Wechsel von Soll- zur Istversteuerung: Achtung, Korrekturbedarf!
In der Umsatzsteuer kann mitunter ein Wechsel von der Soll- zur Istversteuerung sinnvoll sein, beispielsweise für eine Steigerung der Liquidität im Unternehmen. Hierbei gelten allerdings gewisse Voraussetzungen, die § 20 UStG abschließend normiert. Darüber hinaus ergibt sich durch den Wechsel meist ein gewisser Korrekturbedarf, weil Umsätze weder un- noch doppelversteuert bleiben/werden dürfen.
Unser Video: Die umsatzsteuerliche Organschaft
In diesem Video erklären wir, was eine umsatzsteuerliche Organschaft ist und welche steuerlichen Folgen sich aus ihr ergeben.
Inhaltsverzeichnis
1. Grundsatz: Der Wechsel von Soll- zur Istversteuerung
Unternehmer im Sinne des § 2 UStG, die eine der Voraussetzungen des § 20 UStG erfüllen, können einen Wechsel von Soll- zur Istversteuerung durchführen. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, welche Rechtsform das jeweilige Unternehmen hat. Mit § 20 UStG hat der Gesetzgeber daher eine Ausnahme zu § 16 UStG, der die Versteuerung nach vereinbarten Entgelten regelt, geschaffen. Die Unterschiede im Überblick:
- Grundfall: Für die Umsatzbesteuerung ist der Zahlungseingang grundsätzlich unerheblich. Es kommt darauf an, wann der Unternehmer eine Lieferung oder sonstige Leistung erbracht hat. Sobald dies der Fall ist, entsteht die Umsatzsteuer (§ 16 Absatz 1 Satz 1 UStG)
- Ausnahme: Wählt der Unternehmer die Istversteuerung nach § 20 UStG, kommt es nicht mehr auf die Leistungserbringung, sondern auf den Zahlungseingang an. Maßgebend ist also, wann der Unternehmer die Gegenleistung für seine Leistung tatsächlich erhalten hat
Beispiel: Ein Online-Shop versendet am 30.12.2024 verschiedene Waren und sendet die Rechnung an den privaten Endkunden. Dieser zahlt am 05.01.2025. Bei der Versteuerung nach vereinbarten Entgelten führt der Shop die Umsatzsteuer bereits im Dezember 2024 ab. Wählt er jedoch die Istversteuerung nach § 20 UStG, ist die Steuer erst mit der Januar-Voranmeldung abzuführen.
Der Wechsel von Soll- zur Istversteuerung kann also einen erheblichen Liquiditätsvorteil bringen, wenn gewöhnlich längere Zahlungsfristen eingeräumt werden. Denn bei der Sollversteuerung muss der Unternehmer die Umsatzsteuer zwar ans Finanzamt abführen, hat das entsprechende Entgelt des Kunden aber noch gar nicht vereinnahmt. Vorübergehend entsteht daher ein „Minus“ in Höhe von 19 %.
Dabei ist § 17 UStG (Berichtigung von Umsatz- und Vorsteuer) in beiden Fällen anzuwenden. Dies gilt im Fall der Istversteuerung allerdings nicht für vollständige oder teilweise Zahlungsausfälle, weil hier eine Umsatzbesteuerung von vorne herein nur in Höhe des tatsächlich zugeflossenen Betrages stattfindet. Soweit eine Zahlung ausfällt, fällt auch keine Umsatzsteuer (mehr) an.
2. Wer kann von der Soll- zur Istversteuerung wechseln?
Wer eine gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit anmeldet, versteuert seine Umsätze grundsätzlich nach vereinnahmten Entgelten. Ausnahmen gelten nur, wenn der Unternehmer bereits im Fragebogen zur steuerlichen Erfassung ein Wahlrecht zugunsten der Istversteuerung ausübt. Im Übrigen gelten die Voraussetzungen des § 20 UStG. Das Finanzamt gestattet den Wechsel von Soll- zur Istversteuerung auf Antrag, wenn eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist:
- Der Umsatz des Unternehmers betrug im vergangenen Kalenderjahr maximal EUR 600.000
- Der Unternehmer ist nach § 148 AO ganz oder teilweise von der Buchführung befreit
- Es liegt eine freiberufliche (selbständige) Tätigkeit im Sinne des § 18 Absatz 1 Nummer 1 EStG vor
- Der Unternehmer ist eine juristische Person des öffentlichen Rechts
Die entsprechende Voraussetzung muss mindestens für den jeweiligen Besteuerungszeitraum, regelmäßig also das Kalenderjahr, vorliegen. Schauen wir uns also die wesentlichen Punkte etwas genauer an.
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2.1. Umsatz von weniger als EUR 600.000
Unternehmer, die im Jahr vor der Antragstellung nach § 20 UStG einen Gesamtumsatz von weniger als EUR 600.000 erzielt haben, können einen Wechsel von Soll- zur Istversteuerung beantragen. Abzustellen ist auf das Kalenderjahr, das ertragsteuerliche (und gegebenenfalls abweichende) Wirtschaftsjahr spielt hingegen keine Rolle.
„Umsatz“ ist die Summe der Unternehmenseinnahmen im Sinne des § 19 Absatz 3 UStG. Soweit in den Lieferungen und sonstigen Leistungen auch steuerfreie Entgelte enthalten sind (§ 4 UStG), sind diese kein Bestandteil des Umsatzes. So sind beispielsweise Umsätze aus der Vermietung von Grundstücken und Immobilien bei der Berechnung der Umsatzgrenze nicht zu berücksichtigen (§ 20 Satz 1 Nummer 1 UStG).
2.2. Befreiung von der Buchführungspflicht nach § 148 AO
Nach § 148 AO können Finanzämter bestimmte Steuerpflichtige von der Buchführung befreien, auch wenn eine entsprechende gesetzliche Verpflichtung besteht. Dabei hat die Norm folgenden Wortlaut:
„Die Finanzbehörden können für einzelne Fälle oder für bestimmte Gruppen von Fällen Erleichterungen bewilligen, wenn die Einhaltung der durch die Steuergesetze begründeten Buchführungs-, Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten Härten mit sich bringt und die Besteuerung durch die Erleichterung nicht beeinträchtigt wird. Erleichterungen nach Satz 1 können rückwirkend bewilligt werden. Die Bewilligung kann widerrufen werden.“
Soweit also eine entsprechende Härte vorliegt, ermöglicht diese auch eine Anwendung der Istversteuerung nach § 20 Satz 1 Nummer 2 UStG. Zu beachten ist allerdings, dass der Unternehmer hierfür einen erneuten Antrag stellen muss – nur dann findet tatsächlich ein Wechsel von Soll- zur Istversteuerung statt.
2.3. Umsätze aus einer freiberuflichen Tätigkeit
Sogenannte Freiberufler im Sinne des § 18 Absatz 1 Nummer 1 EStG können sich unabhängig von der Höhe ihrer Umsätze von der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten befreien lassen. Zu den freien Berufen gehören dabei unter anderem die folgenden:
- Ärzte, Zahn- und Tierärzte
- Rechtsanwälte und Notare
- Architekten und beratende Ingenieure
- Steuerberater und Wirtschaftsprüfer
Beachte: Üben Freiberufler ihre Tätigkeit in einer Kapitalgesellschaft aus, gelten sie nicht mehr als Angehörige eines freien Berufs im Sinne des § 18 Absatz 1 Nummer 1 EStG. Grund dafür ist, dass Kapitalgesellschaften nach § 8 Absatz 2 KStG stets Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielen (BFH vom 22.07.1999, V R 51/98 im Falle einer Steuerberatungsgesellschaft).
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3. Doppel- und Nichterfassung beim Wechsel von Soll- zur Istversteuerung
Nach § 20 Satz 4 UStG müssen Unternehmer beim Wechsel von der Soll- zur Istversteuerung darauf achten, dass Umsätze weder unversteuert bleiben noch doppelt versteuert werden. Dies gelingt durch eine sogenannte Übergangsrechnung, die beispielsweise auf den 31.12. und den folgenden 01.01. eines Jahres aufzustellen ist. Hieran erkennen Unternehmer und Finanzamt, welche Umsätze bereits erfasst wurden und welche nicht.
Beispiele:
- Der Unternehmer (U) erzielt im Dezember 2024 steuerpflichtige Umsätze in Höhe von EUR 100.000, erhält aber nur EUR 80.000. Die verbleibenden EUR 20.000 fließen erst im Januar 2025 zu. Zum 01.01.2025 wechselt der Unternehmer von der Soll- zur Istversteuerung. Im Januar findet keine Versteuerung mehr statt, da der U die vollen EUR 100.000 bereits im Kalenderjahr 2024 versteuert hat. Würde er bei Zufluss der Gelder im Jahr 2025 erneut Umsatzsteuer abführen, käme es im Umfang von EUR 20.000 zu einer doppelten Besteuerung
- U hat im Dezember 2024 Waren für EUR 100.000 verkauft, versehentlich aber nur EUR 80.000 in der Voranmeldung erfasst. In Höhe von EUR 20.000 fließen ihm die Entgelte erst im Jahr 2025 zu. U muss die Voranmeldung für Dezember 2024 korrigieren, da er hier noch § 16 Absatz 1 Satz 1 UStG angewendet hat
- Der Unternehmer hat im Vorjahr Waren für EUR 10.000 verkauft. Im Januar des Folgejahres sendet der Kunde die Gegenstände wegen Unzufriedenheit zurück. Nach § 17 Absatz 1 Satz 1 und 6 UStG ist die Berichtigung im Folgejahr vorzunehmen
Entsprechendes gilt auch, wenn ein Unternehmer von der Ist- zur Sollversteuerung wechselt. Ein solcher Wechsel kann grundsätzlich jederzeit beantragt werden. Stellt das Finanzamt allerdings fest, dass es an den Voraussetzungen des § 20 UStG fehlt, wird es die Sollversteuerung – zum Beispiel bei Überschreitung der EUR-600.000-Schwelle – anordnen.
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