Personenfreizügigkeit

Einschränkung durch die Wegzugsteuer

Wegzugsteuer – Einschränkung der Personenfreizügigkeit?

Die Wegzugsteuer stellt unserer Überzeugung nach gleich in mehrfacher Hinsicht eine Einschränkung der Personenfreizügigkeit dar. Einerseits bleibt der Tatbestand einer fiktiven Besteuerung bestehen, der trotz Stundung über sieben Jahre einen erheblichen finanziellen Aufwand bei gleichzeitig fehlendem Zufluss bedeutet. Außerdem geht mit der Zahlung der Wegzugsteuer das Risiko einher, dass die Gesellschafter vielleicht keinen so hohen Wert realisieren können und somit praktisch eine Steuer entrichten, die viel höher ausfällt, als eigentlich real angemessen wäre. Wer sich über dieses Risiko klar ist, könnte bei der derzeit angespannten wirtschaftlichen Lage Zweifel hegen, ob ein Wegzug ins Ausland wirklich sinnvoll ist.

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Unser Video: Kritik an der Wegzugsteuer

In diesem Video erklären wir anhand von drei rechtlichen Argumenten, wieso die Wegzugsteuer in ihrer derzeitigen Form abzulehnen ist.

Inhaltsverzeichnis


1. Wegzugsteuer als Einschränkung der Personenfreizügigkeit – Einleitung

Stellen Sie sich vor, sie würden als Gesellschafterin oder Gesellschafter einer GmbH jedes Mal, wenn Sie innerhalb Deutschlands umziehen, eine Steuer auf den bis dahin entstandenen Wertanstieg Ihres Unternehmens zahlen. Wie oft würden Sie dann wohl dazu bereit sein, umzuziehen?

Wir dürfen wohl davon ausgehen, dass die Antwort der Mehrheit unserer Leserschaft sich hierbei deckt: so gut wie nie, oder nur, wenn es unumgänglich ist. Dabei hat eine solche Entscheidung sehr weitreichende Auswirkungen auf unser Privatleben, ja auf unser Leben insgesamt. Irgendwann blickt man auf diese Entscheidung nämlich zurück und wird dies einen Wendepunkt nennen, den man oft sogar bereuen dürfte, wenn etwa eine Lebenspartnerschaft oder die Entwicklung der eigenen Kinder mit ihr zusammenhängt. Es ist also eine Entscheidung von außerordentlicher Tragweite. Und die soll man von Steuern abhängig machen? Dazu noch Steuern, die auf einen rein fiktiven Gewinn anfallen? Denn tatsächlich findet hierbei kein einziger Cent den Weg auf das private Girokonto!

Und doch gibt es eine solche Steuer, wenn auch nur, wenn man als Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft ins Ausland fortzieht. Daher betrachten wir nun einmal kritisch, welche Gründe dahinter stehen und warum die Besteuerung selbst dann gegen ein wichtiges EU-Rechtsprinzip verstoßen dürfte, obwohl es Regelungen gibt, die diese Auswirkungen abmildern sollen.

2. Einschränkung der Personenfreizügigkeit

Bei dem erwähnten Rechtsprinzip handelt es sich um die Personenfreizügigkeit. Sie bedeutet, dass alle Bürger der EU das Recht haben, ohne Einschränkungen von einem Ort an einen anderen innerhalb des Rechtsraums umzuziehen. Möchte etwa eine Lehrerin von Tornio in Schweden nach Mallorca in Spanien oder ein Rentner von Idstein im Taunus nach Milos in Griechenland umziehen, dann darf keiner der involvierten Staaten diesem Vorhaben Hindernisse bereiten. Hier sind also Ausländer genauso wie Inländer zu behandeln. Übrigens ist dieses solidarische Prinzip einer der Gründe gewesen, warum sich die Briten beim Brexit für einen Austritt aus der EU entschieden hatten, denn sie wollten keine EU-Bürger als gleichberechtigt ansehen. Dieses Rechtsprinzip ist als Personenfreizügigkeit im EU-Recht fest verankert.

Was weniger mit EU-Recht zusammenhängt, weil es weiterhin der Rechtssphäre des jeweiligen nationalen Rechts zuzuordnen ist, ist das Steuerrecht. Ein souveräner Staat hat eben auch das Recht, Steuern nach eigenen Vorstellungen zu erheben. Lediglich auf dem Gebiet der Umsatzsteuer gibt es Vorgaben der EU, an die sich alle Mitgliedsstaaten halten müssen. Aber selbst da bleibt es den jeweiligen Gesetzgebern überlassen, die Steuergesetze hierzu auszuformen. Das Ertragsteuerrecht ist hingegen eine Domäne der Nationalstaaten.

Wer aber nun ohne eine Einschränkung der Personenfreizügigkeit von einem Land ins andere innerhalb der EU umziehen möchte, tauscht normalerweise einfach die eine Steuerpflicht gegen die andere. In der Übergangszeit mag es prinzipiell zu einer Doppelbesteuerung bei der Einkommensteuer kommen, aber da greifen dann die Regelungen der unter allen Mitgliedstaaten vereinbarten Doppelbesteuerungsabkommen, sodass auch eine eventuelle Doppelbesteuerung vermieden wird. Selbst dies stellt somit keine Einschränkung der Personenfreizügigkeit dar, weil dies keinen außergewöhnlichen Hinderungsgrund bedingt – anders als die Wegzugsteuer.

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3. Legitimation der Wegzugsteuer

Ja, die Wegzugsteuer ist schon eine ganz besondere Steuer. Wussten Sie etwa, dass sie in Deutschland in steuerfachlich bewanderten Kreisen als „Lex Horten“ bekannt ist und nach einem Kaufhaus-Magnaten benannt wurde? Er war vor dem Verkauf seines Hertie-Kaufhausimperiums in die Schweiz gezogen, bevor es in Deutschland die Wegzugsteuer in ihrer gegenwärtigen Ausprägung gab. In der Schweiz fiel auf den Gewinn des Verkaufs eine wesentlich geringere Steuer an als hierzulande. Deutschland hatte das Nachsehen. Als Reaktion darauf schuf der Gesetzgeber 1972 das Außensteuergesetz, mit dem er die Besteuerung von Sachverhalten mit grenzüberschreitendem Bezug regelte. Und dazu zählt als zentrales Element die Wegzugsteuer.

Die Wegzugsteuer soll somit das nationale Besteuerungsrecht an dem im Inland entstandenen Steuersubstrat von Kapitalgesellschaften und anderen Körperschaften sichern. Denn wenn etwa Gesellschafter von Kapitalgesellschaften ins Ausland fortziehen und erst dort den steuerpflichtigen Verkauf ihrer Anteile vornehmen, dann steht die Steuer hierauf dem Staat zu, in dem die Person zu dem Zeitpunkt unbeschränkt steuerpflichtig ist. Die Wegzugsteuer soll nun den Gewinn besteuern, der anfallen würde, wenn zeitgleich zum Wegzug des Gesellschafters ein Verkauf seiner Beteiligung an der Körperschaft stattfinden würde.

4. Berechnung der Wegzugsteuer

Wie geht man dabei vor? Da ja kein realer Verkauf erfolgt, setzt § 6 AStG eine Fiktion an. Man ermittelt den Unternehmenswert, indem man eine pauschale prozentuale Rendite annimmt. Weiterhin ist ja bekannt, wie hoch der Unternehmensgewinn ist. Man kann somit ganz leicht berechnen, welcher Unternehmenswert sich aus Rendite und Gewinn ergibt. Um eventuelle Schwankungen des Gewinns auszugleichen, die unter Umständen zu einer erheblichen Verfälschung des Ergebnisses führen könnten, nimmt man dabei den Durchschnittsgewinn der letzten drei Geschäftsjahre als Referenzgröße. Diesen multipliziert man in diesem speziellen Bewertungsverfahren mit einem Faktor von 13,75, in dem sich die pauschale Rendite widerspiegelt. Dies ergibt dann den angenommenen Unternehmenswert. Lediglich die Anschaffungskosten muss man da noch abziehen, um den fiktiven Gewinn zu ermitteln, den man dann der Wegzugsteuer unterwirft.

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5. Beschränkung der Wegzugsteuer

Vielleicht erinnern Sie sich jetzt gerade an unsere Einleitung: Würden Sie als Unternehmerin oder Unternehmer innerhalb Deutschlands umziehen, wenn Sie jedes Mal fiktive Steuern zahlen müssten? Wohl kaum. Wieso sollte man aber dann die Wegzugsteuer akzeptieren, wenn man dank Personenfreizügigkeit prinzipiell ohne Einschränkungen genauso innerhalb der EU umziehen darf? Reicht die Legitimation der Sicherung des nationalen Vorrechts auf die Erhebung von Steuern aus, um dies so einfach auszuhebeln?

Da jeder EU-Mitgliedsstaat die Personenfreizügigkeit als ein wichtiges Rechtselement zu beachten hat und die Wegzugsteuer im Lichte dieser Betrachtungen durchaus eine Einschränkung darzustellen vermag, hat sich auch Deutschland inzwischen dazu durchgerungen, um Wege zu finden, beide Elemente in Einklang zu bringen. So beharrt deutsches Steuerrecht weiterhin auf der Wegzugsteuer. Gleichzeitig gewährt es aber auch eine Stundung der festgestellten Steuer in sieben gleichhohen Jahresraten. Auf diese Weise möchte man den auf die Personenfreizügigkeit einschränkend wirkenden Effekt der Steuer abmildern.

6. Einschränkung der Personenfreizügigkeit durch die Wegzugsteuer

Interessanterweise beruft sich der Gesetzgeber dabei auf ein EuGH-Urteil zu einem Rechtsstreit, bei dem es um den Wegzug eines Unternehmens ging. Er hat dieses Urteil, in dem eine Stundung der Wegzugsteuer gefordert wurde, dabei einfach auf natürliche Personen ausgeweitet. Dass darin bedeutsame Unterschiede bestehen, nämlich dass es hierbei um erhebliche Einschränkungen des Lebenswegs von Menschen geht, wurde offenbar einfach ignoriert.

Aber es geht sogar um mehr. Angenommen wir zahlen die Wegzugsteuer beim Wegzug ins Ausland. Nehmen wir nun weiterhin an, dass der Unternehmenswert anschließend einbricht – aus welchen Gründen auch immer. Dann hat man bei einem späteren Verkauf tatsächlich einen geringeren Gewinn erzielt, als man zum Zeitpunkt des Wegzugs versteuern musste. In dem Fall hat man also gleich zwei Mal das Nachsehen. Einerseits hat man eine überhöhte Wegzugsteuer gezahlt, die sich im Nachhinein als unrealistisch erweist. Andererseits muss man den Wertverlust verkraften. Und ja, in beiden Fällen sind erhebliche finanzielle Einschnitte feststellbar.

Und jetzt überlegen wir einmal: würden wir mit einem solchen Risiko immer noch von unserer Personenfreizügigkeit Gebrauch machen, obwohl wir mit teilweise unrealistisch hohen Steuern konfrontiert werden könnten? Bestünde eine Rückerstattung der überzahlten Wegzugsteuer, könnte man dies vielleicht eher akzeptieren. Aber dies ist bislang noch niemandem in den Sinn gekommen. Jedenfalls ist ein solches Szenario in der derzeit gesamtwirtschaftlich schwierigen Situation Deutschlands alles andere als abwegig.

Tatsächlich bliebe in einem solchen Fall immer noch ein Ausweg. Dies geht allerdings nur, falls man innerhalb einer Frist von sieben Jahren wieder nach Deutschland zurückkehrt. Ist man nämlich erneut in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig, kann man die Rückerstattung der zuvor gezahlten Wegzugsteuer beantragen. Aber damit würde man gleichzeitig den ultimativen Beweis erbringen, dass die Wegzugsteuer eine Einschränkung der Personenfreizügigkeit bedeutet. Es wäre doch eindeutig eine Zwangsrückkehr. Man ist da wirklich neugierig, wie die Gerichte hierauf reagieren würden.

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Unser Video: BFH-Urteil zur Wegzugsteuer

In diesem Video erklären wir, wie der Bundesfinanzhof über die Wegzugsteuer in ihrer derzeitigen rechtlichen Form denkt.

7. Einschränkung der Personenfreizügigkeit durch Wegzugsteuer – Fazit

Wer noch nach Munition gegen die Wegzugsteuer gesucht hat, dürfte sich über diesen zusätzlichen Befund freuen. Jedenfalls sollte sich der Gesetzgeber seiner Sache keinesfalls so sicher sein. Dass er die Personenfreizügigkeit tatsächlich so achtet, wie es das EU-Recht eigentlich fordert, darf man durchaus anzweifeln. Bereits früher hatte man erwartet, dass das Außensteuergesetz in dieser Hinsicht nachgebessert wird. Stattdessen erfolgte 2022 eine Verschärfung.

Da wir also wissen, wie begierig der Gesetzgeber im Hinblick auf die Sicherung seines Steueraufkommens ist (und zwar im Grunde durchaus zu Recht), müssen wir realistischer Weise davon ausgehen, dass er es darauf ankommen lassen wird, dass das Unrecht erst im Wege eines Klageverfahrens bis zur höchsten Instanz ausgeräumt wird. Denn bis dahin kann er ja weiterhin Wegzugsteuern erheben. Und zwar kann er sich darauf verlassen, dass es eher selten vorkommt, dass sich jemand eine solche juristische Auseinandersetzung sowohl mental als auch zeitlich und finanziell leisten kann oder möchte. Schließlich hat man schon mit dem Wegzug ins Ausland genug Aufgaben, die man bewältigen muss. Es mag sich zwar Recht nennen, aber es ist schlicht unfair. Damit widerspricht ein solches Vorgehen allen Anforderungen und Erwartungen an einen gerechten Gesetzgeber.


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