Wegzugsfälle und Entstrickungstatbestand: Beachtung der Grundfreiheiten
Bei Wegzugsfällen und Entstrickungstatbeständen sind die Grundfreiheiten der EU einzuhalten. Dabei gibt es immer wieder Streitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten, welcher denn nun die Besteuerung vornehmen darf. Dies kann für die Steuerpflichtigen einen enormen Aufwand bedeuten, da diese einer Doppelbesteuerung zu entgehen versuchen. Wir zeigen auf, inwiefern es zu einer Besteuerung von stillen Reserven bei einem Standortwechsel oder einem Wegzug bei gleichzeitiger Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft kommen kann.
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Inhaltsverzeichnis
1. Wegzugsfälle und Entstrickungstatbestände in Deutschland
1.1. Einführung zu Wegzugsfällen und Entstrickungstatbeständen
Zu Beginn dieses Beitrags gibt es einen kurzen Exkurs zur Entstehung von Wegzugstatbeständen sowie Entstrickungstatbeständen. Grundsätzlich gibt es diese Regelungen durch Staaten, da in naher Zukunft oder bereits in der Vergangenheit Besteuerungssubstrat verloren geht oder bereits gegangen ist. Dies geschieht meistens, weil der territoriale Anknüpfungspunkt, woran Länder ihre Besteuerung knüpfen, wegfällt. Aufgrund von verschiedenen eingetretenen Tatbeständen kann dies passieren.
Einerseits kann beim Steuerpflichtigen die beschränkte oder unbeschränkte Steuerpflicht wegfallen. Andererseits ist dies der Fall, sofern Deutschland die Freistellungsmethode für ausländische Einkünfte gemäß Artikel 23A OECD-MA 2017 anwendet. Des Weiteren kann aber auch nur eine Beschränkung durch beispielsweise die Anwendung der Anrechnungsmethode nach Artikel 23B des OECD-MA 2017 erfolgen. Jedoch ist selbst dieser Fall für Länder nicht ganz zufriedenstellend, sofern das Besteuerungssubstrat zuvor schon einmal in diesem Land lag.
Somit besteht logischerweise ein Bedürfnis vor dem Wegfall der Vermögensgegenstände diese nochmal zu besteuern. Das Problem weshalb kaum jemand einverstanden sein dürfte mit einer Vorabbesteuerung ist, dass mit diesen Vermögensgegenständen erst in Zukunft Geld verdient wird und somit ausschließlich vorhandene stille Reserven besteuert werden.
1.2. Wegzugsfälle und Entstrickungstatbestände bei natürlichen Personen
Sofern natürliche Personen mit 1 % und mehr an Kapitalgesellschaften beteiligt sind besteht ein grundsätzliches Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, auch bei Beteiligungen an ausländischen Unternehmen nach Artikel 13 Absatz 5 OECD-MA. Somit ist auch verständlich, dass Veräußerungen von Anteilen üblicherweise im Ansässigkeitsstaat des Veräußerers besteuert werden. Sofern eine natürliche Person also wegzieht, würde dieses Substrat und das Recht der Besteuerung wegfallen. Dadurch schränkt § 6 Absatz 1 Satz 1 AStG diese Sachverhalte dahingehend ein, dass die Wegzugsbesteuerung bei Beteiligungen nach § 17 EStG greift. Schlussendlich resultiert das in einer Besteuerung des Veräußerungsgewinns, wobei der Wegzug einer fiktiven Veräußerung gleichkommt.
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1.3. Wegzugsfälle und Entstrickungstatbestände bei Unternehmen
Nun ist es genauso möglich, dass bei einer in Deutschland ansässigen Körperschaft durch verschiedene eintretende Tatbestände das Besteuerungsrecht Deutschlands am Veräußerungsgewinn oder Am Gewinn aus der Nutzung von Wirtschaftsgütern beschränkt wird oder sogar gänzlich wegfällt. Demnach kommt eine Besteuerung im Rahmen des § 12 Absatz 1 KStG in Frage. Hierbei kommt es dann zu einer Besteuerung der stillen Reserven, da de facto kein Verkauf stattgefunden hat und von einer sogenannten fiktiven Veräußerung die Rede ist. Dies ist beispielsweise der Fall, sofern Wirtschaftsgüter vom Stammhaus, also dem inländischen Standort zu einer ausländischen Betriebsstätte überführt werden. Dabei kann dieser Vorgang auch als objektbezogene Entstrickung bezeichnet werden. Außerdem kann es bei einer Verlegung des Verwaltungssitzes ebenfalls zu einem Entstrickungsfall kommen, dem subjektbezogenen jedoch. Dennoch gilt es hierbei immer die wirtschaftliche Betrachtungsweise anzuwenden.
Gleichzeitig gibt es in § 4 Absatz 1 Satz 3 EStG eine Regel, ähnlich der Entnahme nach § 4 Absatz 1 Satz 2 EStG, welche eine Entstrickung definiert. Der Betriebsstättengewinn wird nach Artikel 7, 5 OECD-MA grundsätzlich von der Besteuerung in Deutschland freigestellt. Dennoch kann der zugrunde liegende Entstrickungsgewinn nach § 4g EStG auf fünf Jahre gestreckt werden.
2. Entstrickungstatbestände in Verbindung mit den Grundfreiheiten der EU
2.1. Wegzugsfälle und Grundfreiheiten in der EU
2.1.1. Rechtssache Lasteyrie du Saillant (C-9/02)
Zunächst betrachten wir hierbei die Rechtssache Lasteyrie du Saillant (C-9/02) des EuGH. Dabei wohnte der Kläger zunächst in Frankreich und hielt eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft in Höhe von 25 %. Dann zog er nach Belgien um, damit er dort eine Geschäftstätigkeit ausüben konnte und im Zuge des Wegzugs entstand die Wegzugsteuer auf seine Kapitalgesellschaftsanteile. Dabei ist zu beachten, dass ausschließlich die Wertsteigerung, also der Wert der Anteile der die ursprünglichen Anschaffungskosten übersteigt, besteuert wird.
Da jedoch in diesem Fall ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit vorliegen könnte, gilt es zu prüfen, ob der Unionsbürger, also der französische Staatsangehörige, im Vergleich zu anderen Unionsbürgern benachteiligt wird. Da der Herkunftsmitgliedstaat Frankreich einen Wegzug deutlich schlechter stellt, als einen Verbleib in Frankreich stellt dies eine Einschränkung dar, die gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt. Denn verständlicherweise stellt diese Einschränkung eine starke Behinderung und Senkung der Attraktivität eines Wohnsitzwechsels dar.
Im Zuge dieser Entscheidung des EuGH wurde in Deutschland auch der § 6 Absatz 5 AStG a.F. eingeführt. Demzufolge EU/EWR-Staatsangehörige keine Sofortbesteuerung zu befürchten haben. Allenfalls eine Stundung der eventuellen Besteuerung war zu diesem Zeitpunkt möglich.
2.1.2. Rechtssache N (C-470/04)
In der Rechtssache N (C-470/04) ging es um einen ähnlichen Fall, jedoch wurde hierbei die fiktive Besteuerung gestundet. Dafür musste der Steuerpflichtige aber Sicherheiten hinterlegen, welche im Nachhinein ebenfalls vom EuGH als rechtswidrig eingestuft wurde. Die zu gewährende Sicherheit wurde als Einschränkung wahrgenommen, sowie die Tatsache, dass zukünftige Wertminderungen nicht im ursprünglichen Staat berücksichtigt werden. Außerdem war es notwendig, dass vor dem Wegzug eine Steuererklärung abgegeben werden sollte.
Der EuGH hat bis auf die Erstellung einer Steuererklärung die anderen beiden Regelungen als unverhältnismäßig eingestuft und somit als rechtswidrig erklärt.
2.1.3. Rechtssache Wächtler (C-581/17)
Ein weiterer Fall zeigte einen deutschen Staatsangehörigen, welcher Anteile an einer Schweizer Gesellschaft hielt. Gemäß § 6 AStG löste der Wegzug in die Schweiz eine Besteuerung in Deutschland aus, da die Schweiz ein Drittstaat darstellt. Jedoch weitet das Freizügigkeitsabkommen der Schweiz mit der EU eine Anwendung der Grundfreiheiten auch auf Sachverhalte mit der Schweiz aus.
Somit wurde die Festsetzung der Steuer in Deutschland gewährt, aber eine Stundung musste ebenfalls gewährleistet werden, welche zu Beginn nicht vorgesehen war.
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2.2. Entstrickung und Grundfreiheiten der EU
2.2.1. Rechtssache National Grid Indus (C-371/10)
Nach den eben vorgestellten Wegzugsfällen gibt es ähnliche Fälle, bei welchen es um die Entstrickung im Rahmen der Unternehmensbesteuerung geht. Beispielsweise bei dieser Rechtssache hatte die National Grid Indus ihren Verwaltungssitz aus der Niederlande nach Großbritannien verlegt. Somit endete das niederländische Besteuerungsrecht auch. Da jedoch eine Forderung in einer Fremdwährung bestand, wollte die niederländische Finanzverwaltung den noch nicht realisierten Kursgewinn besteuern.
Fraglich ist jedoch, ob die Besteuerung angemessen ist. Denn durch die Verlegung des Verwaltungssitzes sollte aufgrund der Niederlassungsfreiheit kein Nachteil für die niederländische Gesellschaft, im Vergleich zu einer Gesellschaft, welche ausschließlich im Inland tätig ist, bestehen. Aber der Wertzuwachs, welcher in der Niederlande entstanden ist, sollte auch hier besteuerungsfähig sein. Somit muss hier zwischen Festsetzung und Erhebung der Steuer unterschieden werden. Denn die Festsetzung durch die niederländische Finanzverwaltung ist somit gerechtfertigt. Jedoch stellt eine unmittelbare Erhebung eine unverhältnismäßige Maßnahme gegenüber der Gesellschaft dar. Hingegen wäre eine Besteuerung bei Realisierung des Wertzuwachses möglich. Dabei wird dem Steuerpflichtigen eine Wahl gelassen zwischen der sofortigen Besteuerung und Aufschiebung der Zahlung, da dies einen erhöhten Verwaltungsaufwand nach sich zieht. Sofern Wertminderungen eintreten müssen diese im betrieblichen Bereich nicht berücksichtigt werden, dies war noch bei der Rechtssache N der Fall.
2.2.2. Rechtssache Verder LabTec (C-657/13)
Die Rechtssache Verder LabTec gilt es in diesem Zusammenhang ebenfalls zu erwähnen, da hierbei immaterielle Wirtschaftsgüter aus der deutschen KG in die niederländische Betriebsstätte überführt werden. Dies hat eine Besteuerung nach § 4 Absatz 1 Satz 3, 4 EStG zur Folge. Jedoch wird diese Steuerzahlung auf einen Zeitraum von zehn Jahren gestreckt, damit der Aufwand sich in einem angemessenen Rahmen verhält. Es besteht hierbei keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, da in diesem Falle ein Nichteinziehungsrisiko besteht.
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3. Fazit und aktuelle Entwicklung bei den Wegzugsfällen und Entstrickungstatbeständen im Rahmen der Grundfreiheiten
Durch die Einführung der ATAD-Richtlinie kamen neue Vorschriften für die Mitgliedstaaten in der EU hinzu. Beispielsweise müssen die Mitgliedstaaten durch Artikel 5 ATAD eine Wegzugsbesteuerung samt Ratenzahlungskonzept für Körperschaften einzuführen. Außerdem erfuhren natürliche Personen einen enormen Einschnitt durch den Wegfall der zinslosen Stundung der Wegzugsteuer bis zur Realisation aufgrund des Wegfalls von § 6 Absatz 4 AStG a.F. Nunmehr gibt es ausschließlich noch ein siebenjähriges Ratenzahlungskonzept in der neuen Fassung des § 6 Absatz 4 AStG. Weitere Entscheidungen des EuGH in diesen Fällen werden in Zukunft folgen, da das Thema weiterhin hohe Relevanz genießt.
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