einem ersten Punkt, an dem Kritik am Progressionsvorbehalt schon in der Vergangenheit aufgekeimt ist. Wenn doch Teile des Einkommens eigentlich steuerfrei bleiben sollen, wieso muss man dann auf andere Einkommensteile eine höhere Steuer als eigentlich vorgesehen zahlen? Was bleibt da von der eigentlich zulässigen Steuerbefreiung?

Dabei kann dies schon bei einer ganz normalen Besteuerung von unbeschränkt Steuerpflichtigen in Deutschland eintreten. Selbst ohne einen Auslandsbezug ist dies hierzulande möglich. Zum Beispiel bei einem Reeder, der seine Einkünfte besonders günstig per Tonnagebesteuerung versteuert. Hat ein solcher Reeder noch weitere einkommensteuerpflichtige Einkünfte und trägt die Schifffahrt dank Tonnagebesteuerung trotz hohem tatsächlichem Gewinn nur mit einem geringen Teil zum Einkommen bei, würde der persönliche Durchschnittssteuersatz ohne Progressionsvorbehalt deutlich unter dem liegen, was man ohne Tonnagebesteuerung zu zahlen hätte. Dies gilt auch für andere Einkunftsarten, in denen es eine staatliche Subventionierung gibt, etwa in der Land- und Forstwirtschaft. Aber für den Teil des Einkommens, der aufgrund der Besteuerung nach dem Progressionsvorbehalt der regulären Besteuerung unterliegt, fallen dann ungewöhnlich hohe Steuern an.

Zugegeben, dies sind seltene Fälle. Aber auch abseits davon findet der Progressionsvorbehalt Anwendung, insbesondere bei Lohnersatzleitungen. Arbeitslosengeld, Übergangsgeld, Kurzarbeitergeld, Mutterschaftsgeld und Elterngeld sind nur einige Beispiele für eigentlich steuerfreie Einkünfte. Dennoch wirken sie sich auf die Berechnung des persönlichen Steuersatzes aus.

Daher stellt sich durchaus die Frage, ob man, nur weil man auf der einen Seite steuerliche Vergünstigungen erhält, dann bei anderen Einkünften stärker als eigentlich vom Gesetz vorgesehen besteuert werden sollte. Allerdings ist dies auch ein Aspekt, der ebenso bei beschränkt steuerpflichtigen Personen zu berücksichtigen ist, wie wir gleich zeigen wollen.

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3. Kritik am Progressionsvorbehalt bei beschränkter Steuerpflicht

Beschränkt steuerpflichtige Personen veranlagen ihr Einkommen regelmäßig in dem Staat, in dem sie unbeschränkt steuerpflichtig sind sowie in jenen, in denen sie nur auf die dort erzielten Einkünfte Steuern zahlen müssen. Dadurch ergibt sich ein Dilemma: Das Leistungsfähigkeitsprinzip dient ja einem sozialen Ausgleich im Inland und soll auf diese Weise den sozialen Frieden sichern. Aber wie passt das mit der Besteuerung von Ausländern zusammen, die hierzulande nur geringe Einkünfte unter Anwendung des Progressionsvorbehalts mit einer deutlich höheren Steuer versteuern müssen? Ist es gerechtfertigt, dass man das Leistungsfähigkeitsprinzip mittels Progressionsvorbehalt dennoch durchsetzt? Wir denken, dass man bei solchen Fällen ebenfalls Kritik am Progressionsvorbehalt üben darf. Und zwar ganz besonders bei einem solchen Auslandsbezug.

Nehmen wir beispielsweise Frau Calypso aus Antigua und Barbuda. Dort verzeichnet sie ein hohes Einkommen von jährlich umgerechnet EUR 100.000. Sie besitzt aber auch eine Immobilie in Deutschland, die sie jährlich für gerade einmal EUR 10.000 vermietet. Das liegt in Deutschland unter der Schwelle des Grundfreibetrags. Da Frau Calypso aber keine unbeschränkt steuerpflichtige Person in Deutschland ist, bleibt ihr der Ansatz des Grundfreibetrags verwehrt. Diesen können nämlich nur unbeschränkt steuerpflichtige Personen in Deutschland in Anspruch nehmen. Folglich muss sie die in Deutschland erzielten Mieteinnahmen komplett versteuern. Und zwar unter Progressionsvorbehalt. Bei einem weltweiten Gesamteinkommen von EUR 110.000 beträgt der persönliche Steuersatz dann nämlich 42 %. Also zahlt Frau Calypso EUR 4.200 an Einkommensteuer. Im Vergleich dazu müsste eine unbeschränkt steuerpflichtige Person auf diese deutschen Einkünfte eigentlich gar keine Steuern zahlen.

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4. Kritik am negativen Progressionsvorbehalt

Auf der einen Seite kann man also kritisieren, dass der Progressionsvorbehalt zu höheren Steuern führen kann, und zwar auch in Situationen, in denen eine höhere Steuer zumindest als unfair erscheinen mag. Aber Fairness und Moral im Allgemeinen sind Attribute, nach denen sich Steuergesetze nur bedingt zu richten brauchen; sie erfüllen andere Zwecke. Auf der anderen Seite kann ein Progressionsvorbehalt aber auch das Gegenteil bewirken. Dass dies keineswegs mit der ursprünglichen Absicht des Gesetzgebers harmonieren dürfte, sollte offensichtlich sein. Aber was genau ist mit dem Begriff negativer Progressionsvorbehalt gemeint und woran entzündet sich die Kritik?

Nehmen wir nochmal Bezug auf unsere fiktive, in Deutschland beschränkt steuerpflichtige Frau Calypso aus Antigua und Barbuda. In einem späteren Veranlagungszeitpunkt hat sie neue Immobilien in Deutschland erworben, sodass sie jetzt jährliche Mieteinnahmen in Höhe von EUR 20.000 erzielt. Gleichzeitig hat sie in ihrer Heimat allerdings einen Verlust von umgerechnet EUR 10.000 verbucht. Unter Anwendung des Progressionsvorbehalts reduziert das Finanzamt bei der Ermittlung ihrer Einkommensteuer in Deutschland die Mieteinkünfte um den ausländischen Verlustbetrag, sodass man den persönlichen Steuersatz auf ein Gesamteinkommen von lediglich EUR 10.000 berechnen muss. Bei Einkommen von EUR 10.000 gilt aber ein Steuersatz von 0 %. Obwohl Frau Calypso eigentlich eine Einkommensteuer von etwa EUR 1.800 zu zahlen hätte, bleibt sie in diesem Fall, aufgrund ihrer ausländischen Verluste, komplett vor Steuern im In- und Ausland verschont.

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5. Kritik am Progressionsvorbehalt – Fazit

An vielen Punkten kann man also Kritik am Progressionsvorbehalt anbringen. Man muss folglich zur Auffassung gelangen, dass der Progressionsvorbehalt im Grunde nur ein unvollkommener Ansatz ist. Man wählte ihn, um den Anspruch des deutschen Steuerrechts an eine sozial verträgliche Einkommensbesteuerung zu erfüllen. Klar dürfte dabei sein, dass der Ansatz durchaus relativ leicht umsetzbar ist. Man rechnet einfach das steuerfreie Einkommen dem Steuerpflichtigen hinzu und ermittelt so den, aus Sicht des Gesetzgebers, eigentlich gerechtfertigten Steuersatz. Würde man diesen Ansatz durch einen anderen ersetzen wollen, einen, der die Kritik am Progressionsvorbehalt berücksichtigt, müsste man sicherlich deutlich komplexere Bestimmungsverfahren entwickeln. Und dies enthält stets das Risiko, dass das Gesetzeswerk mit anderen Gesetzen, insbesondere dem Grundgesetz, in Widerspruch gerät. Darum ist es auch kaum realistisch, dass der Gesetzgeber in absehbarer Zeit einen Versuch unternimmt, sich Gedanken über eine bessere Alternative zu machen.

Fairerweise muss man dazu aber ebenfalls anmerken, dass der Progressionsvorbehalt kein Alleinstellungsmerkmal des deutschen Steuerrechts ist. Auch in vielen anderen Steuerregimen spielt er eine durchaus wichtige Rolle. Gerade in großen Industrienationen mit einer ausgeprägten Einkommensbesteuerung natürlicher Personen ist dieser Ansatz besonders verlockend. So ist der Progressionsvorbehalt etwa in den Niederlanden, Österreich und der Schweiz im Steuerrecht vorgesehen.


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