Verpflichtungsgeschäft und Verfügungsgeschäft
Im Zivilrecht wird zwischen dem Verpflichtungsgeschäft auf der einen und dem Verfügungsgeschäft auf der anderen Seite unterschieden. Bedeutend ist diese Unterscheidung insbesondere beim Erwerb oder der Veräußerung von Wirtschaftsgütern, zum Beispiel Immobilien. Werfen wir daher einen Blick auf konkrete Bedeutung der Geschäfte, die geltenden Ausnahmen und ihre Relevanz für die Besteuerung!
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Inhaltsverzeichnis
1. Grundsatz: Zivilrechtliche Maßstäbe gelten auch für das Steuerrecht
Das Steuerrecht knüpft im Grundsatz an die zivilrechtliche Wirksamkeit oder Unwirksamkeit von Rechtsgeschäften an. Ein Wirtschaftsgut gilt daher erst dann als erworben, wenn es in die Verfügungsgewalt des Erwerbers übergegangen ist. Dies wiederum ist erst der Fall, wenn zivilrechtliches Eigentum – in der Regel durch Übergabe und Kaufpreiszahlung – gegeben ist (zum Beispiel BFH 11.12.2014 – II R 26/12, BStBl. II 2015, 402).
Im Allgemeinen wird unter
- dem Verpflichtungsgeschäft dabei der Vertrag, der eine bestimmte Rechtsfolge auslöst, und
- dem Verfügungsgeschäft die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung
verstanden. Beim Kaufvertrag besteht das Verpflichtungsgeschäft etwa darin, dass der Verkäufer mit dem Erwerber den gewollten Übergang des Wirtschaftsgutes vereinbart. Kommt es dann tatsächlich zu Übergabe und Zahlung des vereinbarten Kaufpreises, ist hierin das Verfügungsgeschäft zu sehen.
Gleichzeitig gilt für die Besteuerung der Grundsatz der „wirtschaftlichen Realität“. Der Gesetzgeber möchte also vermeiden, dass bestimmte steuerliche Folgen nur deshalb nicht eintreten, weil die Vertragsparteien keine oder unwirksame Vereinbarungen getroffen haben. Ebenfalls verhindern möchte er, dass ein unwirksamer Vertrag tatsächlich durchgeführt wird, steuerlich aber als „nicht durchgeführt“ gilt.
Daher gelten diverse Ausnahmen vom allgemeinen Grundsatz der Maßgeblichkeit des Zivilrechts. Im Folgenden zeigen wir einige Beispiele hierfür.
1.1. Das wirtschaftliche Eigentum
Nach § 39 Absatz 1 AO sind Wirtschaftsgüter dem zivilrechtlichen Eigentümer zuzurechnen. Voraussetzung für die steuerliche Berücksichtigung von Anschaffungskosten, Abschreibung und Co. ist daher, dass der Steuerpflichtige den Gegenstand zivilrechtlich wirksam erworben hat.
Ausnahmen gelten aber, wenn eine Person wirtschaftliche Eigentümerin oder wirtschaftlicher Eigentümer ist. Wirtschaftliches Eigentum liegt nach § 39 Absatz 2 Nummer 1 AO vor, wenn
- eine andere Person als der Eigentümer
- die tatsächliche Herrschaft über das Wirtschaftsgut ausübt und
- den Eigentümer für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut ausschließt.
In den Fällen des wirtschaftlichen Eigentums kommt es auf Verpflichtungsgeschäft oder Verfügungsgeschäft nicht an. Entscheidend ist die tatsächliche Herrschaft über eine Sache. Einige Beispiele hierfür:
- Beim Leasing wird der Leasingnehmer wirtschaftlicher Eigentümer, wenn er den Leasinggeber bis zum Verbrauch des Leasinggegenstandes von der Einwirkung auf ihn ausschließen kann. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn der Leasingvertrag eine Laufzeit hat, die der gewöhnlichen Nutzungsdauer des Wirtschaftsgutes (zum Beispiel Auto) entspricht (BFH 2.6.2016 – IV R 23/13, BFH/NV 2016, 1433)
- Beim Mietkauf entsteht wirtschaftliches Eigentum des Mietkäufers an der Mietkaufsache, wenn dem Mietkäufer eine Kaufoption zu einem bereits festgelegten Kaufpreis eingeräumt ist und die Mietzahlungen bis zur Annahme des Verkaufsangebots in voller Höhe angerechnet werden (BFH 18.11.1970 – I R 133/64, BStBl. II 1971, 133)
- Bei anderen Wirtschaftsgütern liegt wirtschaftliches Eigentum bereits vor dem Verfügungsgeschäft vor, wenn sich die Vertragsparteien darüber einig sind, dass Besitz, Gefahr, Nutzen und Lasten bereits vor Kaufpreiszahlung übergehen sollen
Bei Grundstücken und Gebäuden ist wirtschaftliches Eigentum einer anderen Person grundsätzlich ausgeschlossen. Ausnahmen können aber gelten, wenn ein Miet- oder Pachtvertrag oder ein Nießbrauch mit derart umfangreichen Rechten für den Mieter/Nießbraucher ausgestattet wird, dass beim Eigentümer die Verfügungsgewalt über das Grundstück verloren geht.
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1.2. Unwirksame Rechtsgeschäfte
Ist ein Rechtsgeschäft unwirksam, gilt es für die Besteuerung als wirksam (§ 41 Absatz 1 AO). Dies setzt allerdings voraus, dass die Beteiligten die wirtschaftlichen Folgen des unwirksamen Rechtsgeschäfts gleichwohl eintreten und bestehen lassen.
Beispiel: A und B schließen im betrunkenen Zustand einen Kaufvertrag über den Erwerb des Fahrzeuges des A durch B. A hat dem B einen Kaufpreis in Höhe von EUR 10.000 angeboten, obwohl der Wagen einen Verkehrswert von EUR 100.000 hat. Das Rechtsgeschäft wäre nach § 138 Absatz 2 BGB unwirksam, weil sich A durch den Alkoholkonsum in einem Zustand befand, der die Willensbildung erheblich beeinträchtigt hat.
Durch § 41 Absatz 1 AO gilt aber nun, dass das Rechtsgeschäft als wirksam behandelt wird, wenn A dem B das Fahrzeug für EUR 10.000 verkauft und den Kaufvertrag nicht anficht. Die eigentliche Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB spielt durch die tatsächliche Durchführung des Vertrages also keine Rolle mehr.
2. Das Verpflichtungsgeschäft im zivil- und steuerrechtlichen Sinne
Unter dem Verpflichtungsgeschäft verstehen Gesetzgeber, Literatur und Rechtsprechung regelmäßig einen Vertrag. In diesem Vertrag verpflichtet sich die eine Vertragspartei zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen gegenüber der anderen Vertragspartei. Beispiele:
- Ein Verkäufer verpflichtet sich, einem Käufer ein Wirtschaftsgut zu übertragen. Gleichzeitig verpflichtet sich der Käufer, dem Verkäufer das Wirtschaftsgut abzunehmen und den vereinbarten Preis zu zahlen
- Ein Unternehmer verpflichtet sich gegenüber dem Auftraggeber zur Erbringung einer Dienstleistung. Der Auftraggeber verpflichtet sich zur Zahlung der vereinbarten Vergütung, etwa einem Stundensatz
- Ein Anwohner verpflichtet sich gegenüber seinem Nachbarn, ein Falschparken vor dessen Einfahrt zu unterlassen. Der Nachbar verpflichtet sich, bei Einhaltung der Vereinbarung auf Schadensersatzansprüche zu verzichten
Für die Besteuerung hat das Verpflichtungsgeschäft in der Regel keine Bedeutung. Eine Ausnahme gilt allerdings für die Grunderwerbsteuer, was aus dem Wortlaut des § 1 Absatz 1 Nummer 1 GrEStG hervorgeht:
„Der Grunderwerbsteuer unterliegen die folgenden Rechtsvorgänge, soweit sie sich auf inländische Grundstücke beziehen:
(…)
ein Kaufvertrag oder ein anderes Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übereignung begründet (…)“
Entscheidend ist hier also nicht die tatsächliche Übergabe des Grundstücks (Verfügungsgeschäft), sondern bereits das Rechtsgeschäft, das den Anspruch begründet, selbst. In der Folge kommt es zu einer Festsetzung der Grunderwerbsteuer bereits nach Abschluss des Verpflichtungsgeschäftes, auch wenn der Übergang von Besitz, Nutzen und Lasten erst später erfolgt.
Kommt es nicht zum Verfügungsgeschäft, etwa wegen Zahlungsunfähigkeit des Käufers, gilt § 16 GrEStG. Nach dieser Norm ist die Festsetzung der Steuer rückwirkend aufzuheben; der Erwerber bekommt den Steuerbetrag in diesem Fall wieder ausgezahlt.
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3. Die Bedeutung des Verfügungsgeschäfts
Das Verfügungsgeschäft bezeichnet die tatsächliche Durchführung des vorgehenden Verpflichtungsgeschäfts. Es besteht
- beim Kaufvertrag in der Übergabe und Bezahlung des Wirtschaftsgutes,
- bei Dienstleistungen in Ausführung und Bezahlung der Leistung und
- bei Duldungs- und Unterlassungsverpflichtungen in der tatsächlichen Duldung oder Unterlassung einer bestimmten Handlung.
Für Bilanz- und Ertragsteuerrecht ist das Verfügungsgeschäft maßgeblich. Hier gilt ein Wirtschaftsgut als angeschafft. Der Steuerpflichtige kann die Anschaffungskosten steuerlich geltend machen, das Wirtschaftsgut abschreiben und/oder es in den notwendigen Verzeichnissen erfassen.
Auch hier gibt es allerdings eine Ausnahme. Bei der Berechnung der 10-Jahres-Frist nach § 23 Absatz 1 Nummer 1 EStG kommt es nicht auf das Verfügungsgeschäft, sondern ebenfalls auf das Verpflichtungsgeschäft an. Entscheidend ist also das Datum des Notarvertrages.
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