Immaterielle Wirtschaftsgüter: Was ist das eigentlich?
Immaterielle Wirtschaftsgüter – ein Begriff, der im Handels- und Steuerrecht an vielen Stellen auftaucht, mit dem viele Menschen auf den ersten Blick aber nur wenig anfangen können. Und tatsächlich können immaterielle Wirtschaftsgüter im wahrsten Sinne des Wortes als „unfassbar“ bezeichnet werden, denn sie sind – anders als materielle Gegenstände – nicht in körperlicher Form vorhanden. Vielmehr existieren sie nur in digitaler Form oder auf dem Papier.
Ansatz von Vermögenswerten in der Handelsbilanz
In diesem Video erklären wir unter anderem, wie immaterielle Wirtschaftsgüter handelsrechtlich zu aktivieren sind.
Inhaltsverzeichnis
1. Grundlagen: Begriff der immateriellen Wirtschaftsgüter
Wirtschaftsgüter im Sinne des Steuerrechts sind, definiert und konkretisiert durch Verwaltungsanweisungen und Rechtsprechung, alle Vermögenswerte. Sie können Betriebs- oder Privatvermögen darstellen, wobei Vorschriften wie Bewertung (§ 6 EStG), Abschreibung (§ 7 EStG) und Investitionsabzug (§ 7g EStG) nur Anwendung finden, wenn das jeweilige Wirtschaftsgut zur Einkunftserzielung genutzt wird. Ob es sich dabei um Betriebs- oder Privatvermögen handelt, ist zunächst irrelevant.
Immaterielle Wirtschaftsgüter erfüllen dabei alle Voraussetzungen eines Wirtschaftsgutes. Sie haben einen eigenständigen wirtschaftlichen Wert, sind abgrenzbar und einer selbstständigen Bewertung zugänglich. Außerdem lassen sie sich regelmäßig verwerten, zum Beispiel veräußern oder vermieten. Damit sind die wirtschaftlichen Vorteile immaterieller Wirtschaftsgüter auch auf Dritte übertragbar, was auch bei materiellen Gegenständen (Gebäude, Fahrzeuge, Maschinen) der Fall ist.
Über § 5 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG gilt für den Ansatz von (immateriellen) Wirtschaftsgütern das Handelsrecht, soweit steuerlich keine abweichenden Regelungen zu beachten sind oder Wahlrechte ausgeübt wurden. Durch § 266 Absatz 2 A.I. HGB sind immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens wie folgt zu untergliedern:
- Selbst geschaffene Rechte und Werte, insbesondere gewerbliche Schutzrechte
- Entgeltlich erworbene Konzessionen, Schutzrechte, Lizenzen und ähnliche Rechte
- Geschäfts-, Firmen- und/oder Praxiswert
- Geleistete Anzahlungen
Durch das Maßgeblichkeitsprinzip entspricht die Steuerbilanz insoweit der Handelsbilanz, wobei im Einzelnen Besonderheiten zu beachten sind. Das EStG verwendet den Begriff des immateriellen Wirtschaftsgutes in § 5 Absatz 2 und konkretisiert die Norm in den Richtlinien (R 5.5 Absatz 1 EStR). Demnach kommen als immaterielle Wirtschaftsgüter in Betracht:
- Rechte: umfasst unter anderem gewerbliche Schutz- und Markenrechte, Urheberrechte, Lizenzen sowie Film- und Fernsehrechte
- Rechtspositionen: insbesondere Konzessionen, aber auch Nutzungsberechtigungen dinglicher Art – zum Beispiel ein Nießbrauch
- Sonstige wirtschaftliche Werte und Vorteile, etwa Fabrikationsverfahren, Rezepte und sonstiges Knowhow
Domains, Software, Patente und Urheberrechte sind die in der Praxis relevantesten immateriellen Wirtschaftsgüter. Ihre Überlassung durch Lizenz- und Patentgesellschaften kann steuerliche Vorteile bringen und Teil einer Gestaltungsstrategie sein.
2. Aktivierung und Bewertung immaterieller Vermögenswerte
Da immaterielle Wirtschaftsgüter „Vermögenswerte wie alle anderen“ sind, gelten für sie im Grundsatz auch dieselben Aktivierungs-, Bewertungs- und Abschreibungsvorschriften. Steuerlich dürfen immaterielle Werte dabei nur aktiviert werden, wenn sie ins Betriebsvermögen eingelegt oder entgeltlich erworben wurden (§ 5 Absatz 2 EStG, R 5.5 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 3 Satz 3 EStR). Aufwendungen für die Herstellung eines solchen Wirtschaftsgutes sind daher sofort abziehbare Betriebsausgaben.
2.1. Unentgeltlich erworbene und selbstgeschaffene Wirtschaftsgüter
Selbstgeschaffene oder unentgeltlich von Dritten erworbene Wirtschaftsgüter können nach § 248 Absatz 2 HGB aktiviert werden. Der Steuerpflichtige hat ein Wahlrecht, den Vermögensgegenstand mit seinen Anschaffungs- und/oder Herstellungskosten in die Bilanz aufzunehmen, abzuschreiben und entsprechend zu bewerten. Steuerlich besteht allerdings ein Aktivierungsverbot (§ 5 Absatz 2 EStG); insoweit weicht die Handels- von der Steuerbilanz ab.
Im Steuerrecht gilt das Aktivierungsverbot allerdings nur für immaterielle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens. Ist ein Wirtschaftsgut dem Umlaufvermögen zuzuordnen, ist die Aktivierung auch dann zulässig, wenn es immaterieller Natur ist und selbstgeschaffen wurde (BFH vom 20.09.2995, X R 225/93).
Immaterielle Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens sind beispielsweise Patente, die zur Weiterveräußerung bestimmt sind. Bei Softwareunternehmen gelten auch Programme respektive die an ihnen bestehenden Nutzungsrechte als immaterielle Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens. Sie dürfen mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten, die entsprechend des HGB zu ermitteln sind, aktiviert werden.
Selbstgeschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter, die als Umlaufvermögen bilanziert wurden, später aber dem Anlagevermögen zuzurechnen sind, hat der Unternehmer erfolgswirksam auszubuchen. Die Ausbuchung erfolgt im Zeitpunkt der Umwidmung.
Beispiel: Ein Softwareunternehmen entwickelt ein Programm zur Organisation und Überwachung des Lagerbestandes. Nach Fertigstellung soll es zunächst veräußert werden. Die Geschäftsführung entscheidet sich wenige Monate später, die Software ausschließlich im eigenen Betrieb einzusetzen.
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2.2. Entgeltlich erworbene Vermögenswerte
Entgeltlich erworbene immaterielle Wirtschaftsgüter sind handels- wie steuerrechtlich zu aktivieren (§ 246 Absatz 1 HGB). Anzusetzen sind die Anschaffungskosten im Sinne des Handelsrechts (§ 6 Absatz 1 Nummer 1 EStG). Der Unternehmer kann Abschreibungen nach den Vorschriften des § 7 EStG geltend machen, wenn das immaterielle Wirtschaftsgut der Abnutzung unterliegt. Dies ist der Fall, wenn seine Lebensdauer respektive Nutzungsfähigkeit beschränkt ist.
Ist allerdings davon auszugehen, dass das immaterielle Wirtschaftsgut während der gesamten Betriebsdauer nutzungsfähig bleibt, ist keine Abschreibung zulässig. In diesen Fällen gehen Literatur, Rechtsprechung und Verwaltung von einer faktisch unbegrenzten Lebensdauer aus. Diese macht eine Berechnung der Abschreibungshöhe bereits faktisch unmöglich.
Im Übrigen gelten für Ansatz und Bewertung die allgemeinen Vorschriften. Zum Ende des Wirtschaftsjahres sind immaterielle Wirtschaftsgüter mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzüglich der AfA anzusetzen. Besteht Anlass für die Annahme einer dauerhaften Wertminderung, kann auch der niedrigere Teilwert zum Ansatz kommen.
2.3. Geschäfts-, Firmen- und Praxiswerte
Auch bei Geschäfts- und Firmenwerten handelt es sich um immaterielle Wirtschaftsgüter. Dabei versteht man unter dem Begriff „Firmenwert“ den Mehrwert eines Unternehmens, den dieses über die materiellen Werte hinaus erreicht oder aufgebaut hat. Geschäftswertbildende Faktoren sind üblicherweise Lage, Firmenname, Kundenkontakte, Knowhow des Personals und die Einkaufs- und Absatzorganisation im Betrieb. Firmenwerte sind, wie auch Geschäfts- und Praxiswerte, fest mit dem Unternehmen verbunden. Eine Veräußerung oder Übertragung in isolierter Form ist nicht möglich, da ein potenzieller Käufer keine direkte Nutzungsmöglichkeit hätte.
Der Wert des Geschäfts- oder Firmenwertes wird üblicherweise in dieser Reihenfolge ermittelt:
- Ausgangswert ist der Kaufpreis für das Unternehmen. Bestenfalls liegen bereits konkrete Angebote vor, im Übrigen kann der gemeine Wert des Betriebsvermögens auch nach den Grundsätzen des vereinfachten Ertragswertverfahrens (§§ 199 bis 2023 BewG) berechnet werden.
- Vom Kaufpreis werden alle materiellen Werte abgezogen. Dies sind beispielsweise Gebäude, Fahrzeuge und Maschinen. Abzuziehen sind die Teilwerte, die nicht zwingend den bilanzierten Beträgen entsprechen.
- Schulden verringern den Firmenwert und sind daher hinzuzurechnen.
- Nun ist ein angemessener Unternehmerlohn (Betriebsinhaberin oder Betriebsinhaber arbeiten üblicherweise ohne Gehalt für ihr Unternehmen; sie leben vom Jahresgewinn) zu kapitalisieren und vom zukünftig zu erwartenden Jahresgewinn abzuziehen.
- Das Ergebnis ist der finale Geschäfts- oder Firmenwert.
Steuerlich gelten für Geschäfts- und Firmenwerte die Vorschriften für immaterielle Wirtschaftsgüter. Ein Ansatz in der Bilanz ist nach § 5 Absatz 2 EStG nur zulässig, wenn der Firmenwert entgeltlich erworben wurde. Ist dies der Fall, gilt eine Abschreibungsdauer von 15 Jahren (§ 7 Absatz 1 Satz 3 EStG).
3. Umsatzsteuerliche Besonderheiten bei immateriellen Wirtschaftsgütern
Umsatzsteuerrechtlich ist bei Geschäften mit immateriellen Wirtschaftsgütern zwischen Lieferungen und sonstigen Leistungen zu unterscheiden:
- Die Einräumung von Nutzungsrechten, Lizenzen und Konzessionen stellt eine sonstige Leistung im Sinne des § 3 Absatz 9 UStG dar. Entsprechendes gilt auch für den entgeltlichen Verzicht auf diese Berechtigungen
- Die Veräußerung von Datenträgern, auf denen beispielsweise Software gespeichert ist, ist eine Lieferung im Sinne des § 3 Absatz 1 UStG
Auch die Übertragung von Firmenwerten ist eine sonstige Leistung. Diese Zuordnung hat insbesondere Einfluss auf den Ort der Leistung, da dieser beispielsweise nach § 3a Absatz 2 UStG im Ausland liegen kann. In diesen Fällen kommt es mitunter zur Umkehr der Steuerschuldnerschaft nach § 13b UStG (Reverse Charge).
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