Vollstreckungsverfahren: Voraussetzungen und Ablauf
Steuerbescheide und andere Verwaltungsakte der Finanzbehörden verpflichten den Beteiligten zu einem bestimmten Tun, Dulden oder Unterlassen. Regelmäßig steht dabei die Zahlung der fälligen Steuer im Mittelpunkt, etwa nach Erlass eines Einkommensteuerbescheides. Doch was, wenn der Steuerschuldner die Leistung verweigert? Für diesen Fall existiert das Vollstreckungsverfahren nach §§ 249 fort folgende AO, auf das wir heute einmal einen Blick werfen möchten!
Unser Video:
Das Vollstreckungsverfahren
In diesem Video gehen wir auf die wichtigsten Grundlagen sowie den Ablauf des Vollstreckungsverfahrens ein.
Inhaltsverzeichnis
1. Rechtsgrundlagen des Vollstreckungsverfahrens nach der AO
Das Vollstreckungsverfahren stellt ein eigenständiges Verwaltungsverfahren dar, das im ersten bis vierten Abschnitt der Abgabenordnung (AO), konkret in den §§ 249 bis 346 AO, normiert ist. Weitere Rechtsgrundlagen sind einerseits die Vollziehungs- und andererseits die Vollstreckungsanweisung (VollzA/VollStrA). Diese sind, wie auch die Zivilprozessordnung (ZPO), für die Finanzbehörden bindend.
Dabei ist zwischen
- allgemeinen Vorschriften für das Vollstreckungsverfahren insgesamt (§§ 249 bis 258 AO),
- der Vollstreckung wegen Geldforderungen (§§ 259 bis 327 AO) und
- der Vollstreckung wegen sonstiger Leistungen und Handlungs-, Duldungs- und Unterlassungsaufforderungen (§§ 328 bis 336 AO)
zu unterscheiden. Eine solche Trennung ist bereits deshalb notwendig, weil sich beispielsweise ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten des § 90 AO nur über Zwangsmittel sanktionieren lässt, während bei einer Geldforderung die Pfändung in die Vermögenswerte des Steuerpflichtigen infrage kommt.
1.1. Allgemeine Vorschriften für das Vollstreckungsverfahren
Nach § 249 Absatz 1 Satz 1 AO können Finanzbehörden (§ 6 Absatz 2 AO) Verwaltungsakte, mit denen eine Geldleistung, sonstige Handlung, Duldung oder Unterlassung gefordert wird, vollstrecken. Entscheidend dabei ist, dass die Finanzbehörde selbst auch Vollstreckungsbehörde ist. Unmittelbare Grundlage ist der Verwaltungsakt, den das Finanz- oder Hauptzollamt erlassen hat. Die Beantragung eines Mahnbescheides beim Amtsgericht ist insoweit nicht erforderlich.
Ob ein Vollstreckungsverfahren eingeleitet wird, ist eine Ermessensentscheidung (§ 5 AO) der zuständigen Behörde.
Die Finanzbehörde betreibt das Vollstreckungsverfahren von der Einleitung bis zum Abschluss. Sie unterhält dafür eigene Abteilungen, die Vollstreckungsstellen. Sie nimmt, soweit erforderlich, die Unterstützung anderer Behörden (Gerichte, Polizei) im Rahmen der Amtshilfe (§ 111 AO) in Anspruch. Dies betrifft insbesondere die Feststellung der Vermögensverhältnisse einer Steuerschuldnerin oder eines Steuerschuldners.
Vollstreckbar sind alle Verwaltungsakte im Sinne des § 118 AO (§ 251 Absatz 1 Satz 1 AO). Ausnahmen gelten nur, wenn und soweit die Vollziehung eines Verwaltungsaktes ausgesetzt oder gehemmt ist (§§ 361 AO, 69 FGO). Im Insolvenzverfahren gehört die Finanzbehörde zu den Gläubigern (§ 251 Absatz 3 AO). Die Feststellung der offenen (Steuer-) Forderung stellt einen eigenständigen Verwaltungsakt dar.
Damit das Vollstreckungsverfahren überhaupt beginnen darf, müssen folgende Voraussetzungen gemeinsam vorliegen (§ 254 Absatz 1 AO):
- Die Leistung muss fällig sein. Die Fälligkeit einer Leistung richtet sich nach §§ 220 fort folgende AO
- Der Vollstreckungsschuldner (§ 253 AO; regelmäßig der Steuerschuldner) muss zur Leistung aufgefordert worden sein (sogenanntes Leistungsgebot)
- Seit der Aufforderung zur Leistung muss mindestens eine Woche vergangen sein; dabei kann das Leistungsgebot mit dem Verwaltungsakt verbunden werden (diese Voraussetzung ist de facto bei allen Steuerbescheiden und Steueranmeldungen (§ 168 AO) erfüllt)
Das Leistungsgebot stellt einen eigenständigen Verwaltungsakt dar, der mit dem Einspruch anfechtbar ist (§ 347 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 AO). Ein Steuerbescheid besteht daher regelmäßig aus mehreren Verwaltungsakten.
1.2. Einstellung der Vollstreckung
Das Finanzamt ist verpflichtet, das Vollstreckungsverfahren entweder einzuschränken oder einzustellen, sobald die einer der Tatbestände des § 257 AO vorliegt. Dies ist in folgenden Situationen der Fall:
- Die Vollstreckungsvoraussetzungen des § 251 AO sind weggefallen. Fallen die Voraussetzungen nur vorübergehend weg, beginnt das Vollstreckungsverfahren mit ihrem Wiederaufleben erneut
- Der Verwaltungsakt, der dem Vollstreckungsverfahren zugrunde liegt, wird aufgehoben (§§ 129 bis 131, 164, 165 und 172 bis 177 AO). Die reine Änderung eines Verwaltungsaktes begründet keinen Einstellungstatbestand, führt aber dazu, dass die Vollstreckung auf die nach der Änderung weiterbestehende Forderung des Finanzamtes beschränkt wird. Beispiel: Im Erstbescheid wurde eine Nachzahlung von EUR 60.000 festgesetzt. Das Finanzamt ändert den Bescheid, sodass nun eine Nachzahlung von EUR 45.000 verbleibt. Vollstreckbar ist lediglich der Änderungsbescheid, da der Anspruch des Finanzamtes in Höhe von EUR 15.000 erloschen ist
- Das Finanzamt gewährt eine Stundung (§ 222 AO). Auch hier gilt, dass die Vollstreckung lediglich für den gestundeten Betrag unzulässig ist
Nach § 257 Absatz 2 Satz 2 AO ist das Vollstreckungsverfahren im Falle gerichtlicher Entscheidungen erst aufzuheben, wenn die gerichtliche Entscheidung rechtskräftig ist. Im finanzgerichtlichen Verfahren tritt die Rechtskraft des Urteils nach § 155 FGO in Verbindung mit § 705 ZPO einen Monat nach seiner Verkündung ein. Die Einlegung zulässiger Rechtsmittel hemmt diese Frist.
1.3. Notwendigkeit der Mahnung
Nach § 259 Satz 1 AO soll der Vollstreckungsschuldner vor dem Beginn des Vollstreckungsverfahrens mit einer (letzten) Zahlungsfrist von einer Woche gemahnt werden. Es handelt sich insoweit – einmal mehr – um eine „Soll-Vorschrift“, deren Anwendung im Ermessen der Finanzbehörde liegt. Durch den Grundsatz der Gleichmäßigkeit (§ 88 Absatz 2 AO) ist es allerdings unzulässig, Schuldner A zu mahnen, wenn Schuldner B keine Mahnung erhält. In der Praxis wird daher jeder Vollstreckungsschuldner letztmalig gemahnt und auf den drohenden Beginn des Vollstreckungsverfahrens hingewiesen.
Eine Mahnung ist entbehrlich, wenn der Schuldner bereits vor Eintritt der Fälligkeit an die Zahlung erinnert wurde (§ 259 Satz 2 AO). Dies ist bei Steuerbescheiden praktisch immer der Fall, da das Leistungsgebot mit ihm verbunden wird. Von der Norm umfasst sind insbesondere Steueranmeldungen, weil der Steuerschuldner (§§ 43 bis 45 AO) hier mangels Steuerbescheid keine gesonderte Zahlungsaufforderung erhält.
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2. Vollstreckungsverfahren bei Geldforderungen
Das Vollstreckungsverfahren bei Geldforderungen umfasst insbesondere Steuerschulden und bislang nicht gezahlte steuerliche Nebenleistungen. „Geldforderungen“ sind aber auch Zwangsgelder, die das Finanzamt nach § 328 AO festgesetzt hat.
Die Vollstreckung erfolgt in sämtliche Vermögensgegenstände des Vollstreckungsschuldners sowie im Wege der Pfändung. Bei ihr handelt es sich um die zwangsweise Enteignung beweglicher Gegenstände durch den Fiskus (§ 281 Absatz 1 AO). Die Pfändung ist nur bis zur Höhe der offenen und der Vollstreckung unterliegenden Forderungen möglich (Absatz 2). Sie bewirkt ein Verfügungsverbot des Schuldners über die entsprechenden Gegenstände (§ 282 AO). Letztere versieht der Vollziehungsbeamte mit einem Siegel oder macht sie auf sonstige Weise als der Vollstreckung unterliegend erkennbar (§ 286 Absatz 2 Satz 2 AO). Dies gilt allerdings nur, soweit der Beamte die Gegenstände nicht unmittelbar an sich nimmt (Inbesitznahme nach § 286 Absatz 1 AO).
Der Vollstreckungsschuldner ist außerdem zur Auskunft über sein Vermögen verpflichtet (§ 284 AO). Dabei hat er alle Angaben an Eides statt zu versichern (§ 282 Absatz 3 AO). Die Vermögensauskunft umfasst sämtliche Vermögenswerte mit Ausnahme derer, die nach der ZPO unpfändbar sind. Wird die eidesstattliche Versicherung falsch oder unvollständig abgegeben, erfüllt der Vollstreckungsschuldner den Tatbestand des § 156 StGB. Die Freiheitsstrafe beträgt bis zu drei Jahre.
Die Vollstreckungshandlung ist abschließend zu protokollieren (§ 291 Absatz 1 AO). Dabei muss der Vollziehungsbeamte im Vollstreckungsverfahren mindestens folgende Daten aufnehmen (Absatz 2):
- Ort und Zeit der Aufnahme des Protokolls
- Gegenstand der Vollstreckung (etwa „Einkommensteuerbescheid für 2022 über die Forderung von EUR 60.000)
- Namen und Unterschrift aller beteiligten Personen; insbesondere derer des Vollstreckungsschuldners und des Vollziehungsbeamten
Alle Pfändungsbeschränkungen der §§ 811 bis 811c sowie 882a Absatz 4 ZPO und nach anderen gesetzlichen Vorschriften greifen auch im Vollstreckungsverfahren nach der AO (§ 295 AO). Gepfändete Gegenstände werden öffentlich versteigert (§ 296 Absatz 1 AO; www.zoll-auktion.de).
3. Vollstreckung von sonstigen Verwaltungsakten
Handlungen, Duldungen und Unterlassungen lassen sich nicht durch Pfändung vollstrecken. Für das Vollstreckungsverfahren bei derartigen Verwaltungsakten gelten daher die Vorschriften des dritten Abschnitts (§§ 328 bis 336 AO). „Sonstige“ Verwaltungsakte sind beispielsweise Bescheide, mit denen das Finanzamt den Steuerpflichtigen zur Mitwirkung auffordert (§§ 90 und 138 AO). Auch die Abgabe der Vermögensauskunft ist eine im Verwaltungswege vollstreckbare Pflicht des Schuldners.
Mögliche Vollstreckungsmaßnahmen, die der Finanzbehörde zur Verfügung stehen, sind:
- Zwangsgeld (§ 329 AO): Es darf den Betrag von EUR 25.000 nicht übersteigen. Das Zwangsgeld stellt eine – sofern die Zahlung unterbleibt – vollstreckbare Geldforderung dar, die insoweit den Steuerbescheiden gleichgestellt ist
- Ersatzvornahme (§ 330 AO): Kommt ein unmittelbar Verpflichteter der Handlungsaufforderung des Finanzamtes nicht nach, kann die Behörde einen anderen mit der Vornahme dieser Handlung beauftragen. Beispiel: Der Steuerpflichtige verweigert die Herausgabe von Informationen über erhaltene Bonuszahlungen; hierzu ist er nach § 90 Absatz 1 AO verpflichtet. Das Finanzamt kann nach § 330 AO den Arbeitgeber dazu verpflichten, die entsprechenden Daten offenzulegen
- Unmittelbarer Zwang (§ 331 AO): Sind andere Maßnahmen der Zweckerreichung undienlich, darf das Finanzamt unmittelbaren Zwang anwenden oder diesen durch andere Behörden (insbesondere die Polizei) vornehmen lassen. Bei ihm handelt es sich um das stärkste Zwangsmittel, das mitunter sogar den Einsatz körperlicher Gewalt vorsieht; dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kommt daher eine besondere Bedeutung zu
Die Anwendung von Zwangsmitteln ist anzudrohen. Diese Androhung muss schriftlich erfolgen, es sei denn, hierdurch besteht die Besorgnis, die Durchsetzung des entsprechenden Verwaltungsaktes könnte (noch) vereitelt werden (§ 332 Absatz 1 AO).
Unterbleibt die Zahlung des Zwangsgeldes oder ist dieses uneinbringlich, kann das Finanzamt die Anordnung der sogenannten Ersatzzwangshaft beim zuständigen Amtsgericht beantragen. Ihre Dauer beträgt mindestens einen Tag, maximal aber zwei Wochen (§ 334 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 Satz 1 AO). Die Vollziehung der Zwangshaft erfolgt durch Haftbefehl.
4. Das Vollstreckungsverfahren – Fluch oder Segen?
Kurze Frage, kurze Antwort: Fluch. Vollstreckungsverfahren binden die Finanzbehörde und verursachen gleichzeitig hohe Kosten, die in vielen Fällen höher als die eigentliche Forderung des Fiskus liegen. Gleichzeitig sind sie für Steuerpflichtige eine mentale Belastung. Es gilt daher, was auf der Hand liegen sollte: das Vollstreckungsverfahren von Beginn an zu vermeiden. Insbesondere mit der Stundung nach § 222 AO besteht für Steuerpflichtige eine wirkungsvolle Möglichkeit, Steuerzahlungen aufzuschieben.
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- Entwicklung von Verteidigungsstrategien gegenüber der Finanzverwaltung bei Einspruchsverfahren, Betriebsprüfungen, FG-Klageverfahren und BFH-Revisionsverfahren
- Ausarbeitung von Vermeidungsstrategien für den Gestaltungsmissbrauch im Sinne des § 42 AO
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