Tatbestand der Steuerhinterziehung: Tun, Dulden und Unterlassen
Der Tatbestand der Steuerhinterziehung ist einer der wichtigsten und praktisch relevantesten im deutschen Steuerstrafrecht. Im Jahr 2021 wurden beispielsweise – ausweislich des BMF-Monatsberichts für Oktober 2022 – bundesweit insgesamt 50.000 Strafverfahren bearbeitet. Dabei haben die Finanzämter Mehrsteuern in Höhe von über EUR 1.200.000.000 (1,2 Milliarden) festgesetzt. Wir schauen uns den Tatbestand der Steuerhinterziehung, seine objektiven Merkmale, verschiedene Begehungsformen und hier insbesondere die Unterscheidung zwischen Tun, Dulden und Unterlassen einmal genauer an. Untrennbar mit § 370 AO verbunden sind dabei auch die Vorschriften des Strafgesetzbuches (StGB).
Unser Video:
Tatbestand der Steuerhinterziehung
In diesem Video erklären wir, auf welche Art und Weise der Tatbestand einer Steuerhinterziehung erfüllt werden kann.
Inhaltsverzeichnis
1. Tatbestand der Steuerhinterziehung: Welche Merkmale müssen vorliegen?
Im achten Teil der Abgabenordnung, konkret in den §§ 369 bis 376 AO, sind die wichtigsten Strafvorschriften für das Besteuerungsverfahren zu finden. Mit § 370 AO regelt der Gesetzgeber dabei den Tatbestand der Steuerhinterziehung. Bereits vor Prüfung der Norm ist § 1 StGB zu beachten; eine Tat kann demnach nur dann bestraft werden, wenn die Strafbarkeit im entsprechenden Zeitpunkt ausdrücklich in einem Gesetz geregelt war.
Eine Steuerhinterziehung ist nach § 370 Absatz 1 AO anzunehmen, wenn ein Steuerpflichtiger
- einer Behörde, insbesondere Finanzbehörde gegenüber unvollständige oder unrichtige Angaben zu steuerlich relevanten Tatsachen macht,
- die Finanzbehörden entgegen einer ihn treffenden Pflicht über solche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder
- die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern, zu denen er etwa nach § 17 Absatz 1 TabStG verpflichtet ist, unterlässt,
und hierdurch im Ergebnis eine Steuerverkürzung eintritt. Der Versuch ist strafbar, § 370 Absatz 2 AO.
Die Steuerhinterziehung kann mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bestraft werden. Freiheitsentzug kann das Gericht dabei für bis zu fünf, in den besonders schweren Fällen des § 370 Absatz 3 AO auch für bis zu zehn Jahre anordnen.
Interessant wird der Tatbestand der Steuerhinterziehung allerdings mit § 370 Absatz 4 AO. Denn Steuern gelten namentlich im Sinne des Absatzes 1 als verkürzt, wenn sie
- nicht,
- nicht in voller Höhe oder
- nicht rechtzeitig
festgesetzt werden. Verkürzten Steuern stehen Steuervorteile und Steuervergütungen, die Steuerpflichtige zu Unrecht erlangen, gleich. Im Ergebnis stellt § 370 AO damit eine „Blankettnorm“ dar, denn das „Ob“ und „Wann“ der Steuerfestsetzung regeln, ebenso wie mögliche Steuervorteile, die Einzelsteuergesetze (so etwa BGH vom 19.04.2007, 5 StR 549/06). Ohne das Einzelsteuerrecht wäre § 370 AO inhaltsleer.
Keine „Blankettnorm“ läge beispielsweise vor, wenn § 370 AO neben der Strafbarkeit einer Hinterziehung auch regeln würde, für welche Steuerarten welche Steuerpflichtige welche Pflichten zu erfüllen haben.
1.1. Anwendungsbereich des § 370 AO
Durch die Ausgestaltung des § 370 AO als „Blankettnorm“ gilt diese für alle bundesgesetzlich geregelten Steuern, die durch Bundes- oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden (§ 1 Absatz 1 AO). Steuerliche Nebenleistungen wie Zinsen sind zwar keine Steuern, die jeweiligen Vorschriften aber entsprechend auf sie anzuwenden (§ 1 Absatz 3 AO).
Änderungen und gegebenenfalls Neueinführungen von Bundessteuergesetzen bewirken eine automatische Ausdehnung des Anwendungsbereichs. Für den Gesetzgeber besteht der wesentliche Vorteil darin, dass keine Anpassung der AO erforderlich ist.
Kommunalabgaben, beispielsweise
- Beherbergungssteuer (Kurtaxe),
- Vergnügungsteuer
- Hundesteuer oder
- Zweitwohnsitzsteuer
fallen im Grundsatz nicht in den Anwendungsbereich der AO. Die jeweiligen Landesgesetzgeber können allerdings bestimmen, dass die Vorschriften des Bundesrechts entsprechend anzuwenden sind. So enthält § 17 KAG NRW etwa einen eigenständigen Tatbestand zur Steuerhinterziehung (Abgabenhinterziehung), in dem auf die §§ 370 Absatz 4 und 371 AO verwiesen wird. Auch auf kommunaler Ebene ist daher beispielsweise eine strafbefreiende Selbstanzeige möglich.
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1.2. Grundsatz: Steuerhinterziehung als Erfolgsdelikt
Bei der Steuerhinterziehung handelt es sich um ein sogenanntes Erfolgsdelikt, wenngleich auch der Versuch, diesen Erfolg herbeizuführen, bereits unter Strafe steht. Mit § 370 Absatz 1 AO stellt der Gesetzgeber die Hinterziehung, konkret die „Verkürzung“ von Steuern unter Strafe. Weiter konkretisiert wird der Begriff der Verkürzung dann in Absatz 4, denn hier spricht die AO explizit von einer bereits eingetretenen Steuerverkürzung.
Der Tatbestand der Steuerhinterziehung ist also erst dann erfüllt, wenn die jeweilige Steuer auch tatsächlich verkürzt oder wenn der ungerechtfertigte Steuervorteil erlangt wurde.
Beispiel: Das Finanzamt bemerkt beim Abgleich der Steuererklärung mit Kontrollmaterial, dass die erklärten Einnahmen unter den tatsächlichen Umsatzerlösen liegen. Der Steuerpflichtige korrigiert auf Nachfrage seine Erklärung nach § 153 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 AO. Im Ergebnis kam es zu keiner Steuerverkürzung, der Steuerpflichtige könnte allenfalls wegen eines Versuchs nach § 370 Absatz 2 AO bestraft werden.
Nach den Einzelsteuergesetzen, beispielsweise nach § 32a EStG und § 13a UStG, entsteht ein gewisser – objektiver – Steuerbetrag stets zu einem bestimmten Zeitpunkt. Die Verkürzung im Sinne des § 370 Absatz 4 Satz 1 AO ist damit eingetreten, wenn der tatsächlich festgesetzte Betrag vom objektiv entstandenen abweicht (Klein/Jäger, AO, § 370, Randziffer 85).
Für Schätzungsfälle (§ 162 AO) gilt Folgendes:
- Schätzt das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen zu niedrig, besteht die Steuerhinterziehung in der im Ergebnis zu niedrig festgesetzten Steuer
- Schätzt das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen zu hoch oder in der richtigen Höhe, kann maximal ein Versuch bestraft werden
Steuern sind auch dann hinterzogen, wenn ihre Festsetzung und Erhebung nur vorübergehend ausbleibt („Steuerverkürzung auf Zeit“). Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Steuerpflichtige die Umsatzsteuer-Voranmeldung verspätet abgibt. Die verspätete Festsetzung erfüllt dann zwar den Tatbestand der Steuerhinterziehung, dass die Steuer aber überhaupt entrichtet wurde, wirkt sich wegen des geringeren Unrechtsgehaltes aber regelmäßig strafmildernd aus (etwa BGH vom 06.10.2021, 1 StR 297/21).
1.3. Tatbestand der Steuerhinterziehung bei Vorbehalt der Nachprüfung und Vorläufigkeit
Der Tatbestand einer Steuerhinterziehung ist nach § 370 Absatz 4 Satz 1 Halbsatz 2 AO auch dann erfüllt, wenn die Finanzbehörde die Steuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung oder vorläufig festsetzt. Ohne entsprechende Regelung wäre die Norm dahingehend auszulegen, dass mangels „endgültiger“ Festsetzung zumindest partiell noch keine erfolgreiche Abgabenverkürzung eingetreten ist.
Wurde die Steuer im Sinne des § 164 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt, kann das Finanzamt die Festsetzung jederzeit aufheben oder ändern. Findet eine solche Änderung statt, kommt es für die Berechnung der hinterzogenen Steuer auf die originäre Erklärung respektive Nichterklärung des Steuerpflichtigen an. Eigene Ermittlungen des Finanzamtes, die am Ende zu einer höheren Festsetzung führen, mindern daher nicht den hinterzogenen Betrag.
Beispiel: A hat in seiner Einkommensteuererklärung EUR 30.000 an Einkünften verschwiegen. Hierauf wären EUR 10.000 (33,33 %) Einkommensteuer angefallen. Bei einer Betriebsprüfung stellt das Finanzamt die fehlenden Betriebseinnahmen fest, ändert den Bescheid nach § 164 Absatz 2 Satz 1 AO und fordert den Steuerpflichtigen zur entsprechenden Nachzahlung von EUR 10.000 zuzüglich Zinsen auf.
Lösung: Der Tatbestand der Steuerhinterziehung ist hinsichtlich der vollen EUR 10.000 erfüllt. Denn in diesem Umfang hat der Steuerpflichtige
- für die Besteuerung erhebliche Tatsachen verschwiegen (§ 370 Absatz 1 Nummer 2 AO),
- dadurch eine (unschädlicherweise unter Vorbehalt ergangene) zu niedrige Steuerfestsetzung bewirkt (§ 370 Absatz 4 Satz 1 Halbsatz 1 AO) und
- gegen seine Pflicht, die Erklärung unverzüglich zu berichtigen (§ 153 Absatz 1 Nummer 1 AO), verstoßen.
Hätte er seine Berichtigungspflicht nur teilweise erfüllt, etwa durch die Nacherklärung von EUR 10.000, läge eine Hinterziehung nur in Höhe von EUR 6.666 (EUR 20.000 x Steuersatz von 33,33 %) vor.
1.4. Ungerechtfertigte Steuervorteile und Steuervergütungen
Mit § 370 Absatz 1 Alternative 2 und Absatz 4 Satz 2 AO stellt der Gesetzgeber klar, dass der Tatbestand einer Steuerhinterziehung auch dann erfüllt ist, wenn
- Steuervergütungen oder
- sonstige Steuervorteile
zu Unrecht erlangt werden. Insbesondere bei den „sonstigen Steuervorteilen“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der im Wege der Auslegung insbesondere vom BFH konkretisiert wurde.
Steuervergütungen sind beispielsweise:
- Der Vorsteueranspruch nach § 15 UStG
- Steuerausgleich für gemeinnützig tätige Körperschaften nach § 4a UStG
- Zahlung von Kindergeld nach § 31 Satz 3 EStG
Sonstige Steuervorteile können unter anderem in diesen Fällen vorliegen:
- Erwirkung eines unrichtigen Feststellungsbescheides im Sinne des § 180 AO oder sonstigen Grundlagenbescheides im Sinne des § 171 Absatz 10 Satz 1 AO
- Gewährung von Steuerbefreiungen nach § 3 EStG oder § 4 UStG
- Erwirkung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch Behauptung unwahrer Tatsachen
- Angabe von Gewinnen, wenngleich es an solchen fehlt, um Verluste aus den Vorjahren nach § 10d EStG verrechnen zu können
Der Steuervorteil muss ungerechtfertigt, insbesondere auf eine dem Willen des Gesetzgebers widersprechende, Art und Weise erlangt worden sein (BGH vom 06.06.1973, 1 StR 82/72). Das Gericht wird daher im Zweifel die ursprüngliche Gesetzesbegründung des Bundestags heranziehen.
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1.5. Kompensationsverbot nach § 370 Absatz 4 Satz 3 AO
Abschließend enthält § 370 Absatz 4 Satz 3 AO ein sogenanntes Kompensationsverbot. Dieses greift immer dann, wenn
- dem Grunde nach ein Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt ist,
- das Finanzamt die Steuer auf legalem Wege hätte ermäßigen können,
- der Steuerpflichtige von dieser Ermäßigungsmöglichkeit aber keinen Gebrauch gemacht hat.
Beispiel: A und B sind verheiratet und erfüllen die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung nach den §§ 26 und 26b EStG. Dennoch beantragen die Ehegatten die Einzelveranlagung. A hinterzieht nun Steuern in Höhe von EUR 10.000. Im Falle der Zusammenveranlagung wären auf ihn lediglich EUR 2.000 an Einkommensteuer entfallen.
Lösung: Der hinterzogene und dem weiteren Verfahren zugrunde zu legende Betrag beträgt EUR 10.000. Denn nach § 370 Absatz 4 Satz 3 AO ist die legal beanspruchbare Möglichkeit zur Steuerermäßigung – hier die gemeinsame Veranlagung zur Einkommensteuer – bei der Beurteilung außen vor zu lassen.
Entsprechendes gilt für steuerliche Wahlrechte und die nicht genutzte Möglichkeit zur Bildung von Rückstellungen. Das Kompensationsverbot findet allerdings keine Anwendung auf Verlustvorträge, da deren Berücksichtigung von Amts wegen zu erfolgen hat (BGH vom 26.06.1984, 5 StR 322/84).
2. Tathandlung bei Steuerhinterziehung – aktives und passives Verhalten
Den Tatbestand der Steuerhinterziehung können neben dem Steuerpflichtigen selbst auch Dritte, so insbesondere Steuerberater, erfüllen. Nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen kann die Hinterziehung dabei neben dem aktiven „Tun“ auch durch ein passives „Unterlassen“ eintreten. Im Steuerstrafrecht kommt dabei vor allem der pflichtwidrigen Nichtabgabe vorgeschriebener Steuererklärungen Bedeutung zu.
Die Täterschaft bestimmt sich nach § 25 StGB. Demnach ist Täter, wer eine Tat selbst begeht. Stellt das Gesetz (hier § 370 AO) das Unterlassen einer Handlung unter Strafe, ist Täter, wer die Handlung hätte vornehmen müssen (§ 13 Absatz 1 StGB). Begehen mehrere Personen eine Steuerstraftat gemeinsam, sind sie als Mittäter nach § 25 Absatz 2 StGB zu bestrafen.
2.1. Erfüllung des Tatbestandes der Steuerhinterziehung durch aktives Handeln
Der Tatbestand der Steuerhinterziehung wird durch aktives Handeln erfüllt, wenn das bloße Unterlassen einer Handlung nicht zur Erzielung einer Steuerverkürzung ausreicht. Regelmäßig ist § 370 Absatz 1 Nummer 1 Alternative 1 AO, die Übermittlung unrichtiger Angaben, einschlägig. Steuerpflichtige geben etwa Einnahmen zu niedrig, Ausgaben zu hoch oder das Vorliegen bestimmter Tatbestandsvoraussetzungen einer Steuermäßigung unrichtigerweise an.
Aus Rechnungen eines Nichtunternehmers im Sinne des § 2 Absatz 2 UStG kann der Leistungsempfänger keine Vorsteuer ziehen. Versucht er dies trotzdem, liegt hierin die aktive Tathandlung (BGH vom 22.05.2003, 5 StR 520/02). Entsprechendes gilt für Personen, die die Existenz einer Firma lediglich vortäuschen und Umsätze, die ebenfalls nie entstanden sind, anmeldet.
Eine gewisse Prominenz bekam der Tatbestand der Steuerhinterziehung außerdem bei der Herabsetzung von Einkommensteuer-Vorauszahlungen (§ 37 Absatz 3 EStG) im Zuge der Corona-Pandemie. Die Voraussetzungen sind erfüllt, wenn die Vorauszahlung zu niedrig festgesetzt wird, weil Steuerpflichtige beispielsweise durch Vorauszahlungsantrag eine entsprechende Herabsetzung bewirken, wenngleich sie wissen oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen können, dass tatsächlich höhere Umsätze anfallen (werden).
2.2. Strafbarkeit der Hinterziehung durch Nichterfüllung steuerlicher Pflichten
Die Steuerhinterziehung wird in den Fällen des § 370 Absatz 1 Nummer 1 Alternative 2 und Nummer 2 AO durch Unterlassen begangen. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, konkret „unvollständige Angaben“ und „die Finanzbehörde in Unkenntnis lässt“.
Wer also beispielsweise
- eine Steuererklärung nicht, unvollständig oder verspätet abgibt oder
- die Abgabe von Steueranmeldungen unterlässt oder eine zu niedrige Bemessungsgrundlage angibt,
begeht, wenn dies im Ergebnis zur Festsetzung einer niedrigeren als der eigentlichen geschuldeten Steuer führt, eine Steuerhinterziehung.
Der Tatbestand der Steuerhinterziehung ist allerdings – ebenfalls nach dem Wortlaut der Norm – nur erfüllt, wenn das Unterlassen der Handlung pflichtwidrig war. Arbeitnehmer, die regelmäßig keine Steuererklärung abgeben müssen, können daher nicht aufgrund der unterlassenen Abgabe belangt werden. Anders sieht es allerdings aus, wenn ein nur auf Antrag veranlagter Steuerpflichtiger zu hohe Werbungskosten erklärt und hierdurch die Festsetzung einer niedrigeren Steuer bewirkt.
Steuerpflichtige, die zwar eine Erklärung abgeben, hier aber steuerlich relevante Tatsachen unterschlagen, begehen ungeachtet ihres Tätigwerdens eine Steuerhinterziehung. Denn die Einzelsteuergesetze schreiben in der Verbindung mit den Normen der AO explizit vor, welche Sachverhalte Steuerpflichtige in ihrer Erklärung offenzulegen haben. Eine entsprechende Steuerklärung ist im Sinne des § 370 Absatz 1 Nummer 1 Alternative 2 AO unvollständig.
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2.3. Tatbestand der Steuerhinterziehung durch Duldung der Tathandlung erfüllt?
Sowohl im Straf-, als auch im Verfahrensrecht wird zwischen Tun, Dulden und Unterlassen unterschieden. Während wir uns das aktive Tun und die passive Unterlassung bereits angesehen haben, stellt sich die Frage, ob eine Strafbarkeit auch beim bloßen Dulden einer Steuerhinterziehung gegeben sein kann. Als zu prüfende Beteiligungsform kommt dabei nur die Beihilfe nach § 27 StGB in Betracht, denn:
- Wer die Steuerhinterziehung duldet, begeht sie nicht selbst, sodass keine Täterschaft im Sinne des § 25 StGB vorliegen kann
- Geht die Aufforderung zur Tathandlung nicht von der die Hinterziehung duldenden Person aus, liegt keine Anstiftung nach § 26 StGB vor
Nach § 27 Absatz 1 StGB ist eine Beihilfe gegeben, wenn eine Person (Gehilfe) eine andere Person (insbesondere Täter) bei der Begehung einer rechtswidrigen Tat (hier: Steuerhinterziehung) unterstützt hat. Die Unterstützung kann dabei auch passiver Natur sein und etwa darin bestehen, eine erkannte Straftat den Strafverfolgungsbehörden gegenüber zu verschweigen.
Einschlägiger Rechtssprechung und Literaturauffassung zur Folge können daher nur solche Personen wegen der Duldung einer Steuerstraftat belangt werden, die eine Pflicht zur Anzeige oder Vermeidung der Tat trifft. Denn eine allgemeine Verpflichtung, Steuerstraftaten anzuzeigen, gibt es nach deutschem Recht nicht (BGH vom 09.05.2017, 1 StR 265/16). Allerdings müssen Anwälte beispielsweise das sogenannte Sachlichkeitsgebot des § 43a Absatz 3 BRAO und die hieraus resultierende Wahrheitspflicht beachten.
3. Festsetzungs- und Verfolgungsverjährung bei Steuerhinterziehung
Die allgemeine Festsetzungsfrist endet vier Jahre nach dem Ende des Kalenderjahres, in dem die jeweilige Steuer entstanden ist (§ 169 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 AO). In den Fällen der Steuerhinterziehung dauert sie zehn Jahre, bei leichtfertiger Verkürzung im Sinne des § 378 AO sind es fünf Jahre (§ 169 Absatz 2 Satz 2 AO). Die Festsetzungsfrist beginnt bei Abgabeverpflichtung erst mit Ablauf des Jahres, in dem der Steuerpflichtige die Erklärung abgegeben hat (§ 170 Absatz 2 Nummer 1 AO).
Beispiel: A ist Unternehmer und zur Abgabe der Einkommensteuererklärung verpflichtet. Für das Jahr 2022 reicht er die Erklärung am 01.01.2024 ein. Damit beginnt die Festsetzungsfrist am 01.01.2025 (Ende des Kalenderjahres der Abgabe) zu laufen; originär endet sie am 31.12.2029. Im Mai 2031 stellt das Finanzamt durch Kontrollmaterial fest, dass A im Jahr 2022 Steuern hinterzogen hat. Die Festsetzungsfrist verlängert sich rückwirkend auf zehn Jahre, sodass der Bescheid nach § 173 AO geändert werden kann.
Grundsätzlich gilt, dass eine Änderung, Aufhebung oder Durchführung der Festsetzung nach Ablauf der maßgebenden Festsetzungsfrist unzulässig ist. Dies gilt, sofern zehn Jahre abgelaufen sind, also auch für den Tatbestand der Steuerhinterziehung.
Von der Festsetzungs- ist allerdings die Verfolgungsverjährung zu unterscheiden. Ist Verfolgungsverjährung eingetreten, kann das Gericht weder eine Geld-, noch eine Freiheitsstrafe verhängen. Sie tritt im Grundsatz bei einer Steuerhinterziehung nach § 370
- Absatz 1 AO (einfacher Fall) nach fünf Jahren ein (§ 78 Absatz 3 Nummer 4 StGB).
- Absatz 3 AO (schwerer Fall) nach zehn Jahren ein (§ 78 Absatz 3 Nummer 3 StGB).
Abweichend vom genannten Grundsatz beträgt die Verjährungsfrist für besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung 15 Jahre (§ 376 Absatz 1 AO). Insoweit gilt ein lex specialis zum allgemeinen Strafrecht.
4. Fazit: Tatbestand der Steuerhinterziehung als allumfassende Blankettnorm
Der Tatbestand einer Steuerhinterziehung ist immer dann erfüllt, wenn Steuerpflichtige im Ergebnis einen ungerechtfertigten Steuervorteil jedweder Art erhalten. Damit deckt die Norm nahezu lückenlos alle denkbaren Sachverhalte, in denen die tatsächlich festgesetzte von der materiell-rechtlich entstandenen Steuer abweicht, ab. Insbesondere bei Steuergestaltungen muss entsprechend sichergestellt sein, dass dem Finanzamt alle relevanten Tatsachen offengelegt werden. Im Zweifel fordern wir eine verbindliche Auskunft bei der zuständigen Behörde an.
Steuerberater für besonderes Steuerverfahrens- und Strafrecht
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- Entwicklung individueller Gestaltungsmodelle im internationalen Steuerrecht, beim Unternehmenskauf/-verkauf und bei Umstrukturierungen)
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