Tatsächliche Steuerentstrickung bei grenzüberschreitenden Umwandlungen im Lichte des geänderten Abkommensverständnisses durch den BFH (Aufgabe der finalen Entnahmetheorie)
Der grundlegendste Einbringungsvorgang nach deutschem Gesellschafts- und Steuerrecht ist die Einbringung in Kapitalgesellschaften nach § 20 UmwStG. Hierbei werden alle Wirtschaftsgüter der neuen Kapitalgesellschaft zugeordnet, was eine rechtliche Steuerentstrickung darstellt. Hiervon abzugrenzen ist die tatsächliche Steuerentstrickung, bei der die Wirtschaftsgüter tatsächlich neu zugeordnet werden, bspw. indem sie einer anderen (ausländischen) Betriebsstätte zugeführt werden. Diese Abgrenzungen zwischen den Arten der Steuerentstrickung werden hier erläutert. Zudem wird die Zentralfunktion des Stammhauses und die funktionale Zuordnung von Wirtschaftsgütern erläutert.
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus der Dissertation von Herrn Prof. Dr. Christoph Juhn an der Universität zu Köln. Er behandelt die grenzüberschreitende Einbringung von Betriebsvermögen in Kapitalgesellschaften. Dabei ist Prof. Juhn zu dem Ergebnis gekommen, dass internationale Umwandlungvorgänge – sowohl in EU-/EWR-Staaten als auch in Drittstaaten – durch die Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit geschützt sind und damit steuerneutral möglich sein müssen. Aufgrund der Praxisrelevanz der Ausarbeitung stellen wir Ihnen diese wissenschaftliche Ausarbeitung hier auszugsweise kostenlos zur Verfügung.
Unsere Kanzlei hat sich besonders auf die verschiedenen Möglichkeiten zur Steuerentstrickung spezialisiert. Dabei arbeiten wir für jeden Mandanten individuelle Gestaltungsmodelle zum Erhalt des Verlustabzug aus. Aufgrund der aktuellen Relevanz haben wir mehrere Beiträge zu diesem Thema publiziert:
Unser Video:
Umwandlungen mit DBA-Ländern
In diesem Video stellt Herr Prof. Dr. Juhn einen Teil seiner Dissertation vor zu grenzüberschreitenden Umwandlungen mit DBA-Ländern.
Inhaltsverzeichnis
1. Allgemeine Steuerentstrickung
Liegt dem Einbringungsvorgang eine Umwandlung i.S.d. UmwG zugrunde, kann dieser gem. § 20 Abs. 6 S. 1 u. 2 UmwStG auf einen steuerlichen Übertragungsstichtag zurückbezogen werden, der bis zu acht Monate vor der Anmeldung der Umwandlung beim zuständigen Handelsregister liegt.[311] Erfolgte die Einbringung außerhalb des UmwG, ist gem. § 20 Abs. 6 S. 3 UmwStG eine Rückwirkung bis zu acht Monate vor der Unterzeichnung des Einbringungsvertrags möglich.
Dies wirft die Frage der Anwendbarkeit der Entstrickungsnorm des § 20 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 UmwStG bei rückwirkenden Einbringungen auf. Denn diese Norm greift nur, soweit das deutsche Besteuerungsrecht zum steuerlichen Übertragungsstichtag ausgeschlossen oder beschränkt wird.[312] Es ist folglich darauf abzustellen, ob die Entstrickung aus rechtlichen Gründen (rechtliche Entstrickung) und damit „ohne weiteres Zutun des Steuerpflichtigen“[313] zum steuerlichen Übertragungsstichtag oder aus tatsächlichen Gründen zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt (tatsächliche Entstrickung).
Eine rechtliche Entstrickung liegt vor, wenn die Wirtschaftsgüter allein aufgrund der veränderten Zugehörigkeit zu einem Rechtsträger, ohne ein Dazutun der beteiligten Akteure, dem deutschen Besteuerungsrecht entzogen werden. Wird die Entstrickung jedoch nicht durch den Rechtsträgerwechsel selbst, sondern durch eine dem Rechtsträgerwechsel folgende Handlung ausgelöst (tatsächliche Entstrickung), sind hierfür die allgemeinen Entstrickungsnormen maßgebend.[314] In Fällen der tatsächlichen Entstrickung ist die spezielle Entstrickungsnorm des § 20 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 UmwStG daher zunächst nicht einschlägig und die Einbringung damit steuerneutral möglich. Die Entstrickung erfolgt durch einen nachgelagerten Vorgang, dessen Beurteilung nach der allgemeinen Entstrickungsnorm (§ 12 Abs. 1 KStG) zu erfolgen hat.[315]
2. Verbleibende Anwendungsfälle
Löst der Einbringungsvorgang keine rechtliche Entstrickung aus, bleibt die Zuordnung eines Wirtschaftsguts zu einer Betriebsstätte nach der Einbringung i.d.R. bestehen.[316] Auch die Finanzverwaltung geht davon aus, dass eine grenzüberschreitende Umwandlung die Zuordnung zu einer in- oder ausländischen Betriebsstätte grundsätzlich nicht ändert.[317] Es bedarf also besonderer Maßnahmen, damit ein Wirtschaftsgut nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag aus dem deutschen Besteuerungsrecht durch eine tatsächliche Handlung entstrickt wird. Hierzu können zwei Fallgruppen herausgearbeitet werden, bei denen die nachgelagerte Veränderung der Betriebsstättenzugehörigkeit in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Einbringung steht.
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2.1. Fallgruppe 1: Zentralfunktion des Stammhauses
Wirtschaftsgüter, die nach Maßgabe der Zentralfunktionsthese[318] stets dem Stammhaus zugeordnet werden, sind besonders von einer tatsächlichen Entstrickung betroffen.[319] Klassisches Anwendungsbeispiel ist hier die Einbringung einer inländischen Betriebsstätte eines inländischen Rechtsträgers in eine ausländische EU-/EWR-Kapitalgesellschaft (Szenario 4 auf S. 31). Wirtschaftsgüter, die nicht aufgrund ihrer funktionalen Betrachtungsweise weiterhin der inländischen Betriebsstätte zugeordnet bleiben, sind – zumindest nach Auffassung der Finanzverwaltung – dem Stammhaus zu allokieren.[320] Die Allokation betrifft insbesondere Beteiligungen, Finanzmittel, immaterielle Wirtschaftsgüter (z.B. Patente, Rechte, Marken und Know-how) sowie den
originären Geschäfts- oder Firmenwert und erfolgt zu einem dem steuerlichen Übertragungsstichtag nachfolgenden Zeitpunkt.[321] Die durch die Zentralfunktionsthese herbeigeführte Entstrickung kann nicht rückwirkend auf den steuerlichen Übertragungsstichtag erfolgen. Dies liegt darin begründet, dass erst in dem Zeitpunkt, in dem die Verantwortlichkeit für ein Wirtschaftsgut an das ausländische Stammhaus tatsächlich übergeben wird, sich die Zuordnung ändert und damit eine Veränderung der Betriebsstättenzugehörigkeit auslösen kann.[322] Bis dahin wird das Wirtschaftsgut noch durch den alten bis dahin fortbestehenden (zweiten) Ort der geschäftlichen Oberleitung verantwortet.[323] Der Übergang der Verantwortung kann frühestens mit der zivilrechtlichen Wirksamkeit der Einbringung eintreten.[324] Nur die Zuordnung von Wirtschaftsgütern, die nach ihrer funktionalen Betrachtungsweise weiterhin der inländischen Betriebsstätte zuzuordnen sind[325], sollen durch die Zentralfunktion des Stammhauses keiner Zuordnungsveränderung unterliegen.[326]
2.2. Fallgruppe 2: Veränderte funktionale Zuordnung
Aber auch die Zuordnung der Wirtschaftsgüter aufgrund der tatsächlichen funktionalen Zuordnung kann durch die Einbringung verändert werden. Die Veränderung des Funktionszusammenhangs kann sowohl zu einer rechtlichen Entstrickung als auch zu einer tatsächlichen Entstrickung führen. Eine rechtliche Entstrickung nach § 20 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 UmwStG zum Einbringungsstichtag liegt vor, wenn die Entstrickung durch den Rechtsträgerwechsel selbst ausgelöst wird.[327] Führt hingegen eine dem Einbringungsstichtag nachgelagerte tatsächliche Handlung der übernehmenden Gesellschaft zu einem neuen Funktionszusammenhang, ist die tatsächliche Entstrickung nach den allgemeinen Entstrickungsvorschriften maßgebend. Typische Anwendungsfälle der tatsächlichen Entstrickung sind Verlagerung von Funktionseinheiten inklusive der damit im Zusammenhang stehenden Maschinen sowie Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe in ausländische Betriebsstätten, die nach der Einbringung durch die Geschäftsleitung veranlasst werden.[328] Solche tatsächlichen Transporte erfolgen losgelöst vom zivilrechtlichen Rechtsträgerwechsel und führen damit zu einer dem steuerlichen Einbringungsstichtag nachgelagerten Entstrickung. Diese Entstrickungsfälle können unabhängig davon eintreten, ob es sich bei der übernehmenden Gesellschaft um eine inländische Gesellschaft oder um eine EU-/EWR-Kapitalgesellschaft handelt. Es können alle sechs der auf S. 30 und 31 dargestellten Szenarien von einer Entstrickung aufgrund einer geänderten funktionalen Zuordnung betroffen sein.
2.3. Stellungnahme
Es wird die Regel sein, dass das Wirtschaftsgut in beiden Fallgruppen zunächst einer deutschen Betriebsstätte zugeordnet war und im Zuge der Einbringung aus eben dieser entstrickt wird. Bei genauer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass diese Entstrickung im Lichte des geänderten Abkommensverständnisses[329] eben nicht zum Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts an den bis zur Überführung entstandenen stillen Reserven führt und damit die allgemeine Entstrickungsnorm des § 12 Abs. 1 S. 1 KStG grundsätzlich nicht auslösen kann. Erst durch Anwendung des Regelungsbeispiels nach § 12 Abs. 1 S. 2 KStG wird in diesen Fällen ein Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts angenommen und damit eine Entstrickungsbesteuerung ausgelöst.
Es müsste eine besondere Fallkonstellation vorliegen, damit die tatsächliche Steuerentstrickung überhaupt zum Ausschluss des Besteuerungsrechts an den bis zur Einbringung entstandenen Gewinnen führt. Dies wäre theoretisch gegeben, wenn ein deutscher Einbringender eine ausländische Anrechnungsbetriebsstätte in eine deutsche Kapitalgesellschaft einbringt, das beschränkte Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland an dem ausländischen Wirtschaftsgut damit zunächst erhalten bleibt und anschließend durch eine Veränderung des Funktionszusammenhangs das Wirtschaftsgut – beispielsweise weil dieses bereits vor der Einbringung der Funktion einer ausländischen DBA-Betriebsstätte der übernehmenden Kapitalgesellschaft im Rahmen einer Überlassung gedient hat – auf die ausländische DBA-Betriebsstätte überspringt.
Letztgenannte Fallkonstellationen werden in der Praxis jedoch die Ausnahme sein, sodass festzuhalten ist, dass im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer grenzüberschreitenden Einbringung das deutsche Besteuerungsrecht auf Ebene der übernehmenden Gesellschaft grundsätzlich kaum ausgeschlossen oder beschränkt werden kann. Eine nachgelagerte Entstrickungsbesteuerung nach § 12 Abs. 1 S. 1 KStG ist damit fast immer Ausfluss des Regelungsbeispiels.
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3. Unterschiede zwischen rechtlicher und tatsächlicher Entstrickung
3.1. Regelungsbeispiel
Weil eine entsprechende Regelung in den speziellen Entstrickungsnormen unterblieben ist, kann das Regelungsbeispiel nach der hier vertretenen Auffassung mangels planwidriger Regelungslücke nicht analog auf die umwandlungsrechtliche Entstrickung angewandt werden.[330] Das Regelungsbeispiel greift damit nur bei den allgemeinen Entstrickungsnormen und folglich nur bei Entstrickungsvorgängen tatsächlicher Art. Die Auswirkungen des geänderten Abkommensverständnisses wurden damit neutralisiert.
Der Frage, ob die Veränderung der Betriebsstättenzugehörigkeit zum steuerlichen Übertragungsstichtag oder zu einem danach liegenden Zeitpunkt erfolgt, kommt damit entscheidende Bedeutung zu. Denn bei Zuordnungsveränderungen zum steuerlichen Übertragungsstichtag sind die speziellen Entstrickungsnormen (hier: § 20 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 UmwStG) maßgebend. Diese werden häufig jedoch – mangels Verlusts des deutschen Besteuerungsrechts – nicht einschlägig sein, sodass eine Entstrickung regelmäßig zu verneinen ist.[331] Würde das Wirtschaftsgut jedoch zu einem dem steuerlichen Übertragungsstichtag folgenden Zeitpunkt einer ausländischen Betriebsstätte zugeordnet werden, sind die allgemeinen Entstrickungsnormen (§ 4 Abs. 1 S. 3 EStG und § 12 Abs. 1 S. 1 KStG) einschließlich des darin enthaltenen Regelungsbeispiels relevant. Gleichwohl ein Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts auch hier grundsätzlich zu verneinen wäre, wird eben ein solcher durch das Regelungsbeispiel angenommen. Einzig und allein aufgrund des durch das Regelungsbeispiel hervorgerufenen fiktiven Ausschlusses des deutschen Besteuerungsrechts würden diese Fälle zu einer Entstrickungsbesteuerung führen.
Besondere Bedeutung hat das Regelungsbeispiel bei grenzüberschreitenden Umstrukturierungen daher für die Zentralfunktionsthese des Stammhauses. Denn auch diese würde aufgrund des geänderten abkommensrechtlichen Verständnisses in den allermeisten Fällen nicht zu einem Besteuerungsverlust der bis dahin im Inland entstandenen stillen Reserven führen. Nur durch das Regelungsbeispiel wird auch hier der Ausschluss bzw. die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts künstlich vermutet und damit eine tatsächliche Entstrickung unterstellt.
3.2. Stundungsmöglichkeit nach § 4g EStG
Die bis zum 31.12.2005 geltende Fassung der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze[332] sah in Tz. 2.6 die Möglichkeit vor, die im Zuge der Steuerentstrickung entstandene Steuerlast aus Billigkeitsgründen auf einen Zeitraum von zehn Jahren zu verteilen. Mit der Kodifizierung der Entstrickungsnormen im Rahmen des SEStEG wurde diese Billigkeitsregel in § 4g EStG übernommen. § 4g EStG erlaubt dem Steuerpflichtigen nunmehr, die im Rahmen der Steuerentstrickung aufgedeckten stillen Reserven mit einem steuerlichen Ausgleichsposten zu neutralisieren. Der steuerliche Ausgleichsposten ist sodann im Jahr der Bildung und in den darauffolgenden vier Jahren ratierlich aufzulösen. Über den Verweis des § 12 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 KStG ist die Begünstigung auch auf körperschaftsteuerliche Entstrickungen anzuwenden. Voraussetzungen sind jedoch u.a., dass die Entstrickungsbesteuerung auf Ebene einer unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaft erfolgt, es sich um ein Wirtschaftsgut des Anlagevermögens handelt und die Überführung in eine Betriebsstätte in einem EU-Staat erfolgt.[333]
Der Anwendungsbereich des § 4g EStG ist auf die allgemeinen Entstrickungsvorschriften und damit auf die tatsächliche Entstrickung beschränkt. Nach § 4g Abs. 1 S. 5 EStG bleiben die Vorschriften des UmwStG durch den Anwendungsbereich des § 4g EStG ausdrücklich unberührt.[334] Für umwandlungsbedingte Entstrickungen sieht das UmwStG weder vergleichbare Begünstigungen vor, noch sind solche analog auf die umwandlungsbedingte Entstrickung anwendbar. Daher kann die umwandlungsbedingte Entstrickungssteuer auf Ebene des einbringenden Rechtsträgers nicht durch die Bildung eines Ausgleichspostens, durch die Tilgung in Jahresraten oder durch Stundung aufgeschoben werden. Die durch § 20 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 UmwStG ausgelöste Steuer ist nach den allgemeinen Grundsätzen zu ermitteln, festzusetzen und zu erheben. Damit ist die Entstrickungssteuer mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entstanden (§ 36 Abs. 4 EStG, § 30 Nr. 3 KStG) und innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheids zu entrichten (§ 36 Abs. 4 S. 1 EStG, bei Körperschaften i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG). Es handelt sich mithin um eine sogenannte „Sofortbesteuerung“.
Besonderer Bedeutung kommt dem Anwendungsbereich des § 4g EStG in europarechtlicher Hinsicht zu. Schließlich sieht der EuGH in Entstrickungsfällen eine Sofortbesteuerung als unverhältnismäßig und damit als mit den Grundfreiheiten unvereinbar an. Eine in fünf Jahresraten gleichmäßig erhobene Entstrickungssteuer wahrt nach Ansicht des EuGH hingegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.[335]
3.3. Steuersubjekt
Erfolgt die Entstrickung nach § 20 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 UmwStG, sind die stillen Reserven auf Ebene des einbringenden Rechtsträgers aufzudecken und der Einbringungsgewinnbesteuerung zu unterwerfen. Anders ist die Rechtslage jedoch bei Anwendung der allgemeinen Entstrickungsnormen zu beurteilen. Denn hier ist die Einbringung mangels Steuerentstrickung zum steuerlichen Übertragungsstichtag zunächst steuerneutral möglich. Wenn die Entstrickung anschließend aufgrund einer tatsächlichen Handlung der Geschäftsleitung nach den allgemeinen Grundsätzen erfolgt (tatsächliche Entstrickung), sind die hieraus resultierenden Entstrickungsfolgen auf Ebene der übernehmenden Kapitalgesellschaft zu ziehen.[336]
3.4. Nutzungsentstrickung
Nach den allgemeinen Entstrickungsregeln führen auch der Ausschluss und die Beschränkung des Besteuerungsrechts aus der Nutzung eines Wirtschaftsguts zur Finalbesteuerung. Gemeint sind Fälle, in denen ein im Inland steuerverhaftetes Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte unentgeltlich oder verbilligt vorübergehend zur Nutzung überlassen wird und damit Gewinne ins Ausland transferiert werden. Aufgrund dieser nicht auf Dauer angelegten Nutzungsüberlassung wird die Zuordnung des Wirtschaftsguts zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht verändert und das inländische Besteuerungsrecht an einem Veräußerungsgewinn weder ausgeschlossen noch beschränkt.[337] Es bedurfte daher einer Regelung für die Entstrickung von Nutzungsrechten. Seit Inkrafttreten des AmtshilfeRLUmsG wird eine Nutzungsentstrickung in den seltensten Fällen eintreten, da einer unentgeltlichen oder verbilligten Nutzungsüberlassung eines inländischen Wirtschaftsguts an eine ausländische Betriebsstätte nunmehr nach § 1 AStG ein fiktiver Verrechnungspreis zugrunde zu legen ist.[338] In Umwandlungsfällen wird dieser ohnehin schon enge Anwendungsbereich auf null reduziert, sodass es keiner entsprechenden Regelung im UmwStG bedarf.[339]
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3.5. Stille Lasten
Stille Lasten entstehen, wenn im Bilanzsteuerrecht das Aktivvermögen über bzw. das Passivvermögen unter seinem gemeinen Wert bewertet wird. Die Aufdeckung der stillen Lasten führt – im Gegensatz zur Aufdeckung stiller Reserven – zu einem Aufwand, der sich grundsätzlich steuermindernd auswirkt. Fraglich ist demnach, ob im Rahmen der Steuerentstrickung der Ansatz des gemeinen Werts auch für Wirtschaftsgüter mit stillen Lasten zur Anwendung kommt.
Erfolgt die Steuerentstrickung aufgrund der umwandlungssteuerrechtlichen Spezialnorm des § 20 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 UmwStG, sind die entstrickten Wirtschaftsgüter gem. § 20 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 UmwStG mit ihrem gemeinen Wert anzusetzen, sodass sich grundsätzlich keine Besonderheit ergibt. Die stillen Lasten mindern damit den Einbringungsgewinn bzw. erhöhen den Einbringungsverlust.
3.5.1. Pensionsrückstellungen i.S.d. § 6a EStG
In Pensionsrückstellungen sind aufgrund des speziellen Bewertungsverfahrens nach § 6a EStG besonders häufig stille Lasten verborgen. Durch die Ausnahmevorschrift des § 20 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 UmwStG vermeidet der Gesetzgeber die Aufdeckung dieser stillen Lasten im Rahmen der Einbringung. Die Vorschrift normiert, dass bei der (Mit-)Einbringung von Pensionsrückstellungen diese in der steuerlichen Schlussbilanz stets nach § 6a EStG zu bewerten und infolgedessen mit ihrem Buchwert anzusetzen sind. Dies gilt sowohl für Fälle, in denen sich der Steuerpflichtige freiwillig für den Ansatz des gemeinen Werts entscheidet, als auch für Fälle, in denen er aufgrund der umwandlungssteuerlichen Entstrickung zum Ansatz des gemeinen Werts verpflichtet ist. Damit werden die stillen Lasten in Pensionsrückstellungen zum Einbringungsstichtag nicht nach § 20 Abs. 2 UmwStG aufgedeckt.
Erfolgt die Einbringung jedoch unter Bezugnahme auf § 20 Abs. 5 und 6 UmwStG rückwirkend, sind für die Frage der Steuerentstrickung – wie oben dargestellt – u.U. die allgemeinen Entstrickungsvorschriften heranzuziehen. § 12 Abs. 1 KStG sieht dabei weder eine den Ausnahmevorschriften des § 20 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 UmwStG entsprechende Regelung für Pensionsrückstellungen vor, noch beinhaltet § 12 Abs. 1 KStG hierzu einen Verweis. Bei rückwirkenden Einbringungen sind Pensionsrückstellungen daher zunächst – unabhängig davon, ob die übrigen Wirtschaftsgüter mit ihrem Buchwert, Zwischenwert oder gemeinen Wert bewertet werden – gem. § 20 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 UmwStG mit ihrem Buchwert nach § 6a EStG anzusetzen. Erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Übertragung der Pensionsrückstellungen auf die übernehmende Gesellschaft erfolgt eine Entstrickung nach allgemeinen Vorschriften und somit zum gemeinen Wert und unter Aufdeckung der stillen Lasten.[340]
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4. Zwischenergebnis
Zusammenfassend kann danach Folgendes festgehalten werden:
- Die Zugehörigkeit von Wirtschaftsgütern zu in- oder ausländischen Betriebsstätten bleibt auch bei grenzüberschreitenden Einbringungen grundsätzlich unverändert, sodass Einbringungen mit Auslandsbezug regelmäßig steuerneutral möglich sind.
- Aber selbst wenn die Einbringung die Zuordnung eines inländischen Wirtschaftsguts zu einer ausländischen Betriebsstätte bewirkt und damit das Wirtschaftsgut aus der deutschen Steuerhoheit entstrickt, behält die Bundesrepublik Deutschland nach aktuellem Abkommensverständnis das Besteuerungsrecht an den im Inland erwirtschafteten Vermögenszuwächsen. Dies gilt sowohl für Anrechnungs- als auch für Freistellungsbetriebsstätten und ist unabhängig davon, ob es sich um Wirtschaftsgüter des Anlage- oder Umlaufvermögens handelt. Dieses neue Abkommensverständnis schränkt den Anwendungsbereich der deutschen Entstrickungsvorschriften stark ein.
- Im Bereich der rechtlichen Entstrickung führen nur vier Fallgruppen zum Verlust des deutschen Besteuerungsrechts und damit zur Besteuerung des Einbringungsvorgangs nach § 20 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 UmwStG. Der für die Praxis nahezu einzig relevante, aufgrund des guten DBA-Netzes jedoch kaum auftretende Anwendungsfall ist hier die Einbringung einer ausländischen Anrechnungsbetriebsstätte in eine ausländische Kapitalgesellschaft. Damit reduziert sich der Anwendungsbereich der rechtlichen Entstrickung auf nahezu null.
- Im Bereich der tatsächlichen Entstrickung wurde gezeigt, dass es im Lichte des geänderten Abkommensverständnisses keine praxisrelevanten Entstrickungshandlungen des Steuerpflichtigen gibt, die im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Einbringung zum Ausschluss oder zur Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts an den vor der Entstrickungshandlung geschaffenen Wertzuwächsen führen.
- Dennoch wird die Entstrickungsbesteuerung nach § 12 Abs. 1 S. 1 KStG bei grenzüberschreitenden Einbringungen regelmäßig ausgelöst. Dies liegt darin begründet, dass Veränderungen des Funktionszusammenhangs und die Zentralfunktion des Stammhauses eine Allokation des inländischen Wirtschaftsguts zur ausländischen (Stammhaus-)Betriebsstätte der Übernehmerin bewirken und das Regelungsbeispiel in solchen Fällen selbst dann zur Steuerpflicht des Einbringungsvorgangs führt, wenn das deutsche Besteuerungsrecht erhalten bleibt.
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[311] Wobei eine grenzüberschreitende Ausgliederung in der gegenwärtigen Fassung des UmwG nicht möglich ist (Intl. Umwandlungen/Sterner, Kapitel 7 Umwandlungen von Personengesellschaften in Kapitalgesellschaften, Rn. 7).
[312] Hruschka/Hellmann, DStR 2010, 1961, 1963; BMF v. 11.11.2011 – IV C2 – S 1978 – b/08/10001, BStBl. I 2011, 1314, Rn. 03.19; S/H/S/Schmitt, § 20 UmwStG, Rn. 350.
[313] Lohmar, FR 2013, 591, 593.
[314] Dötsch/Pung/Möhlenbrock/Dötsch, § 11 UmwStG, Rn. 80; R/H/vL/Rödder, § 11, Rn. 116; Schmitt/
Hörtnagl/Schmitt, § 20 UmwStG, Rn. 346.
[315] R/H/vL/Rödder, § 11, Rn. 116; Widmann/Mayer/Schießl, § 11 UmwStG, Rn. 50; S/H/S/
Schmitt, § 20 UmwStG, Rn. 346; Viskorf/Philipp, DStR 2010, Beihefter zu Heft 46, 75, 76.
[316] So auch Kahle/Vogel, Ubg 2012, 493, 496.
[317] BMF v. 11.11.2011 – IV C2 – S 1978 – b/08/10001, BStBl. I 2011, 1314, Rn. 03.20; So auch Kahle/Vogel, Ubg 2012, 493, 496.
[318] Zur Zentralfunktion des Stammhauses siehe S. 41.
[319] Dötsch/Pung/Möhlenbrock/Dötsch, § 11 UmwStG, Rn. 77; Hruschka/Hellmann, DStR 2010, 1961, 1963; R/H/vL/Rödder, § 11, Rn. 116.
[320] BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 – S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076; a.A. Blumers, DB 2006, 856, 856; FSSchaumburg/Breuninger, Die „Zentralfunktion des Stammhauses“ bei grenzüber-schreitenden Verschmelzungen, S. 587 ff.; Dötsch/Pung/Möhlenbrock/Dötsch, § 11 UmwStG, Rn. 59; Frotscher/Drüen/Frotscher, § 11 UmwStG, Rn. 128; Haun/Reiser/Mödinger, GmbHR 2010, 637, 640; Kahle/Mödinger, DB 2011, 2338, 2339; Lohmar, FR 2013, 591, 594; Prinz, DB 2012, 820, 822.
[321] Förster/Wendland, BB 2007, 631, 633; Frotscher/Drüen/Frotscher, § 11 UmwStG, Rn. 128; R/H/vL/Herlinghaus, § 20 UmwStG, Rn. 168; Dötsch/Pung/Möhlenbrock/Patt, § 20 UmwStG, Rn. 226; S/H/S/Schmitt, § 20 UmwStG, Rn. 349; Ungemach, Ubg 2011, 251, 252.
[322] FSSchaumburg/Breuninger, Die „Zentralfunktion des Stammhauses“ bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen, S. 593; Kessler/Philipp, DStR 2012, 267, 270; S/H/S/Schmitt, § 20 UmwStG,
Rn. 349.
[323] FSSchaumburg/Breuninger, Die „Zentralfunktion des Stammhauses“ bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen, S. 592 ff.
[324] Kahle/Vogel, Ubg 2012, 493, 496.
[325] Zum Verlust des Besteuerungsrechts an Beteiligungen, selbstgeschaffenen immateriellen Wirt-schaftsgütern und des Firmenwerts vgl. Förster/Wendland, BB 2007, 631, 633.
[326] Kahle/Vogel, Ubg 2012, 493, 496.
[327] Vgl. hierzu auch das Beispiel auf S. 61.
[328] Hruschka/Hellmann, DStR 2010, 1961, 1963.
[329] Vgl. hierzu S. 51 ff.
[330] Vgl. zum Regelungsbeispiel S. 74 f.
[331] Vgl. hierzu auch das Beispiel auf S. 60 ff.
[332] BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 – S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.6.
[333] Vgl. hierzu im Detail Schnitger, IFSt-Schrift Nr. 487 2013, S. 35 f.
[334] So auch Bilitewski, FR 2007, 57, 62; Schmidt/Heinicke, § 4g EStG, Rn. 2; Müller-Thomczik, Umwandlungsbedingte Entstrickung, S. 90; R/H/vL/Rödder, § 11, Rn. 130; Widmann/Mayer/
Widmann, § 20 UmwStG, Rn. 577; Blümich/Wied, § 4g EStG, Rn. 6.
[335] Vgl. hierzu im Detail S. 187.
[336] S/H/S/Schmitt, § 20 UmwStG, Rn. 350.
[337] Schnitger, IFSt-Schrift Nr. 487 2013, S. 14.
[338] Vgl. hierzu auch Wissenschaftlicher Beirat von Ernst & Young tax, DB 2010, 1776, 1783.
[339] So auch Müller-Thomczik, Umwandlungsbedingte Entstrickung, S. 89.
[340] Vgl. hierzu auch die Folgen einer Steuerverstrickung in Böhmer/Wegener, Ubg 2015, 69, 73.