Wegzugsteuer ist rechtswidrig – neues Urteil des BFH
Der BFH hat in einer aktuellen Rechtsprechung geurteilt, dass die Wegzugsteuer in Teilaspekten rechtswidrig ist. Genauer gesagt stellt das Fehlen einer Stundungsmöglichkeit einen Verstoß gegen Artikel 49 AEUV auf EU-Ebene dar. Über ein Freizügigkeitsabkommen (FZA) mit der EU ist diese Erkenntnis aber auch auf die Schweiz übertragbar. So oder so, wenn man in einem derartigen Wegzugsfall einen entsprechenden Steuerbescheid erhält, ist dieser zunächst rechtens, weil die Festsetzung der Wegzugsteuer tatsächlich noch keinen materiellen Nachteil für Steuerpflichtige bedeutet. Erst wenn das Finanzamt auch die Erhebung der Steuer ohne Stundungsmöglichkeit einleitet, kann man einen Antrag auf unbefristete Stundung bis zur Erzielung eines tatsächlichen Veräußerungsgewinns stellen. Und erst wenn das Finanzamt diesen Antrag sowie einen anschließend dagegen vorgebrachten Einspruch ablehnt, kann man auf Basis eines EuGH-Urteils (Fall Wächtler) sowie des neuen BFH-Urteils mit guten Erfolgsaussichten vor Gericht ziehen.
Unser Video: Wegzugsteuer ist rechtswidrig
In diesem Video erklären wir, wieso auch der BFH der Auffassung ist, dass die aktuelle Ausgestaltung der Wegzugsteuer rechtwidrig ist.
Inhaltsverzeichnis
1. Wegzugsteuer ist rechtswidrig – Einleitung
Die Wegzugsteuer ist eine Absicherung des Gesetzgebers, um sein Steueraufkommen zu schützen. Soweit ist dies sicherlich völlig legitim und nachvollziehbar. Denn was in Deutschland an steuerpflichtigem Substrat entsteht, soll auch in Deutschland versteuert werden.
Wer als Gesellschafter einer GmbH ins Ausland zieht, hat hierbei allerdings das Nachsehen. Denn die Wegzugsbesteuerung bedeutet in diesem Fall, dass zum Zeitpunkt des Wegzugs eine Steuer auf einen fiktiven Unternehmenswert entsteht. Auf wegziehende Geselleschafter kommt somit eine Steuer zu, obwohl noch gar kein realer Gewinn entstanden ist. Die Wegzugsteuer zahlt man daher stets aus bereits versteuertem Nettovermögen, und zwar im Voraus. Kein Wunder also, wenn nun viele von Ihnen einwenden, dass die Wegzugsteuer nur rechtswidrig sein kann.
Und doch, wie eingangs angemerkt, ist die Sicherung von deutschem Besteuerungssubstrat durch Deutschland im Prinzip rechtens und logisch. Gleichzeitig sind in der Ausgestaltung des Außensteuergesetzes zur Wegzugsteuer Regelungen enthalten, wo selbst der BFH aktuell urteilte, die Wegzugsteuer ist (partiell) rechtswidrig. Genau darauf werfen wir in diesem Beitrag einen kritischen Blick.
2. Die bisherigen Regelungen zur Wegzugsteuer
Früher war die Wegzugsteuer so ausgestaltet, dass sie den betroffenen Steuerpflichtigen die Möglichkeit einer Stundung gewährte, wenn sie in einen Mitgliedsstaat der EU oder des EWR zogen. Dies hängt damit zusammen, dass in Artikel 49 AEUV die Forderung steht, dass ein Umzug innerhalb der EU im Vergleich zu einem Umzug im Inland keine nachteiligen Konsequenzen mit sich bringen dürfe. Wer aber Steuern zahlen soll, nur weil man innerhalb der Union fortzieht, der wird durch die Wegzugsteuer durchaus benachteiligt. Schließlich würden bei einem Umzug im Inland ja auch keine Steuern anfallen. Darum hatte man die Möglichkeit der vorerst unbeschränkten Stundung als Mittel zur Beseitigung des Nachteils erkannt und eingeführt.
Allerdings war der Gesetzgeber damit eher unzufrieden, weil man dies nur als ungenügende Absicherung des eigenen Steuersubstrats verstand. Denn wer aus dem EU-Ausland anschließend weiter in ein Drittland fortzog, konnte die Wegzugsteuer erst durch Stundung endlos aufschieben und dann völlig ausschließen. Eine Besteuerung des tatsächlich realisierten Gewinns aus einer eventuellen Veräußerung fände dann nämlich im Drittland statt. An dieser Besteuerung hätte Deutschland aber dann keinen Anspruch mehr. Außerdem könnte der Informationsaustausch mit den Steuerbehörden im Drittland ausgeschlossen sein.
Darum hat man mit in Kraft treten 2022 das Außensteuergesetz in dieser Hinsicht verschärft. Nach aktueller Rechtslage soll statt einer Stundung eine Aufteilung der Wegzugsteuer in sieben gleichgroße Beträge erfolgen, um sie in ebenso vielen Jahren abzuzahlen.
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3. Was genau ist an der Wegzugsteuer rechtswidrig?
3.1. Steuerfestsetzung und Steuererhebung nach alter Rechtslage waren rechtskonform
Die alte Regelung zur Wegzugsteuer, die noch eine Stundung der Steuer erlaubte, war weithin als mit dem Europarecht konform angesehen worden. So urteilte etwa der EuGH, dass eine Wegzugsteuer ein zulässiges Mittel zur Wahrung der nationalen Steuerhoheit ist. Dies betrifft also nur die Festsetzung der Wegzugsteuer. Daneben ist aber auch die Steuererhebung zu beleuchten. Und hier tun sich nun die Gräben auf. Zunächst ist auch die Erhebung auf nationaler Ebene prinzipiell rechtens. Allerdings galt dies früher nur, solange man die Steuer mittels Stundung zinsfrei aufschieben konnte. Das ist insofern logisch, als dadurch einer steuerpflichtigen Person kein Nachteil durch Liquiditätsverlust entsteht, wenn sie in ein anderes EU-Land fortzieht.
Nun entschied der EuGH auch Fälle, bei denen er die wegzugsbedingte Besteuerung von Unternehmen mittels Aufteilung in fünf Jahresbeträge als zulässig erachtete. Daran orientierte sich der deutsche Gesetzgeber und übernahm die Regelung in leicht entschärfter Form für alle Steuerpflichtige (Aufteilung der Zahlung auf sieben statt fünf Jahre). Schon damals kamen Zweifel auf, ob dies EU-rechtskonform sei. Aber darauf ließ man es ankommen.
3.2. Gerichtsurteil zur Wegzugsteuer seit Einführung der Verschärfungen
Bis ein Fall die juristischen Instanzen durchläuft und letztendlich zu rechtlicher Gewissheit führt, dauert es viele Jahre. Deshalb ist für unsere Aussage, die Wegzugsteuer ist rechtswidrig, ein anderer, älterer Fall ausschlaggebend. Hierbei ging es um die Frage, ob bei einem Wegzug in die Schweiz die Wegzugsteuer zulässig war. Zwar ist die Schweiz im Verhältnis zur EU ein Drittland, doch besteht ein Freizügigkeitsabkommen mit der EU, das praktisch identische Regelungen zum Wegzug enthält. Damit sind ebenfalls keine rechtlichen Benachteiligungen im Rahmen eines Wegzugs in die Schweiz erlaubt (Stichwort Niederlassungsfreiheit).
Genau dagegen hatte aber eine betroffene Person geklagt und 2019 vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg und dem EuGH einen Erfolg errungen (der sogenannte Fall Wächtler). Ein weiterer, ähnlicher Fall wurde Ende 2023 vom BFH entschieden. Da die Verschärfung des § 6 Absatz 1 AStG zwischen den beiden Gerichtsentscheidungen eingetreten ist und die Übertragung der grundsätzlichen Bedeutung auf Wegzugsfälle in andere EU- sowie EWR-Staaten gegeben ist, kommt der neuen BFH-Entscheidung große Bedeutung zu.
3.3. BFH urteilt: Wegzugsteuer ist teilweise rechtswidrig
Und tatsächlich bestätigte der BFH die bisherige Rechtsauffassung des EuGH. So sieht auch er keinen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit von Steuerpflichtigen, wenn der zur Besteuerung berechtigte Staat zum Zeitpunkt des Wegzugs die Wegzugsteuer festsetzt. Auch die Erhebung an sich bleibt unbeanstandet, denn auch dadurch entsteht Steuerpflichtigen noch kein Nachteil. Erst wenn die Steuer tatsächlich zu zahlen ist und somit ein Liquiditätsverlust eintritt, ist die Wegzugsteuer rechtswidrig.
Damit bestätigt der BFH die Befürchtung vieler Gesellschafter von Kapitalgesellschaften, dass sie unter Umständen zu Unrecht Wegzugsteuer zahlen müssen, wenn sie ins Ausland wegziehen. Doch gibt es nun auch Klarheit darüber, dass diesem Vorgehen der Finanzbehörden Einhalt geboten werden kann, auch wenn die Regelungen im Außensteuergesetz dies eigentlich ausschließen.
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4. Wegzugsteuer ist rechtswidrig: was dies für Steuerpflichtige bedeutet
Durch die Hintertür (des BFH) ist die Möglichkeit zur Stundung der Wegzugsteuer wieder da. Deshalb betrachten wir nun, wie man sie einfordern kann, um die Wegzugsteuer zumindest aufzuschieben.
Wenn eine natürliche Person, die, aus steuerrechtlicher Sicht, in substanziellem Umfang an einer Kapitalgesellschaft beteiligt ist, in einen EU- oder EWR-Staat oder in die Schweiz fortzieht und daraufhin eine Steuerfestsetzung durch das deutsche Finanzamt erhält, dann ist dies zunächst zulässig. Auch wenn die Finanzbehörde anschließend die Steuer zu erheben erklärt, ist dies noch kein Rechtsverstoß. Wenn das Finanzamt aber tatsächlich eine Zahlung der Wegzugsteuer fordert, selbst eine ratierliche, sollte man dagegen vorgehen. Dies gilt insbesondere, wenn man einen Härtefall, der durch Zahlung der Wegzugsteuer eintreten würde, anführen kann. Wie auch immer, die Zahlung der Wegzugsteuer ist ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit und somit rechtswidrig.
Tatsächlich kann man nach Erhalt des Steuerbescheids bereits proaktiv tätig werden. Unter Verweis auf die BFH-Entscheidung teilt man dem Finanzamt mit, dass man im Falle einer aktiv betriebenen Steuererhebung unter Verweis auf die BFH-Entscheidung alle Rechtsmittel auszuschöpfen gedenkt, wenn keine zinsfreie Stundung eingeräumt werden sollte. Denn in diesem Punkt steht das Recht auf Seite der Steuerpflichtigen.
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In diesem Video erklären wir, warum wir schon 2022 die Änderungen zur Wegzugsteuer für rechtswidrig erachteten.
5. Wegzugsteuer ist rechtswidrig: unser (erneutes) Fazit
Wir haben bereits früher darauf hingewiesen, dass wir die aktuellen Regelungen zur Wegzugsteuer für rechtswidrig halten, was hier nachzulesen ist. Daher finden wir uns in Teilen unserer damaligen Auffassungen durch die neue BFH-Rechtsprechung bestätigt. Gleichzeitig freuen wir uns darüber, dass das Urteil deutlich aufzeigt, wo die Grenzen zwischen zulässigen und widerrechtlichen gesetzlichen Regelungen derzeit verlaufen und wie man mit der Wegzugsteuer in der Praxis umgehen sollte.
Dabei stellt sich erneut heraus, dass die zinsfreie Stundung der Wegzugsteuer bis zur tatsächlichen Veräußerung der Beteiligungen, wie sie in der alten Regelung des § 6 AStG vorgesehen war, ein geeignetes Mittel zur Vermeidung einer Benachteiligung von ins Ausland ziehenden Gesellschaftern von Kapitalgesellschaften darstellt. Das Besondere an diesem Urteil ist, dass es unter der verschärften Rechtslage nun den Finanzämtern obliegt, ob sie einen Antrag auf zinsfreie, vorläufig unbefristete Stundung der Wegzugsteuer gewähren, und so EU-Recht einhalten, oder trotzdem die Erhebung vorantreiben. In letzterem Fall haben die Steuerpflichtigen aufgrund des neuen Urteils sehr gute Aussichten, sich dagegen zu wehren.
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